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10.04.2014 · APG21

"Ist Patmos auch `ne Pilgerstätte?"

Neben dem drittältesten Evangeliar der Welt war auf Patmos auch ein Christusbild von El Greco zu sehen, das Michael Prüller besonders berührte.

Am Montag, den 7. April 2014, gingen die Pilger der Diözesanwallfart in Patmos von Bord. Ein berührendes Erlebnis, wie Michael Prüller berichtet.

Heute steht Patmos auf dem Programm, und langsam werden wir heimisch an Bord. Ich biege jetzt schon jedes Mal, wenn ich aus dem Lift steige, in den richtigen Gang ein, um in meine Kabine zu kommen. Und auch den Mitreisenden sind wir schon ein alltäglicher Anblick – mit roten Bändern um den Hals, an denen unsere Bordkarten hängen, und mit gelben Pilgerrucksäcken.

 

"Die Katholiken"

Wir sind also als Gruppe erkennbar und werden als solche wahrgenommen. Manchmal frage ich mich, wie: als Sekte? Als sympathische Truppe? "Los Católicos" ("die Katholiken"), hört meine Frau einen Spanier zu seiner Frau sagen. Ist das nun als Kompliment, negativ oder ganz neutral gemeint? Was wir sind, weiß natürlich jeder an Bord, weil in der Bordzeitung, die jeder Passagier täglich neu erhält, unser komplettes Programm ausgedruckt ist.

 

Wir werden jedenfalls hie und da angesprochen. Heute früh fragt mich ein Deutscher, dem ich davor noch nicht begegnet war, ganz unvermittelt an, als wir uns zum Transferboot begeben, das uns auf die Insel Patmos bringen soll: "Ist denn Patmos auch 'ne Pilgerstätte?" "Ja", sage ich: "Hier soll Johannes das Buch der Offenbarung, das letzte Buch des Neuen Testaments geschrieben haben." "Ach, der Apostel Johannes?", fragt der Deutsche. "Nee", sagt sein Begleiter, "das war doch nicht derselbe. Da haste wieder mal in Religion nicht aufgepasst."

 

Ein Kloster gegen Piratenangriffe

Die Frage, ob der Lieblingsjünger des Herrn mit dem Evangelisten Johannes und dieser wiederum mit dem Autor der Offenbarung identisch ist, konnte auch unsere sehr kundige Führerin auf Patmos nicht eindeutig beantworten – wie soll sie auch, wenn die Theologen sich schon nicht einig sind?

 

Jedenfalls wurde auf der kargen Insel – hier leben 3.000 Menschen fast ausschließlich vom Tourismus, der aber mangels Flugplatz auch nicht so üppig ausfällt – im Jahr 1088 eines der bedeutendsten griechisch-orthodoxen Klöster errichtet. Der Gründer, der selige Christodulos, hat auch seine damals schon sehr wertvolle Bibliothek mitgebracht. Sie ist erhalten geblieben, weil das mit burgähnlichen Mauern geschützte Kloster durch die Jahrhunderte alle Piratenangriffe abwehren konnte.

 

Ein Christusbild das berührt

So haben wir dort das drittälteste Evangeliar der Welt gesehen. Aber auch eine sehr frühe Abschrift des Kommentars des Kirchenvaters Origines zum biblischen Buch Hiob: Auf jeder Seite stand, etwas größer geschrieben, nur ein einziger Satz des Buches Hiob – und darum herum, die gesamte Seite in kleiner Schrift ausfüllend, der Kommentar. Ein schönes Beispiel dafür, wie das Wort Gottes nicht abgeschlossen dasteht, sondern lebt und fortwährend neue Beschäftigung hervorbringt (so ähnlich hat es mir jedenfalls unser Generalvikar beim Frühstück erklärt – und der ist Bibelwissenschaftler).

 

Am meisten berührt hat mich aber ein Christusbild des berühmten El Greco, der ja griechischer Maler auf Kreta war, bevor er vor den Osmanen nach Spanien floh. Das Bild heißt "Christus wird zur Kreuzigung geführt". Abweichend von der Tradition der Ikonen, die das Klostermuseum in großer Menge bietet, ist Christus nicht in strenger Distanziertheit gezeigt, sondern sehr emotional. Fast lächelt er, wie in stiller Freude, dass sein Martyrium ihn bald wieder zurück zum Vater bringen wird. Sein Antlitz strahlt eine solche Güte aus, dass es mich noch nicht wieder losgelassen hat. Beinahe möchte ich sagen, dass allein das schon die Reise für mich gelohnt hat.

 

Gott kennt und liebt jeden von uns

Dazu passt vielleicht, was uns Generalvikar Nikolaus Krasa in seiner Predigt in der Früh gesagt hat. Er bezog sich darauf, dass zu Beginn der Offenbarung des Johannes Gottes Stimme Johannes befiehlt, den sieben großen christlichen Gemeinden dieser Zeit zu schreiben, und zwar: Ich kenne Euch, Eure Handlungen und Euren Glauben.

 

Der Begriff "kennen" hat in der Bibel nicht diesen drohenden Charakter, den er heute oft hat, erklärte der Generalvikar. Nicht wie "Ich kenne Euch alle, ihr Gfraster!" "Kennen", so der Generalvikar, hat in der Bibel einen liebevollen Unterton, heißt: Ich nehme Anteil an Dir. "Ich kenne dich", sagt der Generalvikar, heißt im biblischen Kontext: "Ich habe dich lieb." Und Gott kennt jeden von uns. Er hat ja für jeden von uns am Kreuz gelitten.

 

Briefe an die Gemeinde

Wir haben auch die kleine Grotte gesehen, in der Johannes auf Patmos gelebt haben soll, und wo ihn der Lichtstrahl Gottes erreicht und ihm die Niederschrift der Offenbarung befohlen hat. Seit Jahrhunderten ist diese Höhle eine kleine Kirche. Als wir kommen, bügelt mittendrin eine schwarzgekleidete Frau Altartücher und der orthodoxe Priester, der diese Kirche betreut, räumt auf. So richtig große Ehrfurcht stellt sich in der Gruppe nicht wirklich ein. Anderen gelang das eher, höre ich später: Ein Teil unserer jungen Musiker sang dort "Würdig das Lamm, das geopfert war", und der Kardinal las das Ende der Offenbarung. Und dann war Stille.

 

Die Besichtigung der Insel Patmos geschieht in zwei Tranchen. Wer gerade nicht an Land übergesetzt ist, ist eingeladen, einen Brief an die eigene Gemeinde zu schreiben. So wie Paulus: ohne Nörgelei, mit Blick auf das geleistete Gute, von jemandem, der die Gemeinde "kennt". Ich habe die dort geschriebenen Briefe noch nicht, aber sie sollen teils sehr beeindruckend sein. Vielleicht können wir sie zumindest in Teilen hier nachreichen.

 

Abend der Barmherzigkeit

Und der Tag schloss mit einem Abend der Barmherzigkeit: eucharistische Anbetung, Beichtmöglichkeit, zwei Ehepaare stehen (bzw. sitzen) bereit für Gebetsanliegen oder um einen Segen zu geben. Eine intensive Begegnung mit der Barmherzigkeit Gottes, der, wie der Papst sagt und der Kardinal heute mehrmals wiederholt, "nicht müde wird zu verzeihen - aber wir müde werden, um Verzeihung zu bitten".

 

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn wird vorgelesen und vom Kardinal ausgelegt. Ich habe wieder einen mir bis jetzt unbekannten Aspekt davon kennengelernt: Dass, wie der Kardinal sagt, die Barmherzigkeit auch ihren Preis hat, nicht billig ist. Zumindest für den älteren, zuhause gebliebenen Sohn. Denn weil sein jüngerer Bruder zurückgekommen ist und wieder als Sohn anerkannt wird, muss er, der ältere, sein Erbe mit ihm teilen.

 

Die vielen Priester auf unserer Wallfahrt sind lange im Einsatz. Was an diesem Abend in den einzelnen Menschen passiert, ist freilich höchstpersönlich und geht mich nichts an. Mir jedenfalls geht es gut. Meiner Frau auch. Und miteinander geht es uns besonders gut.

 

Danke Gott, dass du uns so gut kennst.

erstellt von: Michael Prüller (10.4.2014)
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ERZDIÖZESE WIEN
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