Bausteine aus dem Werkzeugkasten der Natur: In Zukunft werden Autoreifen aus Löwenzahn-Latex hergestellt.
Bausteine aus dem Werkzeugkasten der Natur: In Zukunft werden Autoreifen aus Löwenzahn-Latex hergestellt.
Die Europäische Union hat ein Ziel: ein zukunftsfähiges Wirtschaftssystem frei von Erdöl. Der deutsche Forst- und Bodenwissenschaftler Reinhard Hüttl spricht über den Weg dorthin und die ersten Ansätze.
DER SONNTAG: Was versteht man unter einer bio-basierten Wirtschaft?
Reinhard Hüttl: Bioökonomie heißt, biologische Produkte sowie relevante Technologien und Dienstleistungen zu nutzen, um Innovationen zu realisieren und die großen Herausforderungen zu meistern, die etwa mit dem Klimawandel verbunden sind. Besonders geht es darum, erdölbasierte Produkte durch biologische zu ersetzen.
Können die großen gesellschaftlichen Herausforderungen wie Bevölkerungsexplosion, Ressourcenverknappung oder Treibhausgasausstoß wirklich mit diesem Konzept bewältigt werden?
Die wissensbasierte Nutzung von Biomasse, biologischen Prozessen und deren Produkte kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Es geht nicht nur um primäre Produkte, die auf dem Feld oder im Wald wachsen, sondern auch um Abfallstoffe, um Stoffkreisläufe und Recycling. Natürlich wollen und müssen wir diese neuen Prozesse und Ansätze nachhaltig gestalten. Das gilt z. B. für den Boden. Das Bodenmanagement muss die Fruchtbarkeit der Böden auf Dauer sicherstellen. Auch die Biodiversität ist dabei von Bedeutung; denn wir sollten nicht ein Problem durch ein anderes ersetzen, sondern versuchen, nachhaltige Verfahren zu entwickeln.
Warum ist Bioökonomie ein integraler Bestandteil einer ökologischen Transformation des Wirtschaftssystems?
Weil wir eben wegkommen wollen von Ressourcen, die endlich sind, zu solchen, die in einem Kreislaufkontext so weit wie möglich geführt werden können. Wir haben nur diesen einen Planeten Erde und alle Vorkommen sind letztendlich begrenzt. Außer wir können Verfahren hin zu nachhaltigen Konzepten entwickeln: Nutzung der Biomasse für neue Verfahren in der chemischen Industrie oder auch im medizinischen Kontext. Vor allem brauchen wir diese im Bereich Ernährung, bei einer ständig wachsenden Erdbevölkerung ist dies ein ganz zentrales Element.
In welchem Tempo soll das erfolgen?
Ich denke, das muss sehr sorgfältig realisiert werden, denn das kann auch zu Widersprüchen, zu problematischen Entwicklungen führen. Wir haben eine solche Entwicklung, die wir unter dem Schlagwort „Teller-Tank“ diskutieren. Soll Getreide für die Nahrungsmittelproduktion genutzt werden oder wollen wir es für Biokraftstoffe weiterentwickeln, um Mobilität zu sichern? Da sind verschiedene gesellschaftliche Fragestellungen zu bedenken, und es ist transdisziplinäre Forschung notwendig, um einen schlüssigen und für alle akzeptablen Weg zu gehen.
Wie gehen Sie mit der Kritik um, die Bioökonomie als reine Ökonomisierung der Natur bezeichnet? Stichworte: Macht der Konzerne, hinter Biotechnologie versteckt sich Gentechnik, Öffnung von „Pandoras Büchse“.
Das ist durchaus ein wichtiges Thema, die Gesellschaft auf diesen Weg mitzunehmen. Wir müssen die Gegenargumente, die berechtigt sind, sehr ernst nehmen. Vor allem ist zu berücksichtigen, dass es nicht nur die großen Konzerne sind, sondern viele kleine Unternehmen, die im Bereich biotechnologische Anwendungen übrigens weitgehend ohne grüne Gentechnik durch Züchtungsansätze und durch konventionelle Entwicklungen, z.B. im Bereich von Bodenhilfsstoffen, tätig sind. Dabei geht es um die Frage: Kann man Niederschlagswasser besser im Boden zurückhalten, um es für das Pflanzenwachstum zur Verfügung zu stellen?
Wir haben ein großes Thema mit der Welternährung und gleichzeitig ein zweites: der Ersatz von fossilen Energierohstoffen, wie Erdöl, Erdgas und Kohle, durch regenerative Energieträger einschließlich Biomasse. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass viele unserer Böden bereits degradiert sind, z.B. durch falsche Landnutzungsverfahren. Diese Böden gilt es wieder in Wert zu setzen, ihre Produktivität wieder herzustellen, aber unter dem Nachhaltigkeitsgrundsatz.
Welche Erfahrungen hat Deutschland bei der Entwicklung der Bioökonomiestrategie gemacht?
Wir hatten eine ganze Reihe von Vorläuferentwicklungen, gerade in der Pflanzenforschung und auch in der Biotechnologie. Wir haben sehr viel Erfahrung in der Molekularforschung, mit land- und forstwirtschaftlicher Forschung, mit Gartenbau, auch in der chemischen Forschung: Können wir biologische Polymere statt künstliche aus Erdöl und Kohle entwickeln? Der Ansatz ist vielversprechend, befindet sich aber noch im Bereich von Forschung und Entwicklung. Letztendlich können wir auch die Bioökonomie nur Schritt für Schritt gemeinsam mit gesellschaftlichen Diskussionen voranbringen.
Reinhard Hüttl war Hauptredner einer Tagung des Ökosozialen Forums zu diesem Thema in Wien.