Mitglieder der Society of Biblical Literature sind nicht nur christliche und jüdische, sondern auch muslimische Forscher.
Mitglieder der Society of Biblical Literature sind nicht nur christliche und jüdische, sondern auch muslimische Forscher.
Gemeinsamer Blick der 1.100 Wissenschafter auf Bibel als Beitrag zum interreligiösen Dialog.
In Wien ist am Donnerstag, 10. Juli 2014, die internationale Jahreskonferenz der Bibelforscher zu Ende gegangen. 1.100 Wissenschaftler aus 47 Nationen nahmen an dem fünftägigen Großereignis auf Einladung der Society of Biblical Literature (SBL) an der Universität Wien teil, bei dem diesmal die Erforschung der Rezeptionsgeschichte der Bibeltexte - etwa im antiken Judentum, im Islam oder im Antisemitismus - im Fokus stand. "Wir haben Akzente gesetzt, aus dem sich weitere Forschungsdialoge entwickeln werden", so das Resümee von Tagungsleiter Armin Lange, Professor am Institut für Judaistik der Universität Wien.
Die Erforschung der Rezeption sei bedeutsam, da Bibelerzählungen mitunter in negativer Art umgeschrieben worden seien, erklärte Lange, der hier als Beispiel den altägyptischen Autor Manetho anführte. Zentrale Momente jüdischen Selbstverständnisses seien von ihm auf inakzeptable Weise verdreht worden, etwa wenn der Auszug aus Ägypten als Vertreibung leprakanker Aussätziger durch den Pharao umgedeutet wurde. Ebenso habe der Autor die Juden - entgegen der in der hebräischen Bibel besonders engen Beziehung zu Gott - als "besonders gottlose Menschen", beschrieben, die Götterstatuen zerstören und heilige Tiere essen würden.
Der "heute wie damals völlig inakzeptable" Text des Priesters aus der Ptolemaios-Zeit habe "kein Körnchen Wahrheit" enthalten, sondern sei vielmehr "ganz bewusste, intertextuelle Strategie" gewesen, die auch nach 2.000 Jahren immer wieder angewendet werde, so Lange. Manethos Ansinnen sei nicht gelungen, "Gott sei dank". Wichtig sei jedoch, derartige Mechanismen aufzuzeigen, "denn weiterhin zitieren viele - sogar Akademiker - Manetho und nehmen seine Angaben für bare Münze".
Als weiteres Beispiel für die Bedeutung der Wirkungsgeschichte der Bibel führte Lange das Buch Jeremia an. Die Verheißungen an David hätten Juden und Christen sehr unterschiedlich ausgelegt - die Juden in den Qumran-Texten in der Erwartung eines Heilszeit-bringenden Messias, wobei in der spätantiken rabbinischen Literatur andere Themen in den Vordergrund getreten seien. Christen hätten die Stelle auf Jesus bezogen, mitunter allerdings in einer Beherrschungspolemik gegen das Judentum.
Jenseits dieser Konflikte, "die wir teils überwunden haben und teils noch überwinden müssen", gebe es in der Bibelforschung viele Gemeinsamkeiten, die auf die Möglichkeit gegenseitigen Respekts und Verständnisses weisen würden, "ohne damit gleich die jeweilige Identität aufgeben zu müssen", so Lange. Der Judaistik-Professor zitierte hier Raimund Fastenbauer, Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinden in Österreich: "Wir werden sehen, ob der Messias ein Freund ist, der wiederkommt, oder ein noch ganz Unbekannter, wie die Juden denken." Lange dazu: "Wenn wir soweit kommen, haben wir viel erreicht."
Mitglieder der Society of Biblical Literature sind nicht nur christliche und jüdische, sondern auch muslimische Forscher. Der Impuls durch den Einbezug der "Islamic studies" sei ein sehr wichtiger - und zwar auch unabhängig von den erarbeiteten Inhalten, so Lange: "Wie dies schon früher mit den jüdischen Kollegen gelang, lernt man sich trotz unterschiedlichem religiösen und kulturellen Hintergrund über die gemeinsame Arbeit kennen. So entsteht eine Kommunikationskultur, die automatisch in persönlichem Respekt mündet."
Die SBL wurde 1880 in den USA gegründet und ist seit 1929 Mitglied im American Council of Learned Societies. Ihre 8.500 Mitglieder aus Nord- und Südamerika, Europa, Afrika, Asien und Australien repräsentieren mehr als 2.200 akademische Institutionen aus 94 Ländern. Als eine der großen internationalen geisteswissenschaftlichen Gesellschaften beschäftigt sich die SBL weit über die Erforschung der biblischen Literatur hinaus seit vielen Jahrzehnten auch mit den Bereichen antikes und rabbinisches Judentum, Geschichte und Archäologie des Nahen Ostens (insbesondere Syro-Palästina), mit dem Koran und mit der Wirkungsgeschichte biblischer Texte.
An dem Kongress in Wien nahmen neben der SBL auch die European Association of Biblical Studies (EABS) und die Arbeitsgemeinschaft jüdische Studien in Österreich (AGJÖ) teil.
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