Delegierte des Wiener Kongresses in einem zeitgenössischen Kupferstich von Jean Godefroy nach dem Gemälde von Jean-Baptiste Isabey.
Delegierte des Wiener Kongresses in einem zeitgenössischen Kupferstich von Jean Godefroy nach dem Gemälde von Jean-Baptiste Isabey.
Wiener Kirchenhistoriker Klieber: Wiedererrichtung des Kirchenstaates durch Kongress war "Danaergeschenk" an die Kirche - Katholische Kirche konnte dadurch erst im 20. Jahrhunderts zur "Friedensmacht" werden.
Er war ein Friedenskongress, der Europa ein neues Gesicht gegeben hat - und doch zugleich ein hochgradig restaurativ ausgerichtetes Ereignis der europäischen Königs- und Adelshäuser, das die Folgen des revolutionären Flächenbrandes in Europa aufhalten wollte: Der Wiener Kongress, der vor 200 Jahren - am 18. September 1814 - begann.
Eine gemischte Bilanz zum Kongress zieht aus spezifisch-kirchlicher Sicht der Wiener Kirchenhistoriker Rupert Klieber: Zwar war die katholische Kirche durch den päpstlichen Delegaten Ercole Consalvi hochrangig am Kongress vertreten, auch wurde durch den Kongress der "Kirchenstaat", der große Teile Norditaliens umfasste, als einziges Territorium wieder errichtet - doch Grund zur Freude besteht aus heutiger Sicht darüber nicht.
So habe sich die Errichtung des Kirchenstaates als "Danaergeschenk" (ein dem Empfänger Unheil bringendes Geschenk)an die Kirche erwiesen, da sie somit erneut zu einer realpolitischen, auch militärischen Größe wurde mit einem Papst, der auch weltliche Macht über weite Besitztümer ausübte. Es habe weitere rund 100 Jahre gedauert, so Klieber, bis die Kirche tatsächlich in ihrem neuen, auf den Vatikan begrenzten Territorium, frei wurde vom Mächte- und Ränkespiel der Politik und so zu einer "Friedensmacht" werden konnte.
Um jedoch diese in der Öffentlichkeit heute weitgehend unbeachtet bleibende Rolle der Kirche am Kongress zu verstehen, muss man laut Klieber auf die aufgewühlte Zeit nach der Französischen Revolution zurückgehen: Zum einen habe die Zersplitterung Europas in dutzende Territorien oft kleinster Ausdehnung den prinzipiellen Reformbedarf deutlich werden lassen: "Mancherorts gab es auf 100 Kilometern bis zu drei Rechtsordnungen - das war kein geeigneter Rahmen mehr für ein modernes Staatswesen, zu dem die Staaten ab dem 19. Jahrhundert drängten." Zum anderen habe man zu Beginn des 19. Jahrhunderts begonnen, "die kirchlichen Verhältnisse grundlegend umzukrempeln. Kein Stein ist auf dem anderen geblieben." So habe man - Stichwort Säkularisierung - etwa massiv in die Kirchen- und Klosterstrukturen eingegriffen: "Strukturen, die in 1.000 Jahren gewachsen sind, sind hier an ein Ende gekommen."
Der Reformbedarf auch kirchlicherseits war also groß. Dennoch spielten Kirchenfragen am Wiener Kongress laut Klieber nur eine nachgeordnete Rolle, da man sich unter den Großmächten auf keine einheitliche Position zum zukünftigen Status der katholischen Kirche in Europa einigen konnte - mit Ausnahme der Restauration des Kirchenstaates. So habe zwar der Konstanzer Generalvikar und damals bekannte Theologe Ignaz Heinrich von Wessenberg Entwürfe vorgelegt, die etwa visionär die Errichtung einer eigenen deutschen, länderübergreifenden Nationalkirche vorsah; diese Pläne wurden jedoch sowohl von einer Gruppe römisch gesinnter Theologen und "Oratoren" am Kongress torpediert, als auch von den deutschen Königreichen Bayern und Württemberg, die ihre Kirchenfragen und -Belange lieber intern klären wollten, so Klieber.
Die Errichtung des Kirchenstaates in Norditalien bewertet der Kirchenhistoriker als eine zweischneidige Sache: Zum einen entsprach dies dem nach den demütigenden Erfahrungen der napoleonischen Ära verständlichen Wunsch der Päpste nach einem geschützten Territorium - auf der anderen Seite entstand auf diese Weise laut Klieber in Italien ein "sehr reaktionärer Staat", der sich in seinen Institutionen gegen alle bürgerlichen Ansprüche und Fortschritte seit der Französischen Revolution stellte. Schließlich habe sich der Kirchenstaat gar in eine Art "Polizeistaat unter kirchlicher Aufsicht" verwandelt, resümiert der Historiker, "der seine Energie darauf verschwendet hat, alle Veränderungen und Neuerungen zu unterbinden." Mit mäßigem Erfolg, so Klieber, sei es doch selbst im Kirchenstaat bereits 1817 "zu ersten Aufständen gegen die neue Prälaten-Herrschaft gekommen".
Besiegelt worden sei das Ende dieser Verquickung von weltlicher und geistlicher Macht schließlich in der militärischen Niederlage des Papstes 1870 und seiner Entmachtung durch den italienischen König Viktor Emanuel II. Erst die Lateran-Verträge von 1929 und die Einhegung der weltlichen Machtsphäre des Papstes habe die Kirche dann "zurück auf das diplomatische Parkett" gebracht, so Klieber - und schließlich dazu beigetragen, dass die katholische Kirche zu jener "Friedensmacht" werden konnte, als welche sie sich heute versteht.