Täglich kommen bis zu 5.000 Besucher in Deutschlands größten Freizeitpark.
Täglich kommen bis zu 5.000 Besucher in Deutschlands größten Freizeitpark.
Kirche und Vergnügungspark. Wie passt denn das zusammen? Ganz hervorragend – das zeigt ein Blick in den Europapark in Baden-Württemberg, den größten Freizeitpark Deutschlands. Hier erproben Katholiken und Evangelische gemeinsam neue Formen der Seelsorge.
Von der Wasserachterbahn dringt begeistertes Kreischen herüber – aus 30 Metern rauschen die Boote mit Tempo 80 ins Wasser. Adrenalinkick und Wasserspaß, wie es sich für einen Freizeitpark gehört. 30 Jugendliche aus Fulda aber sitzen an diesem Morgen noch nicht im „Atlantica SuperSplash“, sondern stehen schweigend im Halbdunkel der aus schweren Holzbalken gezimmerten norwegischen Stabkirche. Die hohe Decke erinnert an ein umgedrehtes Wikingerschiff, an den Seiten geschnitzte Gesichter und biblische Motive vor goldenem Hintergrund.
„Wir wollen heute einen Tag der Freude genießen, und wissen doch, dass es echte Freude erst im Himmel gibt“, predigt Pfarrer Jens Clobes. Am Ende des Gottesdiensts in der Europapark-Kirche übertönt ein schmissiger Gitarren-Jesus-Song das Achterbahnkreischen. "Es ist ein Wagnis, auf unserer Rückfahrt nach einer Woche spirituellem Leben in der Gemeinschaft von Taizé hier Station zu machen. Ein spannender Versuch, religiöses Erlebnis und Spaß im Freizeitpark zu verbinden“, sagt Gemeindereferentin Marlies Wahl.
Ein Wagnis, das katholische und evangelische Kirche in Kooperation mit Deutschlands größtem Freizeitpark bereits seit zehn Jahren eingehen. „Natürlich gab es am Anfang viele Bedenken, Kopfschütteln und die Frage, was will die Kirche in der Achterbahn? Aber schnell wurde deutlich, welches Potenzial unsere Idee hat, auf die Menschen im Freizeitpark zuzugehen, gerade weil sie hier in einer so entspannten, ausgelassenen und damit offenen Stimmung sind“, sagt der katholische Diakon im Europapark, Andreas Wilhelm.
Gemeinsam mit seinem evangelischen Kollegen Martin Lampeitl hat er ein vielfältiges Angebot aufgebaut. Die Seelsorger sind davon überzeugt, hier Menschen zu erreichen, die sonst kaum in Kontakt mit Kirche und Glaube kämen.
Gottesdienste für angemeldete Gruppen wie die Fuldaer Jugendlichen in der Norwegerkirche sind ein Aspekt des Engagements. Manchmal müssen die Freizeitparkdiakone auch einfach nur als Seelsorger erkennbar sein, um angesprochen zu werden. „Oft entstehen dann intensive Gespräche.“ Stark gewachsen ist zuletzt die Zahl von Taufen und Trauungen im Europapark.
Am frühen Nachmittag sitzt Sabrina Langfeld, eine attraktive junge Frau mit großer Sonnenbrille und modischer Lederjacke, zusammen mit ihrem frisch angetrauten Ehemann Patrick bei einem Cappuccino auf der Seeterrasse am Rande des Freizeitparks. Am Ufer des künstlichen Sees schaukelt ein Segelboot im Wind. Sabrina erinnert sich an ihren großen Tag vor genau vier Wochen. „Wir haben keinen Bezug zu unserer Kirchengemeinde vor Ort, und dennoch war es uns wichtig, unsere Ehe unter einen christlichen Segen zu stellen. Als wir dann erfahren haben, dass wir im Park heiraten können, haben wir nicht mehr lange nachdenken müssen.“ Mit Diakon Wilhelm fanden sie schnell eine gemeinsame Wellenlänge. „Er hat die lockere Freizeitatmosphäre mit religiösem Tiefgang verbunden. Es war ein unvergessliches Fest.“
Täglich kommen bis zu 5.000 Besucher in Deutschlands größten Freizeitpark. Wegen der Hochgeschwindigkeitsachterbahnen, die von 0 auf 100 in drei Sekunden beschleunigen, oder einfach nur, um fernab vom Alltag einen sorglosen Tag zu verleben. Seit Jahren steigen die Besucherzahlen. Ist das kirchliche Angebot also nur eine weitere, neue Attraktion? Verdient der Park an der Kirche, weil nach der kirchlichen Trauung im Park fast immer in einem der angegliederten Hotels gefeiert wird, die von der Menüfolge bis zum Blumenschmuck die gesamte Organisation übernehmen? „Unsere Kooperation mit der Kirche zielt in keiner Form auf ökonomischen Gewinn ab. Es ist meiner Familie vielmehr ein Herzensanliegen und Ausdruck unseres eigenen Glaubens, auch im Park christliche Angebote zu machen“, sagt Europapark-Chef Jürgen Mack. „Ich habe den Eindruck, dass die Kirchen inmitten der kreativen Atmosphäre des Parks neue Dinge und Wege ausprobieren können.“
„Wir wollen auf keinen Fall religiös aufdringlich werden oder jemanden zwingen“, sagt Mack. Wer aber genau hinschaut, findet immer wieder christliche Anknüpfungspunkte: In einem zum Park gehörenden Luxushotel geht es direkt von der Lobby in eine nachgebaute barocke Jakobuskapelle. Im Foyer riecht es nach Weihrauch. Hierher kommen oft Ministranten-oder Kommuniongruppen, die ihren Tag im Freizeitpark mit einem kurzen spirituellen Impuls beginnen wollen. An der ersten Station kann beispielsweise eine tonnenschwere Steinkugel bewegt werden, weil sie auf einem Wasserstrahl schwebt – ein symbolischer Anstoß, einmal über eigene Kraft oder Ohnmacht nachzudenken.
Diakon Lampeitl beschreibt, dass mittlerweile im Park fast so etwas wie eine kleine Gemeinde entstanden sei. Lampeitl ist der Verbindungsmann im Park zwischen Kunst und Kirche. Als Musiker zog er selbst mit Gitarre durch halb Europa, bevor er sich entschloss, Seelsorger zu werden. Er ist überzeugt, dass Kirche künftig viel stärker auf Menschen zugehen muss, „statt nur in den Kirchen zu warten“. „Wir brauchen viel mehr Freizeitpfarrer, Urlaubspfarrer, ja vielleicht auch Disco-Pfarrer!“
Die frisch verheirateten Sabrina und Patrik Langfeld stürzen sich mittlerweile die neue Hochgeschwindigkeits-Holzachterbahn „Wodan“ hinunter. Sie sind Dauerkartenbesitzer und kommen aus dem nahen Baden-Baden häufig in den Park. „Auch nach unserer kirchlichen Hochzeit besteht der Kontakt zu Andreas Wilhelm immer noch. Und wenn wir mal Kinder haben, werden wir sie mit Sicherheit auch hier im Park taufen lassen.“
Die Seelsorger des Europapark in Baden-Württemberg gehen neue Wege und erreichen Menschen, die sonst gar nicht mit Kirche in Berührung kommen.
Seit Herbst 2005 sind die katholische und die evangelische Kirche mit je einem Diakon im Europapark vertreten.
Ziel ist es, mit thematischen Veranstaltungen und Gottesdiensten im Alltag eher kirchenfernen Menschen in ihrer Freizeit ein kreatives und einfach zu erreichendes religiöses Angebot zu machen. Die norwegische Stabkirche, die Böcklingskapelle, das Hotel Santa Isabel und das Café Benedetto bieten sich hierfür als Orte an. Besonders die Stabkirche ist dabei eine Oase der Ruhe inmitten von quirliger Lebendigkeit zwischen Wildwasser-Rafting und Achterbahn. Hier werden Hochzeitsjubiläum und Themengottesdienste gefeiert oder einfach ein seelsorgliches Gespräch geführt. Es gibt hier aber auch kleinere Impulse, Musik zum „Ausschnaufen“ oder Kurzandachten.
Zu christlichen Festen wie Ostern, Weihnachten oder Erntedank gibt es besondere Angebote.
Die Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag"