Katholikos Karekin II., Oberhaupt der Armenisch-apostolischen Kirche.
Katholikos Karekin II., Oberhaupt der Armenisch-apostolischen Kirche.
Oberhaupt der Armenisch-apostolischen Kirche: Türkische Regierung sollte Genozid endlich anerkennen.
Der Völkermord an den Armeniern vor gut 100 Jahren im Osmanischen Reich muss als das benannt werden, was er war und ist. Das hat Katholikos Karekin II., Oberhaupt der Armenisch-apostolischen Kirche, im Gespräch mit Journalisten aus Österreich Ende April 2017 betont.
Nur so könnten auch künftige gleiche Verbrechen verhindert werden, sagte Karekin II. in seinem Sitz in Etschmiadzin nahe der armenischen Hauptstadt Jerewan. Das armenische Kirchenoberhaupt würdigte in diesem Zusammenhang Staaten wie Österreich oder Deutschland und übte naturgemäß heftige Kritik an der Türkei.
Statt weiter Hass zu sähen sollte die türkische Regierung den Genozid endlich anerkennen und damit auch eine "große Bürde von den Schultern des türkischen Volkes nehmen". - Das österreichische Parlament hatte die Massaker an den Armeniern im April 2015 als Völkermord benannt. Der Deutsche Bundestag hat im Juni 2016 in einer Resolution die Massaker ebenfalls als Völkermord eingestuft.
Neben den Todesopfern habe die armenische Kirche vor rund 100 Jahren auch einen unglaublich großen kulturellen Verlust hinnehmen müssen, so Karekin II. Ein Großteil des kulturellen Erbens "Westarmeniens" sei verloren, und es bestehe die Gefahr, dass tausende weitere armenische Kirchen, Klöster und Denkmäler, die in der Türkei liegen demnächst völlig verfallen und verschwinden würden, äußerte sich das Kirchenoberhaupt besorgt. Nachsatz: "Und wir haben darauf keinen Zugriff und Einfluss."
Mit großer Dankbarkeit erinnerte sich der Katholikos an den Besuch von Papst Franziskus im Juni 2016 zurück. Er persönlich wie auch das ganze armenische Volk sei dem Papst dankbar, dass er bereits mehrmals wörtlich vom "Völkermord" gesprochen hatte. Das sei eine sehr klare Botschaft gewesen.
Karekin II. unterstrich darüber hinaus die guten Beziehungen zwischen der Armenisch-apostolischen und Katholischen Kirche und erinnerte u.a. daran, dass sowohl Papst Franzikus 2016 als auch Papst Johannes Paul II. im Jahr 2001 bei ihren Besuchen in Armenien im Katholikosat in Etschmiadzin übernachtet hätten. Grundsätzlich sei es nicht üblich, dass Päpste bei Auslandsreisen bei anderen Konfessionen übernachten.
Die Armenisch-apostolische Kirche ist mit ihren Schwesterkirchen in Liebe und Brüderlichkeit verbunden. Karekin II.: "Wir wollen den Weg zu noch mehr Einheit weitergehen; nach dem Prinzip: Einheit in allen wesentlichen Angelegenheiten, Freiheit in allen nachrangigen Angelegenheiten und Liebe in allen Dingen."
Die Geschichte Armeniens sei untrennbar mit der Geschichte der Kirche verbunden, führte der Katholikos weiter aus. Das armenische Volk, das in der Geschichte oft keinen eigenen Staat hatte, sei durch die Kirche zusammengehalten und in seiner kulturellen, sozialen und spirituellen Identität bewahrt worden. Die Zeit des Kommunismus sei für die Kirche besonders schlimm gewesen, und nach der Wende hätten die Priester vielen Kindern erst wieder die Bedeutung des Kreuzzeichens lehren müssen.
Spätestens 1938 schlossen die Kommunisten unter Stalin fast alle Kirchen und Klöster im Land. Nur zwei Kirchen blieben geöffnet; eine in der Hauptstadt Jerewan und eine in der Stadt Gyumri im Norden des Landes. Mit der staatlichen Unabhängigkeit 1991 konnte sich die Kirche wieder frei entfalten, sie startete freilich fast bei Null.
Doch inzwischen "sind die Menschen zur Kirche zurückgekommen", so Karekin II. So könne er guten Glaubens sagen, dass die armenische Kirche zwar eine schwierige Gegenwart, aber ein große Vergangenheit und eine große Zukunft habe.
Der armenische Staat und die Kirche würden sehr eng miteinander kooperieren, so der Katholikos, schließlich würden sich auch beide für die armenische Nation einsetzten, "die einen im Bereich der Politik, die anderen im Bereich der Spiritualität". Direkte Zahlungen vom Staat an die Kirche gebe es freilich nicht, abgesehen von den Gehältern Geistlicher, die in der Militär- oder Gefängnisseelsorge tätig sind.
Mit großer Sorge verfolge die Armenische Kirche, die selbst schon so viel Leid ertragen musste, die schlimmen Zustände und Konflikte im Nahen Osten und versuche, das Leid der Verfolgten und Vertriebenen zu lindern, berichtete der Katholikos. Die Kirche helfe seit Beginn des Krieges direkt in Syrien und Armenier aus allen Teilen der Welt würden diese Bemühungen unterstützen. Armenien habe auch viele armenische Christen aufgenommen, die aus Syrien und dem benachbarten Irak fliehen mussten. 20.000 lebten derzeit in Armenien, die meisten davon seien schon gut integriert. Einige Tausend seien freilich auch weitergezogen nach Europa oder in die USA. An den Westen appellierte der Katholikos, endlich mehr Solidarität mit den bedrängten Christen im Nahen Osten zu zeigen.
Das armenische Kirchenoberhaupt nahm auch zum Konflikt um Berg-Karabach Stellung. Die Kirche sei selbstverständlich für die friedliche Lösung des Konflikts und das sei auch die Position der armenischen Regierung. Doch Aserdbaidschan denke nach wie vor nur an eine militärische Lösung, so Karekin II.
Berg-Karabach ist eine mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region, die aber auf aserbaidschanischem Staatsgebiet liegt. Der Konflikt um Berg-Karabach begann mit dem Zerfall der Sowjetunion. 1988 stellte das damals innerhalb von Aserdbaidschan autonome Gebiet Berg-Karabach den Antrag, von der Unionsrepublik Aserbaidschan zur Unionsrepublik Armenien zu wechseln; freilich vergeblich. 1992 wurde die "Republik Berg-Karabach" ausgerufen. Es folgten mehrjährige heftige Kämpfe. Berg-Karabach ist diplomatisch von keinem Staat anerkannt, auch nicht von Armenien. Im April 2016 wurde zuletzt wieder um Berg-Karabach gekämpft; beide Seiten beklagten Tote.
Neben dem eigentlichen Territorium von Berg-Karabach wird von den Armeniern auch eine "Pufferzone" kontrolliert, die sich über sieben umliegende aserbaidschanische Provinzen erstreckt und u.a. auch die geografische Verbindung zu Armenien sicherstellt. Dafür stehen auch einige kleine Gebiete, die eigentlich zu Berg-Karabach gehören, unter Kontrolle Aserbaidschans.
Katholikos Karekin II. hat immer wieder das Recht der Menschen in Berg-Karabach auf ein Leben in Freiheit betont, u.a. etwa auch im Rahmen des Besuchs von Papst Franziskus im Juni 2016 in Armenien.
Im Gespräch mit den Journalisten aus Österreich erläuterte Karekin II. die armenische Position mit dem Verweis auf die Region Nachijewan. Diese war von den Sowjets 1921 Aserbaidschan zugeschlagen worden, obwohl dort damals 60 Prozent der Bevölkerung Armenier waren. Heute gebe es dort keine armenischen Spuren mehr. Und das gleiche Schicksal hätte nach dem Zerfall der Sowjetunion auch der Region Berg-Karabach gedroht, wenn es an Aserbeidschan gefallen wäre, zeigte sich Karekin überzeugt.
Armenisch-apostolische Kirche in Österreich:
www.armenia.at