Ein Hipster fühlt sich hier gleich zuhause: Im sogenannten „Wohnzimmer“ treffen sich alle, die gerne plaudern, essen oder nur Da-sein wollen.
Ein Hipster fühlt sich hier gleich zuhause: Im sogenannten „Wohnzimmer“ treffen sich alle, die gerne plaudern, essen oder nur Da-sein wollen.
Drogen, Junk Food und religiöser Glaube. Auf das könnten 18- bis 34-Jährige laut einer ORF-Studie aus 2016 am ehesten verzichten. Warum dennoch junge Christen ihre kirchenfernen Freunde zu einer römisch-katholischen Messe einladen.
Es gibt junge Messen. Es gibt sie total und höchst erfolgreich. „dieMesse“ heißt das, was in der Wiedner Florianikirche geschieht. Junge fromme Christinnen und Christen feiern dort wöchentlich eine heilige Messe und laden dazu ihre nicht-frommen Freunde ein.
Es war eine Gruppe von jungen Leuten, die es satt hatten, dass es in ihrem Umfeld keine attraktiven, ihrer Zeit entsprechenden Gottesdienste gab, zu denen sie selbst gerne gehen und dazu nicht kirchlich-sozialisierte oder kirchenkritische Freunde ohne Scham und Skrupel einladen konnten.
Sie wollten nicht hinnehmen, dass sich ihr Glaube und ihre Kirche sang- und klanglos in Parallelwelten einbunkert oder als irrelevant und „von gestern“ abgestempelt wird. Sie wollten ernst genommen werden.
Sie bildeten das Team „dieMesse“. Ein revolutionärer Akt in einer Welt, die so etwas als exotisch abstempelt.
Die hundert jungen Leute, die jede Woche in die Wiedner Florianikirche kommen, sind zwischen 20 und 25 Jahre alt. Auch einzelne ältere Semester wollen eine Messe dieser Art mitfeiern.
Direkt neben dem verschlossenen Haupteingang der Kirche lädt eine offene Tür mit dem Schild „das Wohnzimmer“ in einen großzügig angelegten Raum. Hier erfolgt eine herzliche Begrüßung von zwei jungen Leuten – und wer es nicht weiß, erfährt von ihnen, wo er hier gelandet ist.
Hipp, modern und schick ausgeleuchtet ist „das Wohnzimmer“. Da gibt es Sofas, EURO-Paletten-Regale, Bildermosaik-Wände und einen Tischfußballtisch. Bei Wasser, Saft, Bier, Suppe und Brotaufstrichen laden die Jungen vor und nach „dieMesse“ zum Plaudern, Dableiben und Kennenlernen ein. Das Team von „dieMesse“ hat „das Wohnzimmer“ mit Selbstgezimmertem umgemöbelt.
Der Einzug der jungen Revoluzzer in die Pfarre St. Florian verlief ohne Widerstände. Die Erfahrung zeigt: Eine restriktive Pfarrpolitik kann Experimente wie „dieMesse“ ordentlich ausbremsen.
Pfarrer Gerald Gump, ehemaliger Jungscharseelsorger in der Erzdiözese Wien, und der Pfarrgemeinderat von St. Florian waren schnell überzeugt.
Mitinitiator und Hebamme für diese geglückte Geburt ist Kaplan Martin Sinnhuber. Er holte die Jungen jede Woche in seiner Predigt in „dieMesse“ aus ihrem Alltag ab und baute eine Brücke zum Wort Gottes. Sein spezielles Charisma wird von den Jungen geschätzt, es ist ein wichtiger Erfolgsfaktor von „dieMesse“.
Revolutionäres, ob in Stein oder Wort, war in der Pfarre St. Florian nicht immer widerstandsfrei. Unter heftigen Protesten wurde 1965 die alte Rauchfangkehrerkirche an der Wiedner Hauptstraße wegen der Straßenbahnführung abgerissen. Sie war ohnehin zu klein geworden für die damals 22.000 Katholiken im Pfarrgebiet St. Florian.
Der Neubau aus 1967, ein kastenförmiger Beton-Glasbau mit bunten Fenstern vom deutschen Architekten Rudolf Schwarz bot viel mehr Platz. Platz, der schon lange nicht mehr ausgefüllt wird.
Knapp zehn Prozent der heute 750.000 Wiener Katholiken feiern sonntags einen Gottesdienst. Es gibt keine Statistiken, wie viele davon unter 35 Jahre alt sind.
Viele Junge sind heute nicht mehr kirchlich sozialisiert. Nur knapp ein Drittel der in der Österreichischen Jugendwertestudie 2006 befragten Jugendlichen zwischen 14 und 24 Jahren gab an, sich selbst als „religiös“ zu verstehen. Gleichzeitig sagten 69 Prozent der Jugendlichen, dass sie an Gott glauben.
Die jungen Revoluzzer von „dieMesse“ in St. Florian kennen die Jugend-Trends aus eigener Erfahrung und aus ihrem Umfeld. Gemeinsam mit ihren nicht-frommen, kirchenkritischen Freunden wollen sie mit „dieMesse“ ein attraktives Angebot auf dem Markt der Religiosität anbieten und zeigen, wie der christliche Glaube das Leben bereichern kann.
Auch Papst Franziskus will die Jugend wiedergewinnen. Bereits im Frühjahr lud er 315 junge Erwachsene, Katholiken, Atheisten und Muslime aus fünf Kontinenten zu einem Vorbereitungstreffen für eine vatikanische Jugendsynode.
Die Jugend-Bischofssynode im Herbst 2018 steht unter dem Motto „Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsunterscheidung“. Papst Franziskus ließ im Vorfeld der Synode die Lebensrealitäten und Lebensfragen der Jungen sammeln. Er will sie verstehen. Franziskus will in Beziehungen mit den Jungen investieren. In die Zukunft der katholischen Kirche. Und junge, fromme Revoluzzer mag der Papst besonders gern.
"DIEMESSE" WIEDER AB 9. Sept.
Im Halbdunkel bei Neonlicht und Weihrauchschwaden sind sie dabei – aus fester Überzeugung oder aus reiner Neugier.
Ab 9. September lädt das „diemesse”-Team der Pfarre zur Frohen Botschaft wieder zu ihrem Gottesdienst für junge Menschen ein:
Jeden Sonntag um 19 Uhr in der Florianikirche
in Wien 5, Wiedner Hauptstraße 97.
Infos: Telefon +43 (1) 505 50 60
„diemesse” ist unter diemessest.florian auch auf Facebook.
Fragen an den Priester Dipl.-Theol. Martin Sinnhuber
Junge Christinnen und Christen wollen einen attraktiven Gottesdienst gestalten. Für sich und für ihre nicht-gläubigen Freunde. Was war die Idee?
Ein junger Mensch, der sich heute überhaupt noch zum Glauben bekennt, steht in einer unglaublichen Gegenwind-Situation oder wird verlacht oder es wird gesagt: Ja, bist du bescheuert, da noch hinzugehen.
Und die jungen Gläubigen wollen irgendwann zeigen und sagen: Nein, das ist schön und das gibt mir was für mein Leben. Komm einmal mit. Da kann vielleicht auch für dein Leben was Spannendes dabei sein. Das ist bei „dieMesse“ der Aufhänger.
Verläuft die demographische Entwicklung der römisch-katholischen Kirche so, dass sie bald keine jungen Erben mehr hat?
Wenn die traditionelle Kirche sich nicht aufmacht und ihren großen Schatz auf andere Weise anbietet, dann wird sich das verdünnisieren.
Ein junger Mensch möchte sich immer auch in irgendeiner Form einbringen und mitgestalten. Es braucht nicht nur die Orte. Wir müssen die Lebenswirklichkeiten der Jungen kennen. Das heißt nicht, dass ich mich anpassen muss.
Wenn ich eine relevante Botschaft bringen möchte, muss ich wissen, wo ich sie hineinspreche und ich muss die Sprache der Jungen in übertragendem Sinn verstehen, wie kann ich sie erreichen und ansprechen.
Wo haben Sie die Sprache der Jungen und das Storytelling gelernt?
In der Jugend habe ich ganz andere Dinge kennengelernt. Ich finde es selber ja viel schöner, wenn jemand so redet, dass auch mein Alltag berührt wird. Da habe ich viel aus Freikirchen und anglikanischen Kirchen mitgenommen.
Was hat die katholische Kirche der Jugend zu bieten?
Was ist eigentlich mein Platz im Leben? Wo werde ich gebraucht? Wenn etwas schief gegangen ist, kann ich immer neu anfangen.
Wie werde ich glücklich, das ist die Hauptfrage. Da hat die Kirche echt was zu geben. Wenn Jesus vom Leben in Fülle spricht, dann trifft das genau unsere Ursehnsucht.
die Zeitung der Erzdiözese Wien
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