Hingabe ist das Geheimnis jeder Liebe.
Hingabe ist das Geheimnis jeder Liebe.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 6. Sonntag der Osterzeit, 21. Mai 2006,
(Joh 15,9-17)
Mir ist dieses Wort Jesu im heutigen Evangelium besonders kostbar. Als ich 1991 von Papst Johannes Paul II. zum Weihbischof von Wien ernannt wurde, habe ich es mir als Motto gewählt: Vos autem dixi amicos - euch aber habe ich Freunde genannt.
„Freundschaft“ - worin besteht sie? Was macht sie aus? Und was heißt es, mit Jesus Freund zu sein?
Vielleicht hilft es, auf die klassische Lehre von den vier Arten der Liebe zurückzugreifen. Da ist zuerst die erotische Liebe. Sie ist mehr als Sexualität, hat aber viel mit ihr zu tun. Ihr „Kitt“ ist die Anziehungskraft der Geschlechter.
Anders ist die Liebe einer Mutter für ihr Kind. Nennen wir sie die Elternliebe. Sie wird genährt vom „Brutpflegeinstinkt“, den es schon in der Tierwelt gibt. Sie entfaltet sich in der Hingabe für die eigenen Kinder.
Eine dritte Form der Liebe ist es, wenn eine Krankenschwester für einen Patienten sorgt, oder wenn wir einem Menschen in Not helfen. Wir könne das die caritative Liebe nenne.
Und schließlich ist es nochmals eine andere Art der Liebe, wenn zwei Menschen über viele Jahre gute Freunde sind. Es ist die Freundschaftsliebe.
Diese vier Arten der Liebe sind wie vier Ströme, die eine gemeinsame Quelle haben: die Liebe selbst. Es gibt im Grunde nur eine Liebe, die sich in verschiedenen Weisen äußert. Ihr Ursprung ist Gott selber. „Gott ist Liebe“, sagt die Bibel. Und Jesus heute: „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe.“ Weil wir aus dem Stoff der Liebe gemacht sind, können wir ohne sie nicht leben. Im Hass verkommen wir, Lieblosigkeit zerstört die Freude am Leben. Jesus will, dass „meine Freude in euch ist“. Das geht nicht ohne die Liebe.
Worin besteht nun die Liebe? Was macht alle diese Ausdrucksformen zu Arten der Liebe? Jesus sagt es: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ Hingabe ist das Geheimnis jeder Liebe. Ohne sie wird Eros zur Marktware, die Elternliebe zum Egoismus, die Caritas zur lästigen Pflicht. Und Freundschaft entsteht erst gar nicht, wenn der eine nur an seinen Vorteil denkt.
Freundschaft hat das Besondere, dass sie gegenseitig ist. Es gibt keine einseitige Freundschaft. Bleibt das Angebot, Freunde zu werden, vom einen unbeantwortet, dann entsteht keine Freundschaft.
Jesus hat uns seine Freundschaft angeboten. Wie können wir darauf eingehen, um seine Freunde zu werden? Freundschaft bedeutet, sich auf den anderen einlassen. Bei Jesus heißt das: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage.“ Der Freund will den Freund nicht enttäuschen. Dazu ist die Freundschaft zu kostbar. Dieser Freund, Jesus, hat mich nie enttäuscht. Ich ihn sicher öfters. Aber er ist und bleibt der ganz treue Freund.
Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe!
Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe.
Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird.
Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage.
Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe.
Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt. Dann wird euch der Vater alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet.
Dies trage ich euch auf: Liebt einander!