Wenn das Weizenkorn nicht auf die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.
Wenn das Weizenkorn nicht auf die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium am 5. Fastensonntag,
29. März 2009 (Joh 12,20-33)
Es muss in die Erde fallen und sterben, sonst bleibt es allein, sonst bringt es keine Frucht. So ist es bei jeder Aussaat. So ist das Gesetz der Natur. Durch Sterben zum Leben. Durch Absterben zum Aufleben. Wie tot sieht der Weinstock im Winter aus. Alles ist abgefallen, weggeschnitten. Nur der kahle, knorrige Stamm des Weinstocks ist übrig. Wie ein Wunder ist es, wenn im Frühjahr der Weinstock auszutreiben beginnt.
Jesus gebraucht das Bild vom Weizenkorn, das sterben muss, um zu leben. Er bezieht es auf sich selber. Und auf uns alle. Er zeigt ein tiefes Lebensgesetz, das für alle Menschen gültig ist. Aber er erinnert daran in einer besonderen Stunde, an einem Moment seines Lebens, der gar nicht nach Sterben aussieht, sondern nach Erfolg.
Es war wohl das Jahr 30, Jesu letztes Osterfest in Jerusalem, unter vielen tausenden Pilgern. Da berichten zwei seiner engsten Begleiter, eine Gruppe von „Griechen“ sei da, und sie wollen Jesus sehen. „Griechen“ ist eine etwas vornehmere Art, „Heiden“ zu bezeichnen. Heiden wollen Jesus sehen! Endlich scheint es soweit. Ein Durchbruch! Jesus wird von den Heiden „entdeckt“. Sie wollen ihn sehen, berühren, hören. Heiden finden den Weg zu Jesus! Ist das nicht - endlich - das Ziel seiner Mission?
Wie reagiert Jesus? Freut er sich? Sieht er sich am Ziel seiner Mission? Über die Grenzen des Judentums hinausgehen, zu allen Völkern, in alle Länder, war nicht das sein Wunsch, sein Auftrag?
Jesus zeigt, wie bedeutsam dieser Moment ist: „Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird.“ In diesen Worten klingt Freude an, Dankbarkeit, Erfüllung. Doch dann wendet sich der Ton. Ganz unerwartet spricht er vom Sterbenmüssen, im Bild vom Weizenkorn.
Statt dem Erfolg auf der Spur zu bleiben, kommen Worte über das unausweichliche Leiden: „Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber in dieser Welt sein Leben gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben.“ Das ist ein heute noch genauso gültiges Gesetz. Wer nur ängstlich darauf schaut, sein eigenes Leben zu sichern, zu genießen, für sich selber zu leben, wird es nicht halten können. Unerbittlich zerrinnt es, wie in einer Sanduhr.
Das gilt im persönlichen wie auch im öffentlichen und kirchlichen Leben. Vieles müssen wir im Leben loslassen. Vieles stirbt, und nur so kann Neues wachsen. In dieser weltweiten Wirtschaftskrise geht manches schmerzlich zugrunde. Möge es nicht durch einen Krieg, sondern in friedlicher, sozialverträglicher Weise geschehen, damit wieder Neues wachsen kann.
Nicht anders ist es in der Kirche. Die Turbulenzen der letzten Wochen (und schon der letzten Jahre) sind auch ein leidvolles Sterben einer alten Gestalt der Kirche. Die neue Gestalt wächst schon im Stillen, oft noch unbeachtet, wie der junge Weizen im Frühjahr. Ich sehe die Ereignisse auch als Geburtswehen. Ich hoffe, dass dieses Sterben des Weizenkorns reiche Frucht tragen wird. Warum ich diese Hoffnung habe? Weil Jesus auf diesem Weg erfolgreich war: durch Kreuz und Leid zur Auferstehung.
In jener Zeit traten einige Griechen, die beim Osterfest in Jerusalem Gott anbeten wollten, an Philippus heran, der aus Betsaida in Galiläa stammte, und sagten zu ihm: Herr, wir möchten Jesus sehen. Philippus ging und sagte es Andreas; Andreas und Philippus gingen und sagten es Jesus.
Jesus aber antwortete ihnen: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird. Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht auf die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.
Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben. Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren. Jetzt ist meine Seele erschüttert. Was soll ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde?
Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen! Da kam eine Stimme vom Himmel: Ich habe ihn schon verherrlicht und werde ihn wieder verherrlichen.
Die Menge, die dabeistand und das hörte, sagte: Es hat gedonnert. Andere sagten: Ein Engel hat zu ihm geredet.
Jesus antwortete und sagte: Nicht mir galt diese Stimme, sondern euch. Jetzt wird Gericht gehalten über diese Welt; jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen werden. Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen.
Das sagte er, um anzudeuten, auf welche Weise er sterben werde.