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06.05.2015

"Wir werden uns zu Tode wachsen"

Ökonom Tomáš Sedláček erklärt die Krise der Wirtschaft

"Wenn Jesus von der Vergebung der Schulden spricht, dann verwendet er Wirtschaftssprache", sagt Tomáš Sedláček.

Der tschechische Ökonom und Bestsellerautor Tomáš Sedláček kritisiert im "Sonntag"-Interview die Schuldenmacherei, um mehr Wirtschaftswachstum zu erzielen. Er empfiehlt, in florierenden Zeiten zu sparen und den Überfluss nicht zu konsumieren, sondern für später aufzuheben.

Was läuft in unserer Wirtschaft falsch?

Tomáš Sedláček: Wir hören die ganze Zeit von den Medien und Politikern, dass die Wirtschaft depressiv sei. Das ist meiner Ansicht eine falsche Diagnose, sie ist nämlich manisch-depressiv. Sie hat die Tendenz, es in guten Zeiten mit Euphorie und in schlechten Zeiten mit Niedergeschlagenheit zu übertreiben. Manien sind für mich genau so gefährlich wie Depressionen. Von der Psychiatrie wissen wir, dass der Organismus unter beiden Umständen zusammenbricht. Wir haben uns zu sehr auf die Depressionen konzentriert und die Manien nicht wirklich viel beachtet – und das war der große Fehler.

 



Welche Alternative gibt es? Wie können wir dem Teufelskreis entkommen?


Tomáš Sedláček: Schauen wir uns die Josefsgeschichte im Buch Genesis an: Der Pharao bekam im Traum die makroökonomische Voraussage von sieben guten und sieben schlechten Jahren. Das Heilmittel findet sich in dieser alten Erzählung der Bibel. Was ist in den manischen Perioden zu tun? Nicht alles konsumieren, was in den fruchtbaren Jahren wächst, sondern für die schlechten Jahre sparen. Wir taten vor der Krise genau das Gegenteil von dem, das Josef dem Pharao geraten hat. Der einzige Weg, den wir für die Heilung der Wirtschaft sehen, ist der Aufbau von Schulden. Diese alte ägyptische Zivilisation kam durch noch stärkere Krisen, weil sie sparte. Die heutigen Regierungen sparen nicht, sondern machen Schulden. Natürlich kann das System kuriert werden: Josef verringerte die Amplitude des Konjunkturzyklus. Das ist politisch sehr schwer durchsetzbar, weil Politiker immer das größtmögliche Wachstum wollen. Die größte Gefahr für die Zivilisation sehe ich, ökonomisch gesprochen, dass wir uns zu Tode wachsen.

Kann die Wirtschaft ohne Wachstum überhaupt fortbestehen?


Tomáš Sedláček: In unserer modernen Wirtschaftsideologie nehmen wir automatisch an, dass Wachstum normal ist und uns immer begleiten wird. Natürlich ist alles leichter mit Wachstum. Aber in der Annahme zu leben, dass das Bruttoinlandsprodukt jedes Jahr wachsen wird, ist extrem naiv. Die Wirtschaft wächst offensichtlich nicht die ganze Zeit. Der Aufbau unseres Sozialsystems unter der Annahme eines ständigen Wirtschaftswachstums ist wie ein Schiff unter der Prämisse zu bauen, dass jeden Tag ein günstiger Wind weht. Das ist kein gutes Schiff. Ein gutes Schiff sollte still stehen können, wenn einmal der Wind nicht bläst, und auch imstande sein, einen Sturm auszuhalten.

Sie haben das Alte Testament angesprochen. Welche Verbindungen bestehen zwischen Christentum und Ökonomie?


Tomáš Sedláček: Wenn wir Jesu Gleichnisse vom Reich Gottes lesen, haben zwei Drittel davon tatsächlich einen ökonomischen Inhalt: eine Frau verliert eine Münze, die Arbeiter im Weinberg, die Diener mit den Talenten und den Zinsen. Jesus nutzt oft die ökonomische Sprache. Er sagt: „Ich bin gekommen, um die Schulden zu vergeben.“ Im neutestamentlichen Griechisch sind Schuld und Sünde gleichgesetzt. Was geschah in jenen Tagen, wenn Menschen verschuldet waren? Sie wurden Sklaven des Eigentümers der Schuld. Entweder warteten die Verschuldeten auf das Jubeljahr, alle 49 Jahre gab es einen Neustart der Wirtschaft. Oder sie mussten auf den Erlöser warten, welcher die Schuld auf sich selbst nahm und dafür bezahlte.
Die jetzige Debatte um Griechenland ist eine Fortsetzung der theologischen Debatte, ob Griechenland ein Bruder ist oder nicht. Liebe deinen Nächsten! Sind die Griechen unsere Nächsten, ist Griechenland ein Markt oder Teil der Familie? Sollen wir vergeben? Wie oft, 7- oder 77-mal?

Apropos Griechenland: Soll das Land die Euro-Zone verlassen?


Tomáš Sedláček: Solange es möglich ist und es Hoffnung gibt, sollten wir die Euro-Zone nicht aufbrechen. Ganz einfach, wir wissen nicht, was passieren wird. Das könnte einen Dämon schaffen, der viel größer als all unsere heutigen Probleme sein könnte. In dem Moment, in dem wir beginnen, den Euro zu zerlegen, könnten andere Länder folgen. Einmal den Euro auseinandergenommen, können wir ihn niemals wieder zusammenbauen. Wenn jemand glaubt, dass Europa global wettbewerbsfähiger mit 28 verschiedenen Währungen wird, dann irrt er. Aber wenn wir es schaffen, den größten Test bezüglich des europäischen Zusammenhalts zu bestehen und die Krise zu stemmen, dann kann uns nichts mehr so leicht umhauen.

Sie haben sich in Ihren Studien intensiv mit Thomas von Aquin beschäftigt.


Tomáš Sedláček: Bei ihm sieht man die Verbindung zwischen Ethik und Wirtschaft. So fragt sich Thomas etwa selbst: "Kann ich zwei Hemden besitzen und mein Bruder hat keines?" Im Beantworten dieser ethischen Frage schreibt er einen Diskurs über Eigentumsrechte. Dieser mündet in dem, was wir heute Ökonomie nennen würden.

Heftig diskutiert wird gerade das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP. Wie stehen Sie dazu?


Tomáš Sedláček: Natürlich bin ich für das Niederreißen der Barrieren im internationalen Handel. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind unsere engsten Partner. Wir müssen vorsichtig mit den Implikationen sein, die das Abkommen mit sich bringt. Wir haben eine sehr ähnliche Kultur, deshalb bin ich für die Zunahme des Handels zwischen unseren beiden großen Zivilisationen. Ob es dazu genau diese Form des TTIP braucht, ist die Frage.

erstellt von: Der Sonntag / Markus Langer
06.05.2015
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Zur Person

Tomáš Sedláček, geboren 1977, wurde einem breiteren Kreis durch sein Buch "Die Ökonomie von Gut und Böse" bekannt. Dieses wurde in 17 Sprachen übersetzt und u.a. mit dem Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2012 ausgezeichnet.


Sedláček war Berater des tschechischen Präsidenten Václav Havel und beriet den Präsidenten der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, bei dessen Initiative "Neues Narrativ für Europa". Er ist Mitglied des Programme Council for New Economic Thinking des Wirtschaftsforums Davos. Häufig wird er als Redner, Diskussionsgast und internationaler Kommentator angefragt.


Er arbeitet für die größte tschechische Bank als makroökonomischer Chefstratege. An der Prager Karls-Universität hält er Vorlesungen und sitzt im Vorstand mehrerer gemeinnütziger Organisationen.


Der Ökonom promovierte mit Auszeichnung 2001 zum Doktor der Philosophie an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Karls-Universität. 2006 erhielt er ein Stipendium (Yale World Fellows Program) an der Yale University, USA.

 

Buchtipp

Tomáš Sedláček

Die Ökonomie von Gut und Böse


2012, Carl Hanser
Übersetzt von Ingrid Proß-Gill
448 Seiten
ISBN: 978-3-446-42823-2

Dieses Buch online bei der Wiener Dombuchhandlung "Facultas" erstehen
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Was meint die Rede von der „glücklichen Schuld“ in der Osternacht?     

„Die Diagnose war der Anfang, nicht das Ende“

Diagnose Brustkrebs: Über ein Jahr lang  kämpft die zweifache Mutter mit der Erkrankung, erfolgreich.

Keine Sympathie für Pilatus (Mt 27,1-26)

Elisabeth Birnbaums Evangeliumsauslegung zum Palmsonntag (5.4.2020)

Vorurteil oder nicht? Die Kirche ist konservativ.

Ist die Kirche zu konservativ?

Durchkreuzt: Keine Antwort auf das Warum?

Ein Gott, bei dem uns alles klar wäre, ist nicht der Gott Jesu Christi.

Auferweckung ist nicht gleich Auferstehung (Joh 11, 3-7.17.20-27.33b-45 )

Br. Günter Mayer SDB: Evangeliumsauslegung zum 7. Fastensonntag (29.3.2020)

Vorurteil oder nicht? Ignoranz und Vertuschung

Der Skandal des Vertuschens

Weihbischof Turnovszky: Unser aller Leben hat sich schlagartig verändert

Corona und die Folgen, Weihbischof Turnovszky zur aktuellen Lage und wie sich auch sein Tagesablauf verändert hat.

Fürchtet euch nicht

Vom Umgang mit der Angst

Jetzt ist die Zeit der anderen Backe

Darauf müssen wir uns einfach einstellen. Lassen wir die Unduldsamkeit an der Liebe zerschellen!

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Freude einüben, Leben schöpfen (Joh 9,1)

Barbara Ruml: Evangeliumsauslegung zum 4. Fastensonntag (22.3.2020)

Christus, Heil der Kranken...

Es ist nicht mangelndes Gottvertrauen wenn wir medizinisch vorsichtig sind

Lebendig (Joh 4,5-26. 39a. 40-42)

Markus Beranek: Evangeliumsauslegung zum 3. Fastensonntag ( 15. März 2020)

Vorurteil oder nicht? Die Kirche ist: Verstaubt oder zeitgemäß?

Ist der Glaube und die Kirche überhaupt (noch) zeitgemäß.

Nach 66 Tagen.

Ein Kind, das lebensverkürzend erkrankt, verändert eine ganze Familie und die Hospizarbeit in Österreich.

Vorurteil oder nicht?: Nur Kinder, Küche und Kirche?

Welche Rolle spielen die Frauen in der Kirche? Sind Frauen generell spiritueller als Männer?

Hoffnung und Trost aus Stein und Glas?

Es macht nachdenklich, wenn Kirchen in Zeiten von Angst und Verunsicherung gesperrt werden.

Es ist gut, dass wir hier sind! (Mt 17, 1-9)

Sr. Franziska Madl OP: Evangeliumsauslegung zum 2. Fastensonntag (8.3.2020)

„Passionswege“ durch die Fastenzeit: Völlig allein gelassen

Die Geschichte eines Missbrauchs: Mit einem Mal ist die Zeit wieder präsent. Die Ereignisse liegen 40 Jahre zurück.

Genau hinschauen (Mt 4, 1-11)

Markus Muth und Michael Haller schreiben ihre Gedanken zum Evangelium zum 1. Fastensonntag, (1. März 2020)

Vorurteil oder nicht?: Zwischen Glaube und Geld

Den gängigsten Vorurteilen gegen die katholische Kirche auf den Grund gegangen.

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Neuer Online-Auftritt und wöchentliches Digital-Abo

Der SONNTAG in der Offensive

Selfie schicken und gewinnen

Hilfe für unbegleitete Flüchtlinge in Bosnien

„Pfarrnetzwerk Asyl“ hilft jugendlichen  Flüchtlingen konkret vor Ort in der Stadt Bihac.

Gesund durch den Winter mit Hildegard von Bingen. 7: Mit neuer Kraft ins Frühjahr

Expertin Brigitte Pregenzer gibt Tipps für eine wohltuende Reinigungskur, für Pollen-Allergiker und bei Frühjahrsmüdigkeit.

Gelassen pilgern durch das Weinviertel

Auf 153 Kilometern führt der „Jakobsweg Weinviertel“ von Drasenhofen nach Krems.

„Wir wollen nicht nationale Not gegen andere ausspielen“

Interview mit Andreas Knapp, Auslandshilfechef der österreichischen Caritas.

„In der Bibel ist immer Fasching“

Auch wenn der Fasching keine explizit kirchliche Erfindung ist, offensichtlich gibt es durchaus biblische Anleihen für ausgelassenes Feiern.

Genussvoll glauben: Immer der Nase nach

In dieser Ausgabe widme ich mich den Freuden, die wir uns durch Gerüche und Düfte bereiten können.

Nicht schon wieder! (Mt 5,38-48)

Elisabeth Birnbaums Evangeliumsauslegung zum 7. Sonntag im Jahreskreis (23.2.2020)

Neue Lektüre für Klein und Groß

Warum auch Erwachsene das eine oder andere Kinder- und Jugendbuch unbedingt zur Hand nehmen sollten, haben wir uns für Sie angeschaut.

Was tun bei Demenz?

Kurse und Lehrgänge vermitteln grundlegendes Wissen und einige hilfreiche Methoden und Ideen für einen stressarmen Alltag

Durchkreuzt: Einfach da sein dürfen vor Gott - ein Interview

Schicksalsschläge werfen oft aus der Bahn. Benediktinerpater Martin Werlen im Interview

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