Menschen in Teilzeit wollen länger arbeiten, Vollzeitkräfte wollen oft die Arbeitszeit verkürzen.
Menschen in Teilzeit wollen länger arbeiten, Vollzeitkräfte wollen oft die Arbeitszeit verkürzen.
Angesichts der wirtschaftlich nach wie vor sehr angespannten Lage in Österreich und Europa erfährt das Thema Arbeitszeit eine kleine Renaissance. Viele Menschen sind mit ihrer Arbeitszeit nicht zufrieden.
Die Themen "Arbeitszeit" beziehungsweise "Arbeitszeitverkürzung" werden seit einiger Zeit im deutschsprachigen Raum wieder verstärkt diskutiert. Viele Gründe spielen bei deren Wiederentdeckung eine Rolle, sagt der Wirtschaftswissenschaftler und Arbeitszeitforscher Michael Schwendinger. "Es gibt in der aktuellen Situation mehrere Krisen: die andauernde Wirtschaftskrise, in welcher der Kurzarbeit vorübergehend eine beschäftigungssichernde Funktion zukam, und die damit verknüpfte hohe Arbeitslosigkeit in Österreich und Europa. Man sucht nach Möglichkeiten, wie man auf dem Arbeitsmarkt gegensteuern kann, weil es über reines Wachstum nicht funktioniert. Erstens haben wir ein solches nicht, zweitens wollen wir es vielleicht nicht mehr in dieser Form, wenn wir an die ökologischen Grenzen denken." Weitere Herausforderungen seiner Ansicht nach sind der Anstieg gesundheitlicher Belastungen am Arbeitsplatz, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, oder die Gleichstellung von Frauen und Männer am Arbeitsmarkt.
In einer Studie im Auftrag der Arbeiterkammer ging Schwendinger der Frage nach, ob die Menschen in Österreich überhaupt kürzere Arbeitszeiten möchten. Die Haupterkenntnis seiner Analyse von Mikrozensusdaten: Die Arbeitszeitlandschaft in Österreich ist sehr gespalten. "Einerseits gibt es sehr viele lang arbeitende Menschen in Vollzeitbeschäftigung. Damit stehen wir in der EU auf Platz drei. Andererseits verzeichnen wir die zweitgrößte Teilzeitquote. Fazit: Sehr viele Menschen arbeiten relativ kurz – in Teilzeit, sehr viele relativ lang, 40 Stunden und mehr."
Weiters hat die Auswertung ergeben, dass im Durchschnitt der Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten besteht. „Eine Zahl, die heiß und intensiv diskutiert wird: Wenn man die Differenz zwischen Normalarbeitszeit und Wunscharbeitszeit auf Vollzeitstellen umrechnet, ergibt es rund 48.000 Vollzeit-äquivalente. Was natürlich nicht heißt, dass das direkt Arbeitsplätze wären." Ginge es nach den Wünschen der Beschäftigten, wäre das Arbeitsvolumen besser auf die Gesamtgesellschaft verteilt, so der Arbeitszeitsforscher: "Menschen in Teilzeit wollen länger arbeiten, Vollzeitkräfte wollen oft die Arbeitszeit verkürzen."
48 Prozent der Frauen arbeiten in Teilzeit. Sie übernehmen oft die Betreuung für Kinder und pflegebedürftige Erwachsene. Bei Männer sind es nur etwa 10 Prozent. "Ein Hinweis darauf, wie Reproduktionsarbeit in unserer Gesellschaft verteilt ist", so Schwendinger. Eine weitere große Kluft zwischen Frauen und Männern zeigt sich in der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit, die Differenz macht 8 Stunden 36 Minuten aus.
In der Arbeitszeitverkürzung sieht Volkswirt Michael Schwendinger nicht das Allheilmittel. "Wir können nicht die gesamte Arbeitslosigkeit damit bekämpfen." Die Forschungsliteratur sei in dieser Frage gespalten, aber es zeige sich eine leicht bejahende Tendenz, dass eine Verkürzung doch etwas bringen könnte. Es gebe mehrere Lösungswege. Ein Modell, das schon in mehreren Kollektivverträgen verankert ist, sei die Freizeitoption, bei der sich die Arbeitnehmer entscheiden, ob sie eine Lohnerhöhung oder mehr Freizeit haben möchten.
Man habe vor 30 Jahren bezüglich Arbeitszeitverkürzung einiges verabsäumt, stellt Walter Rijs, Präsident der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien, im Rückblick fest. "Als Gewerkschafter meinte ich damals, man hätte die Sache in Richtung 35-Stunden-Woche weiterfolgen sollen – auch mit solidarischem Lohnverzicht. Man kann nicht alles alleine den Unternehmen zumuten." Seine Idealvorstellung ist heute eine gesamteuropäische und radikale Lösung: "Fünf Stunden pro Woche in allen Ländern reduzieren, dann müssten verschiedenste Betriebe neues Personal einstellen. Man muss eine solche Regelung so absichern, dass sie nicht mit Überstunden übergangen werden kann." Dieses Ziel könne man nicht mittels gewerkschaftlichem Kampf, sondern nur auf Verhandlungsbasis mit den Sozialpartnern erreichen, so Rijs.
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