Gerlinde Schein: "Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Beschäftigte in Entscheidungsprozesse einzubeziehen."
Gerlinde Schein: "Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Beschäftigte in Entscheidungsprozesse einzubeziehen."
Gerlinde Schein, Beraterin für Organisations- und Personalentwicklung bei der Katholischen Sozialakademie, über alternative Strukturen von Betrieben.
Ist Demokratie am Arbeitsplatz möglich?
Gerlinde Schein: Diejenigen, die die Macht haben, müssen es wollen. Wenn die Bereitschaft von der Eigentümerseite oder dem Topmanagement vorhanden ist, zeigen viele ermutigende Beispiele, dass dieser Weg beschreitbar ist und sich eine individuelle Lösung finden lässt. Dieser Prozess dauert, es gibt Höhen und Tiefen. Auch Scheitern ist nie auszuschließen.
Wie kann man in einem Unternehmen mit einer klassisch hierarchischen Struktur eine flache einführen?
Gerlinde Schein: Alle Betriebe, die sich auf den Weg gemacht haben, empfehlen, sich gemeinsam mögliche Schritte zu überlegen. Das kann von „homöopathischen Dosen“ bis zur radikalen Umstellung gehen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Beschäftigte in Entscheidungsprozesse einzubeziehen: Einstellung von neuem Personal, Bestimmung von Führungskräften durch eine Wahl, gemeinsame Festsetzung von Gehältern, Verteilung von Aufgaben usw. Mittels guter Moderation und Entscheidungsmethoden ist darauf zu achten, dass intelligente Gruppenentscheidungen zustande kommen. Es muss verhindert werden, dass sich in der Gruppendynamik informelle Meinungsführerschaft und informelle Hierarchien herausbilden.
Welches gelungene Beispiel kennen Sie?
Gerlinde Schein: In einem Tiroler Technologieunternehmen sind alle der etwa 40 Beschäftigten mittlerweile Gesellschafter. Gemeinsam werden in der Gesellschafterversammlung strategische Entscheidungen über Investitionen oder die Verwendung des Gewinnes getroffen. Gleichzeitig ist klar, dass man nicht jede einzelne Entscheidung des Alltags im operativen Geschäft gemeinsam trifft. Es entscheidet diejenige Person, in deren Kompetenz- und Verantwortungsbereich eine Sache fällt.
Welche Führungskultur braucht es bei einer nicht-hierarchischen Struktur?
Gerlinde Schein: Es ist ein gemeinsames Verständnis darüber notwendig, dass Führung nicht an Führungskräften anhaftet. Sondern in der Gemeinschaft ist dafür Sorge zu tragen, dass Ziele gesetzt, Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden. In der einen Situation führe ich und in der anderen folge ich.
Sehen Sie im digitalen Wandel eine Chance für alternative Modelle von Organisationsstrukturen?
Gerlinde Schein: Gefragt sind künftig Betriebe, die mit Schnelligkeit, Unberechenbarkeit, radikalen Veränderungen umgehen können. Dazu sind Strukturen nötig, die eine gewisse Schnelligkeit aufweisen. Bei steilen Hierarchien sind Entscheidungswege oft sehr lang.
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