„Mein so genannter Ruhestand hat mir wieder neue Perspektiven eröffnet."
„Mein so genannter Ruhestand hat mir wieder neue Perspektiven eröffnet."
Leben im Alter: ein Priester und ein Altersforscher erzählen
Prälat Ernst Freiler ist seit drei Jahren als Pfarrer von Perchtoldsdorf in Pension. Annehmen und Loslassen sind für ihn in dieser Lebensphase, die auch neue Perspektiven bringt, wichtig geworden.
Prälat Ernst Freiler, seit drei Jahren Priester in Pension, hat viele Kontakte zu älteren Priestern und begleitet diese auch seelsorglich. „Mein so genannter Ruhestand hat mir wieder neue Perspektiven eröffnet. Ich bin gut befreundet mit meinem Nachfolger und unterstütze ihn mit Gottesdiensten und in der Seelsorge“, erzählt der ehemalige Pfarrer von Perchtoldsdorf im Gespräch mit dem SONNTAG.
In Bezug auf das Leben von Priestern im Ruhestand spricht er von vielfältigen Möglichkeiten. Ernst Freiler hat sich („Der Bischof hat mir den Segen dafür gegeben“) eine Wohnung in Perchtoldsdorf gemietet. „Ich lebe hier in einer Wohnhausanlage auf Augenhöhe mit den Menschen und fühle mich sehr wohl“. Obwohl nur ein kleiner Teil seiner Nachbarn Kontakt zur Kirche hat, wie er sagt.
Froh ist er darüber, dass er jetzt von administrativen Aufgaben frei ist und sich dem Dienst an den Menschen, die Hilfe brauchen, widmen kann. „Auch Priester werden älter“, sagt Ernst Freiler. Deshalb ist es ihm wichtig, Kontakte zu Priestern im Ruhestand zu pflegen, die allein oder krank sind.
Was erscheint dem Pfarrer in Pension in dieser Lebensphase besonders wichtig?
Ernst Freiler: „Die Leute sagen: Ich kann nicht mehr so wie früher. Hier heißt es anzunehmen und loszulassen von dem, was einem noch nachläuft. Da kann es auch um Vergebung gehen und darum, Aufgaben jenen zu überlassen, die diese bewältigen können.“
Und er möchte Beziehungen pflegen, zum einen die Gottesbeziehung vertiefen und zum anderen die Beziehung zu den Mitmenschen suchen.
„Jeder kann noch etwas einbringen. Niemand hat nichts zu geben. Menschen brauchen Aufgaben, die ihnen entsprechen.
Schlimm ist es, wenn sich Menschen zurückziehen und dann nur mehr um sich selber kreisen.“
Es muss für die Älteren mehr geben als die Großelternrolle und die Konsumrolle, sagt der Altersforscher Franz Kolland von der Uni Wien.
Radio Wien meldete in den Morgenstunden: „An der Abstimmung über das Parkpickerl in Wien-Simmering dürfen Personen zwischen dem 16 und dem 104. Lebensjahr teilnehmen...“ Wow, dachten sich da wohl viele, 104! Dass wir immer älter werden ist gemeinhin bekannt (und positiv), aber in unserem Denken wohl noch nicht so wirklich angekommen.
Im Hinblick auf die steigende Lebenserwartung gibt es die Idee einer neuen Kultur des Alterns („Aktives Altern“), allerdings ist auch diese noch wenig entfaltet.
Franz Kolland, Gerontologe, also Altersforscher, an der Universität Wien sagt im Gespräch mit dem SONNTAG: „Älteren Menschen wird heute zum einen die Großelternrolle, zum anderen die Konsumrolle (einkaufen, reisen) zugewiesen. Das ist unzureichend“.
Die Altersforschung befasst sich u.a. mit der Frage: Was sind die Bedingungen, dass Menschen auch noch mit 70, 80 und 90 kreativ sein können, selbst etwas schaffen und erzeugen?
Neu angedacht wird auch das Thema „Wohnen im Alter“: Gab es bis vor einigen Jahren nur die Möglichkeiten, entweder zu Hause zu bleiben, oder in ein Altersheim zu ziehen, besteht mittlerweile ein breites Angebot von privat organisierten Wohngemeinschaften bis zum in Deutschland forcierten Modell „Wohnen gegen Hilfe“: Studentinnen und Studenten wohnen kostenlos bei älteren Menschen und unterstützen diese in ihrem Alltagsleben.
„Die heutige Situation von älteren Menschen in Österreich ist eine recht günstige, vor allem im Vergleich zu ihrer Vorgängergeneration“, sagt Franz Kolland.
Dass man gute soziale Beziehungen hat, gehöre zur Lebensqualität im Alter entscheidend dazu. Auch Glaube und Spiritualität spielen eine große Rolle, „weil der Sinn immer wichtiger wird und da ist die Spiritualität eine große Hilfe“
Verändern sich der Glaube und die Spiritualität eines Menschen mit zunehmendem Alter?
Prälat Ernst Freiler, Priester im Ruhestand, verweist in diesem Zusammenhang auf die Geschichte des Mose.
Dessen Leben lasse sich in drei Phasen beschreiben: Die erste Phase schildert sein Aufwachsen und seine Ausbildung, die zweite umfasst seine Flucht aus Ägypten und die Zeit in der Wüste. Hier denkt sich Mose: Vielleicht kann Gott aus meinem Leben, in dem ich gescheitert bin, noch etwas machen?
Schließlich offenbart sich Gott Mose in der dritten Phase im brennenden Dornbusch. Mose erfährt: Gott liebt mich, Gott ist mit mir. Er führt mich und stärkt mich. Mose führt in der Folge sein Volk aus Ägypten.
Ernst Freiler: „Ich wünsche mir in meiner dritten Phase eine Gottesbegegnung, in der ich erfahre: „Du bist geliebt und hast noch wichtige Aufgaben in einer Welt, in der es drunter und drüber geht – nach deinen Möglichkeiten schmeiß dich da noch hinein!“
„Gerotranszendenz“ nennt sich ein Konzept in der Alterforschung, das vom Soziologen Lars Tornstam entwickelt wurde.
Dieses geht davon aus, dass der Mensch im Alter eine andere Weltsicht und andere Perspektiven gewinnt. Das Alltägliche nimmt an Bedeutung ab, das Transzendente (was über uns und die sichtbare Welt hinausgeht) wird bedeutender.
Diese Denkweise zeige in der Betreuungs- und Pflegearbeit günstige Auswirkungen, sagt der Altersforscher Franz Kolland.
Von pflegenden Personen etwa kann die Gerotranszendenz durch Fragen ins Blickfeld gerückt werden.
weitere Informationen zu
E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at