Die Migrationsproblematik sei "eine Frage, die nicht einige Länder gleichgültig lassen darf, während andere die humanitäre Last tragen, oft mit beträchtlichem Aufwand und schweren Unannehmlichkeiten", sagte Franziskus.
Die Migrationsproblematik sei "eine Frage, die nicht einige Länder gleichgültig lassen darf, während andere die humanitäre Last tragen, oft mit beträchtlichem Aufwand und schweren Unannehmlichkeiten", sagte Franziskus.
Papst kritisiert Abschottung gegen Flüchtlinge und fordert entschiedeneres Vorgehen gegen Terrorismus.
Papst Franziskus hat Sorge über die derzeitige Situation Europas geäußert. Der Kontinent erlebe gerade "einen entscheidenden Moment seiner Geschichte" und müsse seine Identität wiederfinden, forderte er bei seiner Neujahrsansprache vor den beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomaten am Montag, 9. Jänner 2017.
Angesichts "spalterischer Kräfte" brauche die Idee von Europa dringend eine Aktualisierung, da nur so ein "neuer Humanismus" sowie die früher dem Kontinent eigene Fähigkeit zu Integration, Dialog und schöpferischer Kraft sichergestellt werden könne, so der Papst. Weiterhin sehe er den europäischen Einigungsprozess als "einzigartige Gelegenheit zu Stabilität, Friede und Solidarität zwischen den Völkern".
Die traditionelle Neujahrsrede vor dem Diplomatischen Corps gilt als eine der wichtigsten päpstlichen Äußerungen zur Weltpolitik. Gegenwärtig unterhält der Vatikan volle diplomatische Beziehungen zu 182 Staaten, darunter seit kurzem auch die Islamische Republik Mauretanien. Hinzu kommen Botschaften bei der EU und dem Souveränen Malteserorden.
Scharf wandte sich der Papst gegen eine "Ideologie, die soziale Notstände ausnützt, um Verachtung und Hass zu schüren und den anderen als Feind zu betrachten, der vernichtet werden muss". Ideologien würden sich oft als "Heilsbringer für das Volk" verkleiden, dabei jedoch in Wahrheit "Armut, Gräben, soziale Spannungen, Leid und nicht selten auch Tod" zurücklassen. Der Friede - das zentrale Thema der Papstansprache - werde nur durch Solidarität, Dialog und Zusammenarbeit gewonnen.
Eingehend ging der Papst auf die aktuelle Flüchtlingssituation ein. Die Migrationsproblematik sei "eine Frage, die nicht einige Länder gleichgültig lassen darf, während andere die humanitäre Last tragen, oft mit beträchtlichem Aufwand und schweren Unannehmlichkeiten", sagte Franziskus. Keinesfalls dürfe man aus der "dramatischen Krise" eine einfache Kalkulation machen. "Migranten sind Personen mit Namen, Geschichten und Familien", sagte der Papst. Er sprach sich klar gegen gegen eine Abschottung gegenüber Flüchtlingen aus: Es werde keinen wirklichen Frieden geben, solange auch nur ein einziger Mensch in seiner Identität verletzt und auf eine bloße Zahl in der Statistik oder ein Objekt von wirtschaftlichem Interesse reduziert werde.
Von der Staatengemeinschaft verlangte der Papst "konkrete Gesten von Mitmenschlichkeit". Diese seien "wesentliche Faktoren für jenen Frieden und jene Entwicklung, auf welche noch ganze Länder und Millionen von Menschen warten", so Franziskus. Nur wenn eine Gesellschaft nicht den Blick vom Leid anderer abwende, könne sie offen und aufnahmebereit und zugleich in ihrem Inneren sicher und friedlich sein. Ausdrücklichen Dank richtete der Pontifex an Deutschland wie auch an Italien, Griechenland und Schweden für die Aufnahme von Flüchtlingen.
Jeder Mensch habe ein Recht, "in andere Staaten auszuwandern und dort seinen Wohnsitz aufzuschlagen", betonte der Papst. Zugleich müsse ein Land soziale Integration gewährleisten, ohne seine eigene Sicherheit, seine kulturelle Identität und sein sozialpolitisches Gleichgewicht zu gefährden. Migranten ihrerseits dürften "nicht vergessen, dass sie verpflichtet sind, die Gesetze, die Kultur und Traditionen der Länder, die sie aufnehmen, zu respektieren".
In seiner Ansprache vor den Diplomaten aus aller Welt mahnte der Papst die religiösen Führer und Regierungen zum gemeinsamen Vorgehen gegen islamistischen Terrorismus und andere Formen religiös motivierter Gewalt. Es handle sich um einen "mörderischen Wahnsinn, der den Namen Gottes missbraucht, um den Tod zu verbreiten, und versucht, einen Macht- und Herrschaftswillen durchzusetzen", sagte er. Fundamentalistischer Terrorismus sei die Frucht einer "großen geistigen Erbärmlichkeit" und häufig auch sozialer Armut.
Franziskus erinnerte in seiner Rede vor den beim Heiligen Stuhl akkreditierten Botschaftern unter anderem an die Anschläge von Berlin, Nizza und Brüssel. Er sprach von "fundamentalistischem Terrorismus" - das Wort "islamistisch" verwendete er nicht. Ausdrückliches Lob fand er für eine Initiative des Europarats zur Prävention von religiöser Radikalisierung durch interreligiösen und interkulturellen Dialog. Nur durch die Zusammenarbeit religiöser und politischer Führer könne diese Gewalt beendet werden, so Franziskus. Alle religiösen Autoritäten müssten "gemeinsam entschieden bekräftigen, dass man nie im Namen Gottes töten darf", forderte der Papst in seiner Rede. Religion müsse immer den Frieden fördern.
Die Regierenden rief er auf, die Armut mit einer "angemessenen Sozialpolitik" zu bekämpfen, um der Ausbreitung religiösen Fundamentalismus den Nährboden zu entziehen. Zudem müssten sie Religionsfreiheit im öffentlichen Raum garantieren und den konstruktiven Beitrag der Religionen zum Aufbau der Zivilgesellschaft anerkennen. Statt bloß die Sicherheit der eigenen Bürger garantieren und ihnen ein "ruhiges Leben" ermöglichen zu wollen, müsse die Politik aktiv den Frieden fördern, durch gewaltfreien Einsatz für soziale Gerechtigkeit und die Achtung der Menschenwürde.
Erneut rief der Papst die Staatengemeinschaft zur Beendigung des Syrienkonflikts auf, bei dem eine "humanitäre Katastrophe" im Gang sei. Nötig sei die rasche Aufnahme "ernsthafter Verhandlungen", betonte Franziskus. Für alle Beteiligten müsse die Beachtung des Völkerrechts mit Schutz und Hilfe für Zivilisten vorrangig sein. Der kürzlich geschlossene Waffenstillstand solle ein "Hoffnungszeichen" für das syrische Volk werden.
In dem Zusammenhang verlangte Franziskus Bemühungen gegen den "schändlichen Waffenhandel". Zugleich äußerte er sich erschüttert über die Raketentests Nordkoreas. Diese destabilisierten die gesamte Region. Der Papst warnte vor der Gefahr eines neuen nuklearen Rüstungswettlaufs und bekräftigte die jahrzehntealte Forderung des Vatikan nach einer Minderung der Waffenarsenale und einem Verbot von Atomwaffen. Es gelte "Angst und Abschottung" zu überwinden, die derzeit die Diskussion um Nuklearwaffen beherrschten, sagte Franziskus. Schädlich sei auch die Verbreitung von Waffen kleinen Kalibers, welche Konflikte bloß verschärfe und ein allgemeines Gefühl von Unsicherheit und Angst hervorrufe.
Der Papst ermutigte die Staatenvertreter zudem zu "Gnadenakten gegenüber Strafgefangenen" sowie zu Maßnahmen für deren Wiedereingliederung in der Gesellschaft: Vergebung sei kein Widerspruch zur Gerechtigkeit, sondern ebenso wie diese für eine tiefgreifende Heilung der Gesellschaft nötig, so der Pontifex.