"Wenn es auf das Sterben zugeht, ändern die Menschen meistens ihre Meinung." Dieses Naturphänomen des Aufbäumens gegen den Tod sei universal vorhanden, so Moraltheologe Matthias Beck.
"Wenn es auf das Sterben zugeht, ändern die Menschen meistens ihre Meinung." Dieses Naturphänomen des Aufbäumens gegen den Tod sei universal vorhanden, so Moraltheologe Matthias Beck.
Kirchliche "Haus der Barmherzigkeit"-Gruppe lud zur Podiumsdiskussion zur Frage, wie die Österreicher ihr Lebensende gestalten.
Am Ende ihres Lebens entwickeln viele Menschen nochmals einen ungeahnten unbändigen Lebenswillen. Das betonte der Moraltheologe Matthias Beck im Rahmen einer Podiumsdiskussion zum Thema "Wie verbringen wir ÖsterreicherInnen unsere letzten Tage? - Fakten und Mythen am Lebensende" in Wien. Wenn der Tod kommt, "bäumt sich das Leben oft noch einmal dagegen auf". Deshalb würden Patientenverfügungen immer wieder mündlich widerrufen. "Wenn es auf das Sterben zugeht, ändern die Menschen meistens ihre Meinung." Dieses Naturphänomen des Aufbäumens gegen den Tod sei universal vorhanden, so Beck. Der Glaube an ein Leben nach dem Tod helfe freilich dabei, sich beim Sterben leichter tun.
Veranstalter der Podiumsdiskussion war das Wiener Haus der Barmherzigkeit. Vehement sprach sich der Moraltheologe dabei gegen aktive Sterbehilfe aus. In Ländern, wo diese legal ist, werde oft von der Krankenkasse oder der eigenen Familie Druck auf alte Menschen ausgeübt, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen.
Der Palliativmediziner Herbert Watzke beklagte, "dass wir alle sehr wenig Erfahrung mit dem Sterben" haben und Weichenstellungen vornehmen, die sich dann als vorschnell erweisen. Watzke berichtete, dass viele Menschen an ihrem Lebensende auch unter Umständen leben wollten, wie sie es sich als früher Gesunde nicht hätten vorstellen können. "Man wächst offensichtlich in diese Rolle mit der Erkrankung hinein", so Watzke. Ein schwerer Fehler der Medizin sei es, über vermeintliche Lebensqualitäten von Menschen befinden zu wollen.
Werner Koenne von der Universität Salzburg berichtete von persönlichen Erfahrungen mit der Palliativmedizin im Haus der Barmherzigkeit. Koenne lag acht Wochen im Koma, ein Jahr verbrachte er im Haus der Barmherzigkeit. Es habe sehr schmerzhafte Phasen gegeben, dennoch habe er im Prinzip die ganze Zeit wieder leben wollen: "Das ist schrittweise gekommen."
Der ärztliche Leiter des Hauses der Barmherzigkeit, Christoph Gisinger, räumte mit falschen Vorstellungen auf: Viele Menschen dächten bei Intensivpatienten an "gequälte Personen, die man nicht sterben lässt". Andere wiederum glaubten, dass man mit aktiver Sterbehilfe alle Probleme am Lebensende lösen könne. Beide Extrempositionen seien falsch.
Die demografische Entwicklung in Österreich erläuterte Alexander Hanika von Statistik Austria. Trotz des Geburtenrückganges wachse Österreich derzeit, zu erwarten seien mehr als neun Millionen Einwohner nach dem Jahr 2030. Am merkantesten dabei sei der Zuwachs an älteren Menschen, so Hanika. Die Zahl der Jugendlichen werde konstant bleiben, während die Erwerbstätigen etwas weniger werden.
Derzeit habe ein Mann, der in Pension geht, eine Lebenserwartung von weiteren 18 Jahren, Frauen von 21 Jahren. Das werde in Zukunft auf 24 Jahre für Männer und 27 für Frauen steigen. Daraus ergebe sich, so Hanika, dass institutionelle Pflegeeinrichtungen immer wichtiger werden. Pflegeberufe müssten gesellschaftlich und finanziell aufgewertet werden, forderte der Bevölkerungsexperte.
Das gemeinnützige Haus der Barmherzigkeit bietet seit mehr als 135 Jahren schwer pflegebedürftigen Menschen eine Langzeit-Betreuung mit hoher Lebensqualität. In fünf Pflegekrankenhäusern bzw. -heimen sowie vierzehn Wohngemeinschaften in Wien und Niederösterreich leben rund 1.300 geriatrische und jüngere Klienten mit mehrfachen Behinderungen. Neben der bestmöglichen medizinischen, pflegerischen und therapeutischen Versorgung wird besonderer Wert auf einen selbstbestimmten und abwechslungsreichen Alltag gelegt.
Das Haus der Barmherzigkeit beschäftigt sich derzeit u.a. im Rahmen eines EU-Forschungsprojekts (STRAND) mit der Entwicklung eines autonomen Service-Roboters für den Gesundheitsbereich. Langfristig soll ein mobiler Assistent entstehen, der seine Umgebung selbstständig erkundet und aus Erfahrungen lernt. Um erste Erfahrungen in diesem Bereich zu sammeln, dreht derzeit Prototyp "Henry" im Haus der Barmherzigkeit in der Seeböckgasse zwei Wochen lang seine Runden. Dabei werde nicht nur intensiv an der Roboter-Software gearbeitet sondern auch untersucht, wie Henry von den Menschen in seiner Umgebung - den Bewohnern, Mitarbeitern und Besuchern - angenommen wird, erläuterte Prof. Gisinger bei einem Lokalaugenschein in der Seeböckgasse.
Er sei sicher, so Gisinger, dass derartige Systeme über kurz oder lang einen Platz im Gesundheitsbereich finden werden. Offen sei derzeit allerdings noch, welche Aufgaben Roboter übernehmen können. Die Palette der Möglichkeiten reiche dabei von Sicherheitsaufgaben bis hin zu kleinen Transportdiensten.
Dass Roboter einmal pflegerische Kerntätigkeiten übernehmen können, schloss Gisinger aber aus: "Bei hochwertiger Pflege geht es nicht nur um Wissen und Tätigkeiten, sondern vor allem um Intuition und Einfühlungsvermögen - man denke nur an die Betreuung von Demenzpatienten. Kein Roboter wird dazu je in der Lage sein."
Haus der Barmherzigkeit
Seeböckgasse 30a, A-1160 Wien
Tel.: 01 401 99-0
E-Mail: info@hausderbarmherzigkeit.at