Das Haus der Barmherzigkeit widmete sein zwölftes Diskussionsforum einer realistischen Betrachtung des Lebensendes. Die gemeinnützige Einrichtung geht auch neue Wege im Pflegebereich.
„Am Ende des Lebens entsteht ein unbändiger Lebenswille", betonte der Moraltheologe Matthias Beck im Rahmen einer Podiumsdiskussion zum Thema „Wie verbringen wir ÖsterreicherInnen unsere letzten Tage? - Fakten und Mythen am Lebensende" in Wien. „Das ist auch eine Schwierigkeit bei den Patientenverfügungen. Wenn es auf das Sterben zugeht, ändern die Menschen meistens ihre Meinung. Der Gesetzgeber hat zurecht eingeführt, dass man es mündlich sekündlich ändern kann", sagte Beck bei der Veranstaltung des „Hauses der Barmherzigkeit".
Auf die Frage, welche Rolle der Glaube beim Sterben spielt, antwortete Matthias Beck: „Wenn wir an ein Leben durch den Tod hindurch oder nach dem Tod glauben, was ein besseres Leben ist, dann tun wir uns leichter. Wenn wir sprechen von dem, was wir Ewigkeit nennen, da gibt es kein Leid mehr, keinen Schmerz mehr, dann haben wir eine positive Aussicht und das kann uns die Angst vor dem Tod nehmen. Wir können aus christlicher Sicht sagen, wir können zuversichtlich in den Tod hineingehen. Durch den Tod hindurch wird das Leben verwandelt in eine neue Seinsweise, die schmerzfrei, leidfrei und in großer Freude sein wird."
Vehement sprach sich der Moraltheologe und Priester Beck gegen aktive Sterbehilfe aus. In Ländern, wo diese legal ist, werde oft von der Krankenkasse oder der eigenen Familie Druck auf alte Menschen ausgeübt, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen.
Ein Beispiel, dass Palliativmedizin nicht nur Sterbebegleitung ist, sondern auch wieder Heilung bringen kann, ist einer der Diskussionsteilnehmer, Werner Koenne. Nach einem Schlaganfall und acht Wochen im Koma erhielt er eineinhalb Jahre palliative Behandlung im Haus der Barmherzigkeit. Er schilderte dem Publikum seine Nahtoderfahrung: „Irgendeine Stimme in mir hat mich gefragt, ob ich sterben will oder nicht. Ich habe gesagt: ‚Nein, ich will nicht sterben.' Darauf hat die Stimme gesagt: ‚Überlegen Sie sich das noch einmal!' Dann wurde ich mit den Toten konfrontiert, sie waren sehr freundlich und sagten: ‚Komm zu uns!' Anschließend tauchten die Lebenden auf, die waren nicht sonderlich an mir interessiert. Dann ich habe beschlossen, ich bleibe doch bei den Lebenden. Ich habe der Stimme geantwortet: ‚Gut, ich will wieder leben!' Die Stimme: ‚Das wird aber mühsam werden.' Ich aber sagte ‚ja'. Es muss also einen Zeitpunkt gegeben haben, ab dem es wieder besser geworden ist. Offensichtlich hätte ich zu diesem Zeitpunkt sterben können, wenn ich es beschlossen hätte."
Es habe schon ein paar schmerzhafte Phasen gegeben, wo er sich die Frage gestellt habe, ob es nicht gescheiter gewesen wäre zu sterben. „Im Prinzip aber wollte ich weiterleben und das ist schrittweise gekommen", so Werner Koenne.
Der Palliativmediziner Herbert Watzke beklagte, „dass wir alle sehr wenig Erfahrung mit dem Sterben" haben und Weichenstellungen vornehmen, die sich dann als vorschnell erweisen. Watzke berichtete, dass viele Menschen an ihrem Lebensende auch unter Umständen leben wollten, wie sie es sich als früher Gesunde nicht hätten vorstellen können. „Man wächst offensichtlich in diese Rolle mit der Erkrankung hinein", so Watzke. Ein schwerer Fehler der Medizin sei es, über vermeintliche Lebensqualitäten von Menschen befinden zu wollen. Der ärztliche Leiter des Hauses der Barmherzigkeit, Christoph Gisinger, räumte mit falschen Vorstellungen auf: Viele Menschen dächten bei Intensivpatienten an „gequälte Personen, die man nicht sterben lässt". Andere wiederum glaubten, dass man mit aktiver Sterbehilfe alle Probleme am Lebensende lösen könne. Beide Extrempositionen seien falsch.
Die demographische Entwicklung in Österreich erläuterte Alexander Hanika von Statistik Austria. Trotz des Geburtenrückganges wachse Österreich derzeit, zu erwarten seien mehr als neun Millionen Einwohner nach dem Jahr 2030. Am markantesten dabei sei der Zuwachs an älteren Menschen, so Hanika. Die Zahl der Jugendlichen werde konstant bleiben, während die Erwerbstätigen etwas weniger werden. Derzeit habe ein Mann, der in Pension geht, eine Lebenserwartung von weiteren 18 Jahren, Frauen von 21 Jahren. Das werde in Zukunft auf 24 Jahre für Männer und 27 für Frauen steigen. Daraus ergebe sich, so Hanika, dass institutionelle Pflegeeinrichtungen immer wichtiger werden. Pflegeberufe müssten gesellschaftlich und finanziell aufgewertet werden, forderte der Bevölkerungsexperte.
Moderator Mag. Erich Kocina mit den Diskussionsteilnehmern DDr. Werner Koenne, DDr. Matthias Beck, Dr. Christoph Gisinger, Dr. Herbert Watzke und Mag. Alexander Hanika.