„Ob man an Gott glaubt oder nicht, ist letzten Endes Grazie“ – es ist ein Geschenk.
„Ob man an Gott glaubt oder nicht, ist letzten Endes Grazie“ – es ist ein Geschenk.
Johannes Huber ist Mediziner, Gynäkologe und Theologe. Er war 1973 bis 1983 Sekretär von Kardinal Franz König. In seinem neuen Buch plädiert er für ein ganzheitliches Menschenbild, in dem Körper, Geist und Seele ein komplexes System bilden.
Den Ursachen auf den Grund zu gehen und nicht nur die Symptome sehen – ganzheitliche Zusammenhänge zu verstehen hat mich schon immer fasziniert. Diese universelle Sprache hat auch einen Namen: Holismus – die Ganzheitslehre. Naheliegend das Buch „Der holistische Mensch – Wir sind mehr als die Summe unserer Organe“, von Johannes Huber.
Ein Beispiel dafür, dass Wissenschaft und der Glaube sich auch ergänzen können. Der SONNTAG im Gespräch mit Johannes Huber zu seinem aktuellen Buch.
„Sex mit vielen Partnern macht krank“, das ist die neueste Erkenntnis aus
Österreichs Schlafzimmern. Was wie eine saloppe Schlagzeile klingt, führt uns aber zu weitreichenden wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Ungeschützter Geschlechtsverkehr bedeutet eine enorme biologische Umstellung bei der Frau. Wenn der erste Spermatropfen in die Frau eindringt, beginnt die Frau das Immunsystem des Mannes zu kopieren. Für die Fortpflanzung sehr nützlich, weil artfremdes Eiweiß einen Passierschein braucht, um in den weiblichen Körper einzudringen.
Häufiger Partnerwechsel fordert vom Immunsystem zu oft, sich anzupassen, und schwächt es. Weltanschaulich könnte dies eine zusätzliche Information zum 6. Gebot sein, du sollst nicht Ehe brechen.
Sprechen wir über die epigenetischen Zeitfenster – wie die Umstände von außen uns ein Leben lang beeinflussen können. Die prägenden Momente: Schwangerschaft, die ersten drei Lebensjahre und die Pubertät. Bleiben wir bei der Schwangerschaft.
Wenn die Mutter in dieser Zeit Stresssituationen erlebt, werden diese auch dem Kind weitergegeben. Wir Gynäkologen müssen mehr darauf achten, dass die Mutter in dieser Zeit nicht traumatisiert wird. Das ist ein neuer Aspekt, der eine Achtsamkeit erfordert.
Kaiserschnitt oder nicht, wozu raten Sie?
Ich bin im Zweifelsfall ein Unterstützer des Kaiserschnitts, Sicherheit geht vor. Zudem werden die Babys immer größer und der Beckenboden bleibt gleich. Aber beim Durchtritt des Kindes durch die Scheide wird es erstmals mit Bakterien der Mutter geimpft. Dies festigt das Immunsystem des Kindes, macht es resistenter gegen Allergien, wahrscheinlich auch gegen Diabetes.
Derzeit wird an einer Creme nach dem Kaiserschnitt geforscht, die diese Bakterien beinhaltet.
Können Geburten gesundheitsfördernd sein?
Mehrere Geburten bedeuten auch mehr DNA des Kindes im mütterlichen Organismus. Diese wiederum lassen sich in der Brust nieder und können dort die Milchproduktion verstärken. Die Zellen sind auch immunstärkend, sie schützen die Mutter und die Brust. Mehr Kinder bedeutet mehr Schutz.
Ein weiteres Prägefenster: die ersten drei Lebensjahre.
Es ist von enormer Bedeutung, dass in dieser Lebensphase Kinder „geschmust“ und „gestreichelt“ werden. Das hilft in der zukünftigen Stressbewältigung.
Eine Hypothese von Ihnen: „In der Pubertät entscheidet sich, ob man an Gott glaubt oder nicht.“
Wenn man in dieser Zeit einen „unmotivierten“ Religionslehrer hat, dann könnte dies den Glauben für die Zukunft beeinträchtigen. Um Augustinus zu zitieren: „Ob man an Gott glaubt oder nicht ist letzten Endes Grazie“ – es ist ein Geschenk.
Was sind Ihre neuesten Erkenntnisse auf dem Gebiet der Hormon- und Reproduktionsmedizin?
Beim Geschlechtsverkehr, bei der Geburt oder beim Stillen produzieren wir zahlreiche Hormone, die Bindungen schaffen. Das festigt auch die Partnerschaft. Das zeigt, dass die Sexualität und die menschliche Liebe über eine enorme Nachhaltigkeit verfügt. Die Sexualität ist ein hohes Gut, mit dem man aber behutsam umgehen soll.
In Ihrem aktuellen Buch vermischen Sie Epigenetik, Theologie, moderne Medizin und Quantenphysik. Damit wollen Sie den letzten Willen des 2004 verstorbenen Kardinals Franz König erfüllen, Wissenschaft und Religion zusammenzuführen. Warum war das Kardinal König wichtig?
Weil er überzeugt war, dass die Moderne nur dann die Religion versteht, wenn man sie vernünftig darstellt. Man kann Gott nicht beweisen, das wollte auch er nicht. Das darf auch die Theologie nicht. Allerdings muss es vernünftig sein an transzendentale Inhalte zu glauben. Im letzten Gespräch mit Kardinal König vor seinem Tod motivierte er mich, das Gespräch zwischen Naturwissenschaft und Glaube weiter zu pflegen.
Sie haben vor kurzem einen Vortrag mit einem Gedicht von Goethe beendet: „Wär nicht das Auge sonnenhaft, die Sonne könnt es nie erblicken. Läge nicht in uns des Gottes eigene Kraft, wie könnt uns Göttliches entzücken?“ Was wollen Sie uns damit sagen?
Es ist eine Attacke gegen Feuerbachs Philosophie: alle, die glauben, müssen erkennen, dass eigentlich ihre Vorstellung von Gott nur Projektionen sind.
Meine Gegenhypothese: Wenn wir an einen Gott glauben, dann deswegen, weil wir von ihm geprägt sind.
Auf keinen Fall darf es aber so sein, dass wir Christen Gretchen sind. Faust hält Gretchen für zu dumm, um ihr die gestellte Frage ordentlich zu beantworten.
Heute wird unter Toleranz verstanden, diejenigen zu tolerieren die in ihrer
Dummheit an einen Gott glauben.
Das ist für mich eine Herausforderung, eine intellektuelle Kriegserklärung. Wo wir als Kirche geeinter dagegen vorgehen sollten.
Geboren am 31. Mai 1946 in Bruck an der Leitha
STUDIERTE Medizin und katholische Theologie
PERSÖNLICHER SEKRETÄR von Kardinal Franz König in den Jahren 1973 bis 1983
LEITETE bis 2011 die klinische Abteilung für gynäkologische Endokrinologie (Hormon-Lehre) am Wiener AKH, heute ist er emeritiert. Viele Jahre war er auch Vorsitzender der österreichischen Bioethik-Kommission.
Was IHM WICHTIG IST:
„Erkenntnisse zu bekommen und diese zu vernetzen. Deswegen versuche ich auch viel zu lesen und viel zu reflektieren. Für mich ist die Erkenntnis ein oberstes Gebot.“
WAS IHN ÄRGERT: Intoleranz
Leben ist …
Glücklich zu sein und versuchen, andere Menschen auch an diesem Glück teilhaben zu lassen.
Sonntag ist …
Wenn ich in der Natur am Morgen Gott begegne und am Abend bei der Abendmesse.
Glaube ist …
Festigung in diesem Leben, dass jenseits unseres Exils, in dem wir uns befinden, es noch andere Wirklichkeiten gibt.
Eine Heimat, in die wir dann letzten Endes zurückkehren.
Lassen Sie sich entführen in das holistische Weltbild von Prof. Dr. Dr. Johannes Huber.
Ein Sommergespräch auf radio klassik Stephansdom
am Montag, 9. Juli um 17.30 Uhr,
DaCapo am Sonntag, 15. Juli, 17.30 Uhr.
weitere Informationen zu
die Zeitung der Erzdiözese Wien
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