Johanna Rachinger: „Kinder brauchen positive Vorbilder beim Lesen. Kinder, denen vorgelesen wird, greifen später eher zu einem Buch.“
Johanna Rachinger: „Kinder brauchen positive Vorbilder beim Lesen. Kinder, denen vorgelesen wird, greifen später eher zu einem Buch.“
Bücher prägen das Leben von Johanna Rachinger. In der Kindheit hat sie alles Lesbare verschlungen, später wurde sie Verlagsleiterin, seit 17 Jahren leitet sie die Österreichische Nationalbibliothek.
Rachinger schildert im SONNTAG-Sommergespräch die Herausforderung von Bibliotheken für die Zukunft im Zeitalter der Digitalisierung.
Die Österreichische Nationalbibliothek am Wiener Josefsplatz verweist auf eine 650-jährige Geschichte. Einst die Hofbibliothek der Habsburger, seit dem 18. Jahrhundert für alle zugänglich. Hier sammelt sich das Wissen unseres Landes.
Ein besonderes Prunkstück, das Geschichte atmet, ist der Prunksaal. Meterhohe antike Buchbestände, gepaart mit der fantastischen kuppelgeprägten Architektur des Raumes begeistern.
In bis zu 23 Metern Höhe sind hier historische Bücher archiviert. In der Nähe des Prunksaals hat Johanna Rachinger ihr Büro. „Der Prunksaal hat eine sehr sakrale Anmutung. Man wird automatisch ein bisschen ruhiger, man senkt die Stimme und wird auch demütig“, schildert sie.
Seit 2001 ist Rachinger Generaldirektorin der Nationalbibliothek. Sie verweist darauf, dass das 650-jährige Jubiläum auch mit einem besonderen Evangeliar zu tun hat: „Es ist das Evangeliar des Johannes von Troppau, eine Prachthandschrift, die 1368 im Auftrag des Habsburger-Herzogs Albrecht III. fertiggestellt wurde.
Es ist das erste Werk, das in eine habsburgische Privatsammlung aufgenommen wurde.“ Dieses Evangeliar ist seit jeher als Gründungskodex der Nationalbibliothek bezeichnet worden und auch Anlass für das heurige Jubiläum.
Welche Bedeutung hat religiöses Schrifttum in der Nationalbibliothek?
Im historischen Bestand hat die Theologie nach der Geschichte den größten Anteil in den Beständen. Das ist nicht verwunderlich, da Theologie wie Philosophie die akademische Ausbildung und das intellektuelle Leben dominierten.
Welche wichtigen Werke gehören dazu?
Wir haben sehr viele außergewöhnliche Bibeldrucke. Die bekannteste ist die Gutenberg-Bibel von 1454. Von ihr gab es nur 180 Exemplare. 49 sind noch erhalten. Die einzige hierzulande ist in der Österreichischen Nationalbibliothek.
Was sammeln Sie heute aus dem Bereich der Kirche?
Über die gesetzliche Pflichtabgabe sammeln wir z.B. über 1.000 Pfarrblätter und Kirchenzeitungen, die in Öserreich erscheinen.
Sie stammen aus einer Gastwirtsfamilie, und haben eine Handelsakademie absolviert. Wie sind Sie zum Buch gekommen?
Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der das Lesen immer gerne gesehen war. Wir haben Vorbilder beim Lesen durch unsere Eltern gehabt. Meine Geschwister und ich haben unsere Bücher immer in der Pfarrbücherei ausgeborgt. Wir haben als Jugendliche auch dort mitgearbeitet. Das hat mir immer große Freude bereitet.
Die Affinität zum Buch ist geblieben?
Mir hat trotz der Handelsakademie der Deutschunterricht sehr vieles eröffnet. Ich habe dann Germanistik und Theaterwissenschaften studiert. Danach hat sich die berufliche Entwicklung immer um das Buch gedreht.
Die Österreichische Nationalbibliothek archiviert immer ein Printprodukt?
Wir haben den gesetzlichen Auftrag, dass wir von allen in Österreich erscheinenden Publikationen, Büchern, Zeitungen, Zeitschriften, ein Exemplar aufzubewahren haben.
Das ist auch sehr wichtig, denn es muss eine Gedächtnisinstitution in einem Land geben, die sich dieser Aufgabe stellt, auch in Verantwortung für spätere Generationen.
Wie wirkt sich die Digitalisierung für die Nationalbibliothek aus?
Sie ist eine große Herausforderung, weil wir an die 12 Millionen Bücher und andere Objekte verwalten. Es geht darum, zu entscheiden, welche Werke wir digitalisieren. Wir tun das auch unter dem Stichwort der Demokratisierung des Wissens.
Damit möglichst viele Menschen möglichst einfach, von jedem Ort der Welt aus, auf diese Inhalte zugreifen können. Es gibt viele, die Schwellenängste haben und nicht in Bibliotheken gehen, das möchten wir ändern.
Welche Rolle hat das Buch für Sie persönlich?
Das Buch spielt eine ganz große Rolle in meinem Leben. Das heißt nicht, dass ich täglich in einem Buch lese. Aber wann immer ich Zeit finde, am Wochenende, im Urlaub, dann greife ich zu einem Buch. Das ist einfach etwas, was zu meinem Leben gehört und mir viel Bereicherung schenkt.
Ich glaube, das Buch ist für sehr viele Menschen etwas Wichtiges, wenngleich es heute viele andere Möglichkeiten der Freizeitgestaltung gibt. Das Buch befindet sich in einem großen Konkurrenzumfeld. Das ist auch eine ganz wichtige Aufgabe in den Familien.
Wir wissen, dass gerade bei den Kindern das Interesse am Buch geweckt werden kann. Sie brauchen positive Vorbilder beim Lesen. Kinder, denen vorgelesen wird, greifen später eher zu einem Buch.
Das E-Book wird immer salonfähiger. Was bedeutet das für das konventionelle Buch?
In erster Linie geht es beim Buch um den Inhalt. Jetzt kann man sagen, die Hülle ist einerseits ein E-Book oder eben ein Buchumschlag beim physischen Buch. Aber es gibt schon bei sehr vielen Menschen eine sehr emotionale Beziehung zum Buch. Und für viele ist es sehr wichtig, dieses haptische Erlebnis eines physischen Buches zu haben.
Wie lesen Sie?
Ich sehe mich als Hybridwesen. Ich lese physische Bücher, aber auch häufig E-Books, wenn ich unterwegs bin. Dann ist das sehr praktisch und angenehm.
Ich bin überzeugt davon, dass das physische Buch nicht verschwinden wird. Es wird vielleicht nicht mehr das Leitmedium sein.
Aber genauso, wie das Fernsehen nicht das Kino verdrängt hat und die Fotografie nicht die Malerei, wird auch das physische Buch nicht verschwinden.
zur Person:
Johanna Rachinger
Geboren am 9. Jänner 1960
Aufgewachsen im oberösterreichischen Putzleinsdorf in einer Gastwirtsfamilie
Verheiratet mit Fritz Panzer
Studierte Theaterwissenschaft und Germanistik an der Universität Wien
Berufliche Stationen: Wiener Frauenverlag, Bibliothekswerk Salzburg, Ueberreuter Verlag, seit Juni 2001 Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek
Sommerurlaubsregion: Weinviertel
Sommerlektüre: „David“ von Judith W. Taschler
Leben ist…
etwas Wunderbares und zugleich auch etwas Geheimnisvolles. Es ist eine einmalige Chance, die man versuchen sollte, bestmöglich zu nutzen. Wichtig ist dabei, aus eigenen Fehlern zu lernen und bereit zu bleiben, sich geistig weiterzuentwickeln.
Sonntag ist…
für mich ein Tag des Ausruhens, der Erholung. Ein Tag, den ich am liebsten mit jenen Menschen verbringe, die mir nahe sind.
Glaube ist…
für mich eine wichtige Konstante in meinem Leben. Ich bin katholisch erzogen worden und mir sind auch heute noch die Rituale des Kirchenjahres wichtig. Ich versuche, selbst wenn es nicht immer leicht ist, nach christlichen Werten zu leben.
Über die zukünftigen Herausforderungen im Bibliotheksbereich hören Sie Johanna Rachinger im Sommergespräch auf radio klassik Stephansdom
am Montag, 16. Juli um 17.30 Uhr
DaCapo am Sonntag, 22. Juli, 17.30 Uhr.
die Zeitung der Erzdiözese Wien
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