Salzburger Prälat Johannes Neuhardt: Hofmannsthals „Jedermann” zeigt, Glaube ist Erfahrung von Liebe.
Welcher Gottesbegriff in Hugo von Hofmannsthals „Jedermann” vermittelt wird, erläuterte der Salzburger Theologe und „Jedermann”-Experte Prälat Johannes Neuhardt in einem Vortrag am 3. August im kirchlichen Bildungszentrum Salzburg-St.Virgil. Hofmannsthal habe als visionärer Dichter und Genie schon vor 100 Jahren „gerochen, was in der Luft liegt”, so Neuhardt.
Das zur festen Einrichtung gewordene „Spiel vom Sterben des reichen Mannes” thematisiere bereits jene Veränderungen, die das Christentum in eine neue Ära führen werden, sagte der ausgewiesene Kunst- und Literaturfachmann.
Mit der jetzigen „Transformationswelle” werde eine „völlig andere Richtung” eingeschlagen, die sich im „Jedermann” erkennen lasse. Der christliche Glaube wandle sich vom Verstandes- zum Erlebnisglauben, vom Leistungs- zum Erlösungsglauben, Vertrauen und Liebe würden wichtiger als das Bekenntnis, sagte Neuhardt.
Die Lehrsätze, die Jedermann aufsage, „werden ihm aus der Hand geschlagen”, verwies der Priester auf das Hofmannsthal-Stück. Glaube sei nicht an auswendig zu lernende Formeln gebunden, „sondern an Erfahrung von Liebe”, nicht an Gebote aus Furcht und Zwang, sondern an „Liebenswürdigkeit”.
Neuhardt sieht eine neue Ära des Glaubens heraufdämmern, Freundschaft mit Christus sei nur im Tun zu erfahren. Jedermann werde auch in seinem allzu „statischen” Gottesbegriff korrigiert. Für die Hauptfigur des Stücks sei Christsein zunächst wie eine „Leistungsgesellschaft auf religiös”, so „als könnte man den Himmel erkaufen”.
Für Neuhardt wird sich demgegenüber das Verständnis durchsetzen: Im Christentum werden keine Leistungen gefordert, sondern „Gott liebt mich, wie ich bin”. Und Gott rette ohne Vorleistung. Das Gericht bestehe nicht im Aburteilen, sondern im Aufrichten, und Glaube sei ein Geschenk. Neuhardt: „Glaube bedeutet, Wurzeln schlagen auf geschenktem Grund.”
Prälat Neuhardt zufolge steht das Christentum derzeit „in einem unglaublichen Traditionsabbruch”. Diese Veränderung sei so rasant und beängstigend, dass viele das nahe Ende des Christentums vorhersagten.
Doch das werde nicht geschehen, denn es habe eine derart tief greifende Wandlung in der Geschichte bereits drei Mal durchgemacht: beim Zusammenbruch des Römischen Reiches („Augustinus starb 430 mit der Todesangst, dass das Christentum nun aus und vorbei ist”), mit der iro-schottischen Mission im 8. Jahrhundert und mit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches 1806.
Der Theologe Hans Urs von Balthasar habe ähnlich wie Hoffmannsthal ein feines Gespür für anbrechende Entwicklungen gehabt, so Neuhardt. 1965 – mitten in der Konzilseuphorie – sei Balthasar von Zukunftsängsten um die Kirche geplagt gewesen. Er habe den im 27. Kapitel der Apostelgeschichte geschilderten dramatischen Schiffbruch vor Malta als Bild für die Kirche gedeutet.
Dort allerdings zerschelle das Schiff, die tagelang vom Sturm bedrängten Menschen an Bord würden allesamt gerettet – für Neuhardt ein Hinweis auf die Unzerstörbarkeit des christlichen Glaubens.
Bei den Salzburger Festspielen ist Hofmannsthals „Jedermann” ein Fixpunkt, dessen Aufführung in der Regie von Max Reinhardt am 22. August 1920 auf dem Domplatz die Geburtsstunde der Festspiele markierte. Uraufgeführt wurde das Stück neun Jahre davor – also vor knapp 100 Jahren – ebenfalls von Max Reinhardt am 1. Dezember 1911 in Berlin.
Zentrale Frage des Stücks: „Wie geht der Mensch mit seinem Tod um?” Sämtliche noch vorgesehene Aufführungen sind für heuer ausverkauft.