Blick von oben in den Klostergarten. Bruder Karl-Martin: „Jedes Kloster braucht einen Garten.“ Vor allem eines, das den Tierfreund und Naturschützer Franz von Assisi zum Vorbild hat.
Blick von oben in den Klostergarten. Bruder Karl-Martin: „Jedes Kloster braucht einen Garten.“ Vor allem eines, das den Tierfreund und Naturschützer Franz von Assisi zum Vorbild hat.
Einst haben die Kapuziner mitten in Wien Weizen angebaut, Erdäpfel gepflanzt, hundert Mönche versorgt. Heute sind noch vier Bäume übrig. Ein verstecktes Gartenparadies an einem Ort, wo einander Leben und Tod begegnen.
Man möchte nicht meinen, dass so was in der Innenstadt möglich ist“, sagt Bruder Karl-Martin. Er steht, gekleidet in seine braune Mönchskutte, in einem Garten. Es ist ein kleines Fleckerl Erde, rund 400 Quadratmeter in allerlei Grün- und Brauntönen.
Dass der Garten heute so aussieht, wie er aussieht, hängt mit Bruder Karl-Martin zusammen. Er mäht den Rasen, pflegt die Rosen, die Weinlaube und erntet das Obst von den Bäumen: zwei Marillenbäume, ein Pfirsich- und ein Apfelbaum. „Der ist zwar mickrig“, sagt Bruder Karl-Martin, „aber aus seinen Äpfeln entsteht das beste Apfelmus.“
Ein kleines Paradies mitten im zubetonierten Zentrum der Stadt, direkt am Neuen Markt, einem der ältesten Plätze Wiens. Es herrscht geschäftiges Treiben: Die einen erledigen ihre Einkäufe oder hasten in die Arbeit, die anderen stehen Schlange, direkt vorm Kloster, denn im Kloster – oder besser gesagt unter dem Kloster – befindet sich ein wahrer Touristenmagnet: Die Gräber der Habsburger locken jährlich 200.000 Menschen in die Kaisergruft. Prunkvolle Sarkophage liegen dort, deren „Bewohner“ sich nicht nur zu Leb-, sondern auch zu Todeszeiten ihre Bedeutsamkeit sichern wollten. Am liebsten bis in alle Ewigkeit. Aber nichts hält ewig. Das weiß Bruder Karl-Martin nur zu gut.
Wo sich heute Juweliere und Modesalons, Restaurants und Luxuswohnungen ausbreiten, hatten die Kapuziner einst ihre Landwirtschaft. Mehrere Straßenzüge umfasste ihre damalige Klosteranlage, reichte von der Gluckgasse und der Spiegelgasse bis hinüber zur Plankengasse. „Das meiste davon war Garten“, erzählt Bruder Karl-Martin. Hier wurden Getreide und Gemüse angepflanzt, Weizen gesät, Mais und Erdäpfel in die Erde eingebracht, Obst geerntet. „Alles, was man zum Überleben brauchte.“
Seine Vorgänger im Kloster lebten von den Früchten der Felder, versorgten sich selbst und dazu noch die Ärmsten der Bevölkerung. Supermarkt, den es ohnehin nicht gab, brauchten sie keinen. Zu Spitzenzeiten wohnten und arbeiteten mehr als hundert Mönche am Klostergelände. Heute sind es nur noch zwölf.
„Ich bin hier einer der Jüngsten“, sagt Bruder Karl-Martin. Er ist 74. Sein ältester Mitbruder ist 94. „Das Klosterleben hat hier früher floriert“, erzählt der Kapuzinermönch. „Das war nach der Gründung im 17. Jahrhundert, die Kapuziner waren damals einfach total ‚in‘. Heute müssen wir manchmal jahrelang warten, bis ein neuer Bruder kommt.“
Es hat sich vieles verändert in der Welt der Klöster. Aber so manches konnte bis heute bewahrt werden – wie der kleine Klostergarten der Kapuziner mitten in Wien. „Der Klostergarten ist ein Stück unserer Identität. Wir Kapuziner leben die Verbindung zur Natur“, sagt Bruder Karl-Martin. Kein Wunder also, dass dem Orden eine eigene Pflanze gewidmet ist: die Kapuzinerkresse. Im Garten von Bruder Karl-Martin darf diese natürlich nicht fehlen: „Die gehört einfach zu uns, ist unser Kennzeichen. Die Blüte sieht aus wie eine Kapuze.“
Aus den Marillen und Pfirsichen machen die Ordensbrüder Marmelade und Kompott, die Äpfel wandern ins Mus. Was das Essen betrifft, bleibt der Kapuziner den Habsburgern treu: „Am liebsten esse ich das Apfelmus mit Kaiserschmarrn.“
"Dieser Artikel ist erstmals im Lagerhaus-Magazin "Unser Land" erschienen."
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Perspektiven – „Der verborgene Kapuzinergarten. Ein Gartenporträt“ von Gerlinde Wallner. 24. 4.2017, 17.30 Uhr auf radio klassik Stephansdom.
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