Die Jakob-Kern-Kapelle im Stil des romantischen Historismus und der englischen Gotik bezaubert bis heute. 2018 wurde das Kleinod in der Rossauer Kaserne restauriert. (im Bild: die Kassettendecke im gotischen Stil)
Die Jakob-Kern-Kapelle im Stil des romantischen Historismus und der englischen Gotik bezaubert bis heute. 2018 wurde das Kleinod in der Rossauer Kaserne restauriert. (im Bild: die Kassettendecke im gotischen Stil)
Jahrelang wurde die Jakob-Kern-Kapelle im Südtrakt der Rossauer Kaserne nur als Lagerraum genutzt. Auf Initiative der Polizeiseelsorge haben nun Restauratoren des Bundesdenkmalamtes den Kapellenraum originalgetreu restauriert. Ab Herbst wird in diesem Schmuckstück des romantischen Historismus wieder gebetet und gefeiert.
Du fährst jahrelang täglich an einem Gebäude vorbei und weißt nicht, was sich hinter der Fassade verbirgt. So erging es mir mit der Rossauer Kaserne in Wien 9. „Meine“ Straßenbahnlinie D rauscht direkt an dem herrlichen Gebäude im „Windsor Stil“ (ein Rohziegelbau mit zahlreichen Turm- und Zinnmotiven) vorbei.
Verteidigungsministerium, Abteilungen des Innenministeriums und Dienststellen der Wiener Polizei sind hier u. a. untergebracht.
Dass ich jemals hineingehen würde, die Hochsicherheitsschleuse am Eingang Schlickgasse 6 überwinden könnte und voller Staunen einen Raum darin besichtigen würde, erscheint fast wie ein Traum während eines kurzen Nickerchens in der Straßenbahn.
Die Rossauer Kaserne hat drei große Innenhöfe und wurde in den Jahren 1867 bis 1869 errichtet. Ursprünglich war sie nach Kronprinz Rudolf benannt. Sie bot bis zu 4.000 Mann und bis zu 390 Pferden Platz. Der herrliche Bau der Monarchie konnte die Zeiten überdauern und erfuhr in den 1990er-Jahren eine gelungene Renovierung.
Ein Raum allerdings, die im Südtrakt befindliche Kapelle, wurde – wie es schein– bei dieser Generalsanierung übersehen und diente jahrzehntelang als Lagerraum und Abstellkammer.
Durch zerbrochene Fensterscheiben flogen Tauben hinein und okkupierten den sakralen Raum. Spinnen sponnen Netze und umgarnten Engelsköpfe mit ihren Fäden. Regenwasser drang von oben ein, schädigte die aufwendigen Verzierungen an der Decke und verwusch die Wandfarbe.
Jahrzehntelang schlummerte die Kapelle der Rossauer Kaserne hinter einer verschlossenen Tür und wurde nur von Tieren, Wind und Wasser aufgesucht.
Das ist nun zu Ende: Auf Initiative der Polizeiseelsorge stellten Restauratoren des Bundesdenkmalamtes den herrlichen Kapellenraum im Stile des romantischen Historismus originalgetreu und wunderschön wieder her.
Ab Herbst kann die Kapelle, die nach dem seligen Prämonstratenser-Chorherren und Offizier Jakob Kern benannt ist, wieder seelsorglich genützt werden.
In Begleitung der Polizeiseelsorger Roman Dietler und Willibald Berenda sowie von Diplomingenieur Oliver Schreiber vom Bundesdenkmalamt war es dem SONNTAG als erstem Medium möglich, die Kapelle nach Abschluss der Restaurierungsarbeiten zu besuchen.
„Hoch interessant ist die Lage der Kapelle im Haupteinfahrtsbereich über der Einfahrt wie es im Hochmittelalter bei Burgen üblich war“, erklärt Oliver Schreiber vom Bundesdenkmalamt. Durch diese Lage erhoffte man sich bei feindlichen Angriffen besonderen Schutz und Beistand.
Die romantische Kapelle zeigt auch Anlehnungen an die englische Gotik. „Das ist vor allem im Deckenbereich an den Konsolen mit den Engelsköpfen, Pinienzapfen und an der Kassettendecke erkennbar“, sagt Oliver Schreiber.
Typisch für den romantischen Historismus: „Man hat sich aller Möglichkeiten bedient, sowohl in den Gestaltungsmöglichkeiten, als auch in der Materialität.“
Überraschend für die Restauratoren des Bundesdenkmalamtes war die Entdeckung, dass sämtliche Elemente an der Decke wie Laub-Dekorationen und aufgesetzte Girlanden aus Pappmaché gestaltet wurden. Außergewöhnlich ist zudem der Fußboden, für den Kunststein mit Asphalt kombiniert wurde.
Oliver Schreiber: „Ich kenne kein zweites Objekt, das noch so einen Boden hat. Das war experimentell. Kunststein mit Asphalt zu mischen, war in der Herstellung relativ einfach und sehr dekorativ.“ Allerdings ist Asphalt nicht stabil. Die Fußbodenelemente aus Asphalt sind vor allem bei starker Sonneneinstrahlung druckempfindlich.
Wie sieht es mit den Sitzgelegenheiten in der bald wieder belebten Kapelle aus? „Die alten Sitzbänke waren in sehr schlechtem Zustand und wurden entfernt“, erklärt DI Schreiber.
Aufgrund der Druckempfindlichkeit des Fußbodens ist geplant, den Sakralraum mit Stühlen mit Kufen von David Rowland auszustatten. Zudem sollen ein Altartisch und ein Ambo des Künstlers Jochen Höller aufgestellt werden – ein Projekt des Referats für Kunst- und Denkmalpflege unter der Leitung von Elena Holzhausen.
In den letzten Tagen des Krieges war die Rossauer Kaserne schwer umkämpft: Die Russen rückten aus der Innenstadt vor, die Deutschen zogen sich Richtung Brigittenau zurück. Die originalen (vermutlich bunten) Glasfenster wurden zerstört, die Kapelle im Ganzen aber blieb erhalten. Ein Glück, dass sie jetzt renoviert wurde.
Oliver Schreiber: „Eine Kapelle wie diese ist einzigartig in Wien und nur mit der Kirche im Arsenal, Maria von Siege, vergleichbar.“
„Eine Kapelle wie diese ist einzigartig in Wien und nur mit der Kirche im Arsenal, Maria von Siege, vergleichbar.“ (DI Oliver Schreiber vom Bundesdenkmalamt).
Polizeiseelsorger Roman Dietler und Willi Berenda mit DI Oliver Schreiber (v.l.n.r.).
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