Papst Franziskus ins einer Ansprache vor Vertretern von Regierung, Gesellschaft und dem Diplomatischen Corps am Dienstag, 16. Jänner 2018 im Präsidentenpalast La Moneda der Hauptstadt Santiago.
Papst Franziskus ins einer Ansprache vor Vertretern von Regierung, Gesellschaft und dem Diplomatischen Corps am Dienstag, 16. Jänner 2018 im Präsidentenpalast La Moneda der Hauptstadt Santiago.
Lob für nachhaltige Fortschritte durch Entwicklung der Demokratie.
Papst Franziskus hat zum Auftakt seines Besuchs in Chile die alte und neue Regierung des Andenstaates aufgefordert, sich stärker für die Jugend und die indigenen Völker des Landes einzusetzen. Seinerseits bat der Papst in einer Ansprache vor Vertretern von Regierung, Gesellschaft und dem Diplomatischen Corps am Dienstag, 16. Jänner 2018 im Präsidentenpalast La Moneda der Hauptstadt Santiago Opfer und Angehörige von Missbrauch durch Geistliche in Chile um Verzeihung.
"Ich kann nicht umhin, den Schmerz und die Scham zum Ausdruck zu bringen, die ich angesichts des nicht wieder gutzumachenden Schadens empfinde, der Kindern von Geistlichen der Kirche zugefügt worden ist", sagte Franziskus. Für diese Aussage erhielt der Papst spontan langen Beifall. Zusammen mit den Bischöfen des Landes wolle er die Opfer "mit allen Kräften unterstützen" und sich "dafür einsetzen, dass sich das nicht wiederholt".
Zu Beginn des Papstbesuchs hatte es am Montagabend am Fahrtweg des Papstes Demonstrationen gegen sexuellen Missbrauch in der Kirche gegeben. Kurz vor dem Papstbesuch hatte eine Website die Namen 80 katholischer Geistlicher veröffentlicht, denen angeblich sexueller Missbrauch vorgeworfen wird. In der im Süden Chiles gelegenen Diözese Osorno kommt es zudem seit mehr als einem Jahr immer wieder zu Protesten gegen den Ortsbischof Juan Barros, dem vorgeworfen wird, Fälle von Kindesmissbrauch vertuscht zu haben.
In Anwesenheit von Staatspräsidentin Michelle Bachelet wie auch ihres bereits gewählten Nachfolgers Sebastian Pinera forderte Franziskus in seiner Rede die Regierung dazu auf, dafür zu arbeiten, dass Demokratie keine Formalie bleibe, sondern zu einem Ort werde, an dem "alle ohne Ausnahme" mitbauen könnten. Die Zukunft des Landes liege "großenteils in der Fähigkeit des Zuhörens". Besonders Arbeitslose, indigene Völker, Migranten, sowie Junge und Alte müssten gehört werden.
Gerade die alteingessenen Völker seien "oft vernachlässigt" worden, meinte Franziskus mit Blick auf die Indigenen. "Ihre Rechte müssen beachtet und ihre Kultur geschützt werden, damit nicht ein Teil der Identität und des Reichtums dieser Nation verloren geht", führte der Papst in seiner Ansprache aus.
Mit Blick auf Ökologie und nachhaltige Entwicklung sagte Franziskus, von der Weisheit der alteingesessenen Völker könne man lernen, "dass es keine Entwicklung für ein Volk gibt, das der Erde den Rücken kehrt und allem und allen, die sie umgeben". Hier seien Kühnheit und Widerstand gegen den Vormarsch eines "technokratischen Paradigmas" geboten, "das das Eindringen mächtiger wirtschaftlicher Interessen in unsere natürlichen Ökosysteme und folglich in das Gemeinwohl unserer Völker privilegiert", so der Papst. In Chile kommt es zwischen den stark ökologisch ausgerichteten Indigenen und Wirtschaftsinteressen in- und ausländischer Unternehmen immer wieder zu teils gewaltsamen Konflikten.
Der Papst mahnte die Verantwortlichen zudem, junge Menschen vor der "Geißel der Droge" zu schützen und ihnen bessere Chancen zu ermöglichen, "besonders auf dem Gebiet der Bildung". Das chilenische Bildungssystem, das oftmals nur Kindern reicher Familien zugute kommt, steht seit langem in der öffentlichen Kritik.
Vor seiner Rede hatte Franziskus neben der bisherigen Präsidentin Bachelet ihren neu gewählten Nachfolger Sebastian Pinera eigens persönlich begrüßt. In seiner Ansprache sagte er: "Die jüngsten politischen Wahlen haben die Festigkeit und die gesellschaftliche Reife gezeigt, die das Land erreicht hat." Dabei erinnerte er auch an die dunklen Zeiten in der Geschichte Chiles, das im Februar dieses Jahres 200 Jahre Unabhängigkeit feiert. Die Entwicklung einer Demokratie habe Chile einen nachhaltigen Fortschritt beschert, so der Papst. Zugleich mahnte er, dass soziale und politische Erfolge nie selbstverständlich seien, sondern stets neu errungen werden müssten.
Angehörige der Vereinigung von vermissten Opfern aus der Zeit der Militärdiktatur in Chile haben Papst Franziskus um Mithilfe gebeten. Drei Vertreter der Organisation werden das Kirchenoberhaupt im Rahmen seines bis Donnerstag dauernden Besuchs treffen. "Wir werden den Papst bitten, dass er den Militärs mitteilt, dass es ein Ende haben muss mit den geheimen Absprachen und dem Verschweigen. Wir wollen wissen wo unsere Angehörigen sind - ohne Ausnahme", sagte einer der Opfervertreter chilenischen Medien am Dienstag.
In Chile wurden während der Diktatur unter General Pinochet (1973-1990) nach offiziellen Angaben rund 33.000 Menschen aus politischen Gründen eingesperrt und gefoltert. Rund 3.200 Menschen starben an Folgen staatlicher Gewalt; 1.192 Menschen verschwanden spurlos.
Auch nach der Ankunft von Papst Franziskus in Chile reißt die Serie von Anschlägen gegen Kirchengebäude nicht ab: Am Dienstagmorgen gegen 6.30 Uhr warf in der Ortschaft Puente Alto eine Gruppe von fünf Personen Molotov-Cocktails gegen die Pfarrkirche "Madre de la Divina Providencia", berichtete das Onlineportal "El Dinamo". Sicherheitskräfte fanden am Tatort verbrannte chilenische und vatikanische Fahnen vor.
Bereits zuvor hatte es in Chile seit der Vorwoche fünf weitere Anschläge gegen Kirchen gegeben, vor allem in der Unruheprovinz La Araucania. Bei den letzten beiden Attentaten handelte es sich laut Bericht des Nachrichtenportals "24Horas" vom Dienstag um zwei Kapellen, die bis auf die Grundmauern niederbrannten. Ein Sprecher der Feuerwehr erklärte, wegen der massiven Zerstörung sei es schwierig, Beweismaterial für die Brandursache zu ermitteln. Auffällig sei allerdings, dass beide Kapellen fast zeitgleich brannten.
Zu den wiederholten Brandanschlägen auf kirchliche Einrichtungen bekannten sich radikale Angehörige der Minderheit der Mapuche. Die indigene Gruppe "Weichan Auka Mapu" begründete ihr Vorgehen damit, dass Kirchenvertreter mitverantwortlich für Repressionen gegen die Mapuche seien. Staatspräsidentin Michelle Bachelet hatte sich erst vor wenigen Wochen für das historische Unrecht entschuldigt, das den Mapuche in der jüngsten Geschichte widerfahren sei, und zu einem Dialog eingeladen.
Im Blick auf die Mapuche sagte der aus Tirol stammende und in Südchile tätige emeritierte Bischof von Villarrica, Sixtus Parzinger, im "Kathpress"-Gespräch am Montag, die Ureinwohner hätten zwar vor 100 Jahren ihr Land verloren, doch heute gehe es auch vielen dort angekommenen Kleinbauern nicht besser: "Sie sind ohne Chancen." Die Regierung habe aber zuletzt viel für die Schulbildung der Marginalisierten getan, so der Kapuziner-Missionsbischof.
In den Medien Chiles gebe es starkes Interesse am "Argentinien-Faktor" bei dem Besuch, berichtete Parzinger. So werde etwa über die Ablehnung Präsident Mauricio Macris durch den Papst geschrieben. Das Verhältnis des früheren Erzbischofs von Buenos Aires zum damaligen Gouverneur der Stadt und jetzigen Präsidenten soll extrem schlecht gewesen sein, weshalb der Papst einem Heimatbesuch ausweiche.
Papst Franziskus forderte zum Auftakt seines Chile-Besuchs am Dienstag die Regierung zum Einsatz für die indigenen Völker des Landes auf. Gerade die alteingessenen Völker seien "oft vernachlässigt" worden. "Ihre Rechte müssen beachtet und ihre Kultur geschützt werden, damit nicht ein Teil der Identität und des Reichtums dieser Nation verloren geht", meinte Franziskus.
Am Mittwoch reist der Papst nach Temuco, dem Zentrum des Volks der Mapuche, wo er eine große Messe feiern wird. Beim Mittagessen wird sich Franziskus laut dem offiziellen Besuchsprogramm auch mit acht Angehörigen der Mapuche austauschen.
Die Mapuche sind die Ureinwohner im Süden von Chile und Argentinien. Sie wurden auch Araukanier genannt und waren das einzige indigene Volk Lateinamerikas, das der spanischen Eroberung standhielt. Nach der chilenischen Unabhängigkeit 1818 begann in den 1860er Jahren die Entrechtung: Einmarsch der Armee, Enteignung, Niedergang der eigenen Tradition und Sprache. Erst seit einigen Jahren setzt eine Neubesinnung auf die eigene Kultur und Identität ein. Eine kleine Minderheit radikalisiert sich politisch.
Schätzungen zufolge gibt es noch rund 600.000 Mapuche im Süden Chiles. Hunderttausende weitere leben größtenteils kulturell entwurzelt in der Hauptstadt Santiago. Nur noch 10 bis 15 Prozent der Mapuche sprechen aktiv ihre Sprache, das Mapudungun. Sozial zählen die Mapuche zum ärmsten und am wenigsten gebildeten Teil der Bevölkerung. Im Alltag sind die Ureinwohner Diskriminierung und Vorurteilen ausgesetzt, vergleichbar mit Roma und Sinti in Europa. Die Pinochet-Diktatur (1973-1990) leugnete das Vorhandensein einer ethnischen Minderheit.
Die westlich orientierte hispanische und die Mapuche-Kultur stehen sich fremd gegenüber. Die Mapuche (übersetzt "Menschen der Erde") leben traditionell nicht hierarchisch und in Einklang mit der Natur. Dazu im Kontrast stehen industrielle Formen der Landwirtschaft und der Ausbeutung natürlicher Ressourcen, die ihren Lebensraum bedrohen. Zudem sorgen eine wachsende Umweltbelastung sowie Menschenrechtsverstöße und große Infrastrukturprojekte für Konflikte.
Die katholische Kirche, in früheren Jahrhunderten vor allem Begleiterin der spanischen und chilenischen Staatsmacht, hat sich im Land- und Menschenrechtskonflikt deutlich auf die Seite der bedrängten Mapuche gestellt und fördert unter anderem Bildung und Unterricht in Mapudungun, der indigenen Sprache.
Auf religiöser Ebene ist das Verhältnis komplex. Landesweit pflegen etwa 40 Prozent der Mapuche weiter ihre Naturreligion. Unter den 30 Prozent der katholischen Mapuche gibt es auch viele, die den katholischen Glauben mit Mapuche-Traditionen verbinden. Ordenspriester der Jesuiten versuchen etwa, im ursprünglichen Stammesland Araukanien unter den Ureinwohnern zu leben und die christliche Trinität mit der Vierheit des Mapuche-Glaubens theologisch übereinzubringen.
Konfrontativer, aber zahlenmäßig erfolgreich verläuft die Missionsarbeit evangelikaler Pfingstkirchen, die mit ihrer Spontaneität und Charismatik für Mapuche ansprechender sind als ein eher intellektueller Katholizismus. Die Evangelikalen lehnen allerdings die Mapuche-Kultur ab und fordern die Indigenen auf, sich explizit zwischen ihrer Tradition und dem Christentum zu entscheiden.