Martin Scorseses Film „Schweigen“ thematisiert die Christenverfolgung in Japan im 17. Jahrhundert und die Erfahrung, dass Gott zum Leid schweigt.
Martin Scorseses Film „Schweigen“ thematisiert die Christenverfolgung in Japan im 17. Jahrhundert und die Erfahrung, dass Gott zum Leid schweigt.
Wieso lässt Gott zu, dass Unschuldige leiden? Diese Frage zieht sich durch den neuen Film „Schweigen“ von Starregisseur Martin Scorsese. Er handelt von der Christenverfolgung in Japan im 17. Jahrhundert und dem Ringen eines Jesuiten mit Gott. Der SONNTAG befragt Jesuitenpater Philipp Görtz zum Film, zur Romanvorlage und zu Gottes Schweigen.
Japan, 1638: Der junge Jesuiten-Pater Rodrigues und ein Kollege reisen nach Japan, um die Wahrheit über ihren verehrten Lehrer herauszufinden. Der soll unter Folter dem Christentum abgeschworen haben, was die jungen Patres nicht glauben können. In Japan angekommen, leben sie versteckt und in ständiger Gefahr. Sie betreuen geheime Christengemeinden und werden Zeugen von Demütigungen, Folterungen und Kreuzigungen. Eine Frage wird zu ihrem ständigen Begleiter: Wie kann Gott zu all dem schweigen?
Der japanische Autor Shusaku Endo hat diese Geschichte 1966 unter dem Titel „Schweigen“ veröffentlicht. Die von ihm geschilderte Christenverfolgung beruht auf historischen Tatsachen.
Regisseur Martin Scorsese hat sich mit der Verfilmung des Romans (ab 3. März im Kino) einen Lebenstraum erfüllt, ihm persönlich gab die Geschichte stets Halt.
Auch P. Philipp Görtz SJ, Jugendkaplan in Wien (Pfarre Lainz-Speising), hat das Buch begeistert, er hat es in seiner Anfangszeit im Orden gelesen.
Shusaku Endos Roman „Schweigen“ hat Sie tief beeindruckt. Weshalb?
P. Philipp Görtz SJ: Ich habe „Schweigen“ vor etwa zehn Jahren in einem Zug gelesen, es hat mich richtig in den Bann gezogen. Ich war sehr beeindruckt von der Stimmung, die von dem Buch ausgeht. Das Schweigen und diese Beklemmung kommen sehr gut rüber.
Martin Scorseses Film haben Sie bereits vor dem Kinostart gesehen – was halten Sie davon?
Scorsese ist sehr nah an der Romanvorlage, er trifft die Stimmung des Buches wahnsinnig gut. An vielen Stellen im Film sind in mir ähnliche Gefühle hochgekommen wie beim Lesen des Buches.
„Stößt mein Gebet nur auf Schweigen?“ fragt der junge Jesuitenpater Rodrigues im Film. Er stellt die uralte Frage, die Theodizee-Frage: Warum lässt Gott – als guter und allmächtiger Gott – Leid zu?
Das ist die schwierigste aller Fragen. Es wäre seltsam, wenn ich eine Antwort darauf geben könnte, dann gäbe es diese Frage nicht mehr. Aber es gibt sie schon sehr lange und sie bleibt.
Wieviel Leid ist eigentlich von Menschen gemacht und wir schieben es ganz schnell Gott in die Schuhe? Natürlich gibt es auch Leid, das nicht von Menschen gemacht ist, etwa Naturkatastrophen.
Es gibt ein paar Antwortversuche, die in die Richtung gehen: Gott prüft den Menschen oder Gott möchte den Glauben durch diese Prüfung stärken. Das als abstrakte Antwort zu geben, fällt mir schwer. Es ist etwas anderes, wenn ich als Seelsorger im Gespräch mit leidenden Menschen bin und die für sich solche Antwortversuche entwickeln, um mit ihrem Leid klarzukommen bzw. weitergehen zu können.
Wichtig bei der Theodizee-Frage ist der Blick auf das Leiden Jesu: Jesus ist dieser Frage nicht ausgewichen, er hat sie nicht abstrakt beantwortet, sondern er geht selbst diesen Weg ins Leid, er geht in dem Leid mit. Wenn ich von außen einem Leidendem zurufe: „Du musst nur auf Christus schauen, der leidet mit dir“, ist das wiederum schwierig. Aber wenn jemand im Leid die Erfahrung macht, dass da jemand ist, der mitgeht, solidarisch ist, sich mit in den Staub begibt, der die Schmerzen, die Ohnmacht mitaushält, dann kann sich daraus eine neue Perspektive entwickeln.
In Martin Scorseses Film „Schweigen“ haben Sie mehrere Dimensionen von Schweigen entdeckt. Welche?
Das eine ist das Schweigen Gottes. Es ist eine der Grunderfahrungen der Bibel, dass Gott derjenige ist, der zwar eine Stimme, sein Wort hat, der aber vielfach im Schweigen erfahren wird.
Die zweite Ebene ist, dass es in Japan auch eine Kultur des Schweigens und der Stille gibt, gerade im Buddhismus, vor allem in seiner zenbuddhistischen Ausrichtung. Es gibt Berührungspunkte zwischen uns Jesuiten, unserer Spiritualität und dem Zenbuddhismus. Ein berühmter Jesuit, Lassalle, war auch Zenmeister.
Die dritte Dimension ist das Schweigen von uns Jesuiten selbst in den geistlichen Übungen, den Exerzitien, die wir nach unserem Ordensgründer Ignatius von Loyola machen. Sie leben davon, dass man sich ins Schweigen und in die Stille zurückzieht und wartet, versucht nichts zu denken, sondern zu schauen, in sich hineinzulauschen, zu spüren. Und dort etwas wahrzunehmen, von dem wir sagen, es ist der Wille Gottes, sein Auftrag für mich, das will Gott von mir und für mich.
Das Schweigen ist ein Mittel, um eine Dynamik anzuregen, um zur eigenen Mitte zu kommen, zu den eigenen Gefühlen, Erinnerungen, Träumen, Gedanken, zu all dem, was wir als „Seelenkräfte“ bezeichnen, die Gott uns gegeben hat. Das ist eine Möglichkeit, mit ihm in Kontakt zu treten.
Hauptdarsteller Andrew Garfield – er spielt P. Rodrigues – hat zur Vorbereitung auf den Film achttägige Exerzitien bei Jesuiten in Großbritannien gemacht.
Ich habe darüber gelesen, das war berührend für mich. In einem Interview erzählt, er, was das in ihm ausgelöst hat. Er sagt: „Ich habe wirklich so etwas wie die Liebe Jesu zu mir gespürt.“ Er war da ganz aufgewühlt und sehr beeindruckt. Da ist was mit ihm mitgegangen, ihm ist in diesen Exerzitien wirklich etwas begegnet.
Sie werden sich „Schweigen“ gemeinsam mit jungen Menschen aus der Pfarre Lainz-Speising noch einmal anschauen. Was erwarten Sie sich dabei?
Das wird sicher spannend. Die Geschichte spielt zwar in einer ganz anderen Zeit mit einer ganz anderen Situation als der unsrigen heutigen, aber die Art und Weise, wie dieser Film spielt, wie P. Rodrigues dargestellt wird, mit dem inneren Ringen, mit der Gewissheit einerseits, aber auch den Zweifeln auf der anderen Seite, mit dem Spüren von Liebe und von Leid – das sind schon Themen, die junge Erwachsene ansprechen, berühren und vielleicht auch in Frage stellen.
Martin Scorseses Film „Schweigen“ ist ab 3. März im Kino zu sehen.
Als „japanische Theodizee“ bezeichnet der österreichische Autor Leopold Federmair den Roman „Schweigen“.
Shusaku Endo
Romanvorlage zum Film SILENCE
2015, Septime Verlag
Vorwort von Martin Scorsese; Nachwort von William Johnston; Übersetzt von Ruth Linhart; Anhang von Shusaku Endo
Hardcover
312 Seiten
ISBN: 978-3-902711-40-3
Kommentar von Monika Fischer:
Noch eindrücklicher als im Film beschreibt die Romanvorlage „Schweigen“ das Leben P. Sebastião Rodrigues‘ als wahrhaftige Passionsgeschichte. In all seiner Not und seinem Elend steigen in dem Missionar immer wieder Worte der Bibel auf. Die Leidensgeschichte Jesu begleitet ihn, als er erfährt, dass 300 Silbermünzen für die Auslieferung eines Priesters geboten werden und er von einem Bekannten verraten wird. Die Worte hallen in ihm nach, als er unter Spott und Hass als Gefangener auf einem klapprigen Pferd durch die Straßen Nagasakis geführt wird und Dreck und Dung nach ihm geworfen werden. Er hält sich an ihnen fest in jener Nacht, da er alleine und in Todesangst seine Folterung und sein Lebensende erwartet. Als er sich von Gott verlassen fühlt erinnert er sich an Jesu Schrei am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ (Mk 15,34; Mt 27,46). Und als er es am wenigsten erwartet, bricht Gott endlich sein Schweigen. Eine Leseempfehlung – nicht nur zur Vorbereitung auf Ostern.
Das gesamte Interview können Sie auf www.radioklassik.at als podcast in der Rubrik „Perspektiven“ nachhören.
Pater Philipp Görtz SJ ist Jugendkaplan in der Pfarre Lainz-Speising.
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