Der Eingangsbereich der Krypta.
Der Eingangsbereich der Krypta.
Die Karlskirche ist weit davon entfernt, ein „lost place“ zu sein und gilt als eine der schönsten Barockkirchen nördlich der Alpen. Unbekannt und verborgen ist aber ihre Krypta, die so manches Rätsel aufgibt. Der SONNTAG war vor Ort und sprach mit dem Stadtarchäologen Paul Mitchell über den Tod des Hauptarchitekten, Gerüchte um wilde Bestattungen und verborgene Kanäle.
Josef Machacek schlägt den vor den Stufen zum Hauptaltar liegenden roten Teppich zurück. Er kniet nieder und sperrt die Falltüre im Boden mit einem Schlüssel auf. Die Flügel sind aus Beton und schwer. Dann schaltet er das Licht des Stiegenabgangs, eine typische Kellerlampe, ein.
Wir befinden uns in der Wiener Karlskirche. Der Prachtbau gilt zu Recht als einer der schönsten barocken Kirchenbauten nördlich der Alpen. Schon am frühen Vormittag treffen die ersten Touristen ein und durchwandern staunend das Gotteshaus.
Die Anziehungskraft des Gebäudes liegt auch in der gelungenen Verschmelzung verschiedener Baustile aus Ost und West begründet: St. Karl erinnert mit seiner mächtigen Kuppel an die Hagia Sophia und hat ein römisches Tempelportal. Zwei hohe Säulen lassen an die Trajanssäule denken – ebenso wie an Minarette.
Wer hineingeht, spürt sofort, dass er eine geheimnisvolle Grenze überschritten hat. Man befindet sich in einem Raum voll mystischer Schönheit und wohltuender Ruhe. Das Gewölbe der Kuppel öffnet sich wie ein Tor zum Himmel, das einen unweigerlich nach oben zieht.
Die Karlskirche ist weit davon entfernt ein „lost place“ zu sein und doch gibt es hier einen verborgenen Ort, an den Besucher normalerweise nicht gelangen: Die Krypta unter dem Hauptaltarraum. Josef Machacek, langjähriger Mitarbeiter der Pfarre St. Karl, hat sich bereit erklärt, dem SONNTAG die sonst nicht zugängliche Krypta zu zeigen.
Durch die Bodentür steigen wir eine Steintreppe hinunter und gehen durch einen etwa vier Meter langen Gang unterirdisch in Richtung Hauptaltar. Wir gelangen in den Hauptraum der Krypta. Dieser ist etwa zehn mal sechs Meter groß und beeindruckt durch seine Schlichtheit und die wunderbaren- geradezu eleganten Gewölbe aus roten Ziegeln.
Die Krypta hat zwei Seitenarme, wobei nur der südliche zu einem weiteren Raum führt. In diesem befinden sich massive Stützpfeiler, deren Bögen sich nach Ost und West öffnen.
Der Fußboden ist mit einer dicken Betondecke überzogen. Genau diese Betondecke gibt Rätsel auf. Gerüchte sagen, dass am Ende des Zweiten Weltkrieges, Kriegstote in der Krypta wild bestattet worden seien und deshalb eine dicke Botendecke am Boden gemacht worden sei.
Paul Mitchell, Stadtarchäologe in Wien, sagt: „Wir haben in der Krypta Bohrproben gemacht und haben dabei nichts entdeckt. Der Boden ist nach dem Krieg massiv betoniert worden.
Da ich keine Röntgenaugen habe, kann ich aber nicht sicher sagen, ob hier jemand bestattet wurde. Doch würde ich vor solchen Annahmen warnen“. Es würde bedeuten, dass in der Krypta absichtlich wilde Bestattungen vorgenommen worden wären.
Mitchell: „Schnelle Kriegsbestattungen gab es tatsächlich, z. B. im Volksgarten, das waren aber nur vorläufige Beisetzungen und sie wurden markiert. Man hat hier zwar die Toten aus Hygienemaßnahmen schnell begraben, aber immer mit der Absicht sie später wieder zu bergen.“ Warum die aufwändige Betonierung vorgenommen wurde bleibt damit aber unklar.
Nachdem wir der Krypta, die übrigens im Sommer angenehm kühl ist, entstiegen sind, verschließt Josef Machacek die Bodentür und legt sorgsam den Teppich darauf. Ich danke ihm und gratuliere ihm zu seinem wunderschönen Arbeitsplatz „Karlskirche“, die immer einen Besuch wert ist.
Stadtarchäologe Paul MItchell
Paul Mitchell, Stadtarchäologe in Wien mit britischen Wurzeln, hat die Krypta der Karlskirche eingehend untersucht und machte dabei einige spannende Entdeckungen.
Anlass für die archäologische Prüfung war der Gedanke gewesen, die Krypta für Besucher zu öffnen und dafür einen neuen Abgang rechts vor dem Chorraum zu schaffen.
Mitchell entdeckte durch einen Suchschnitt (vor dem Altarraum rechts) u. a. einen bisher unbekannten barocken Lüftungskanal zur Krypta. Da dieser durch einen neu gebauten Zugang zur Krypta völlig zerstört worden wäre, wurde der Abgang nicht gebaut.
„Die spannendste Entdeckung war für mich, dass sich die Planänderung in der Geschichte des Baus der Karlskirche in der Krypta bestätigt“, erklärt Mitchell.
Architekt Johann Bernhard Fischer von Erlach erkrankte 1722, als sich die Karlskirche in Bau befand, und starb 1723.
Sein Sohn Joseph Emmanuel Fischer von Erlach vollendete den Bau der Kirche, machte aber deutliche Änderungen an den Plänen seines Vaters. „Der junge Fischer baute die Kirche monumentaler, kräftiger und größer“, sagt Mitchell. Auch die Kuppel wurde wesentlich größer als ursprünglich gedacht.
Der Stadtarchäologe: „Die Untersuchung der Krypta bestätigt die Planänderung in der Baugeschichte: Man sieht es an den Baufugen und in die Krypta wurden zudem massive Pfeiler zusätzlich eingebaut, ebenso ist ein nachträglich eingebautes Tonnengewölbe zu erkennen.“
Mitchell entdeckte weiters Ziegel aus den Ziegeleien des Grafen Molard aus dem 6. Bezirk, sowie wiederverwendete Bauteile aus Mittelalter und Barock.
Karlskirche: Blick in die Kuppel
Buchtipp:
Johannes Sachslehner und Robert Bouchal
Wien streng geheim!:
Verborgene Orte · Vergessene Welten
Verlag: Pichler
ISBN: 978-3854317326
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