Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 19. Juni 2025
Ich freue mich für alle, die dank dem arbeitsfreien Fronleichnamsfest mit einem Urlaubstag am Freitag gleich vier Ferientage gewonnen haben. Dem Konkordat von 1933, dem Vertrag zwischen unserer Republik und dem Heiligen Stuhl, dem Vatikan, verdanken wir es, dass dieser katholische Feiertag für alle ein Fest ist. Viele feiern mit der Kirche und nehmen an den Fronleichnamsprozessionen teil, die überall in Österreich zum religiösen Brauchtum gehören. Andere, die Mehrheit in unserem Land, freuen sich einfach am freien Tag. Für mich persönlich war Fronleichnam von Jugend an ein besonderer Tag, gekennzeichnet von der sehr langen, ausgiebigen Prozession mit dem „Himmel“, den vier Männer trugen, unter dem der Pfarrer mit der Monstranz das „Allerheiligste“ trug, von Station zu Station, zu den vier reich geschmückten Altären, wo jeweils Halt gemacht wurde, um mit Gebet und Gesang den Segen zu empfangen. Meist war es sehr heiß, alle schön gekleidet, die Frauen in der Tracht, die Blaskapelle, die den Weg begleitete. Damals war (fast) der ganze Ort mit dabei.
In den letzten drei Jahrzehnten war Fronleichnam für mich der große „Stadtumgang“, die Prozession durch die Straßen der Wiener Innenstadt. Die Gardemusik, die verschiedenen Gruppierungen, von der Politik über die Universität, die Studentenkorporationen bis hin zu den Schulkindern, vor allem aber die vielen staunenden Touristen mit ihren allzeit bereiten Handys. Der Mittelpunkt war nicht der Kardinal unter dem von vier Pfadfindern getragenen Himmel, sondern die Monstranz, die er trug, genauer das kleine weiße Brot, für das die Monstranz als Behälter dient. Jedes Jahr bewegte mich dabei der Gedanke, dass dieses Brot nach unserem Glauben „der Leib des Herrn“ ist (das bedeutet nämlich das mittelalterliche Wort „Fronleichnam“). Der ganze Aufwand, aller Schmuck an Blumen, alle die Festlichkeit haben nur diesen einen Sinn: Dass hier Jesus selber gegenwärtig ist. „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“, hat Jesus im Abendmahlssaal gesagt, als er das Brot nahm, es brach, segnete und austeilte. Seit 2000 Jahren werden diese Worte und Gesten Jesu wiederholt. Sie sind immer noch gültig.
Im Evangelium wird heute von einem Ereignis berichtet, das allen, die es erlebt haben, unvergesslich blieb. Gute 5000 Menschen hatten sich versammelt, um Jesus zu sehen und zu hören. Wie sollten sie alle zu essen bekommen? Die Jünger Jesu finden, Jesus solle die Menschen wegschicken, damit sie sich etwas zu essen besorgen. Jesu sagt: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ Zu Recht halten die Apostel das für unmöglich. Darauf die Lösung, die undenkbar schien: Mit nur fünf Broten und zwei Fischen macht Jesus alle reichlich satt. In dieser Form habe ich das Wunder selber noch nicht erlebt. Ich durfte aber oft und oft Zeuge sein, wie Menschen aus der Begegnung mit Jesus, aus dem Glauben und der Hoffnung auf Gott Kraft für ihr Leben geschöpft haben und in diesem Sinn satt wurden. So erlebe ich die Fronleichnamsprozession wie eine Antwort auf die Worte Jesu: „Gebt ihr ihnen zu essen!“
In jener Zeit redete Jesus zum Volk vom Reich Gottes und machte gesund, die der Heilung bedurften. Als der Tag zur Neige ging, kamen die Zwölf und sagten zu ihm: Schick die Leute weg, damit sie in die umliegenden Dörfer und Gehöfte gehen, dort Unterkunft finden und etwas zu essen bekommen; denn wir sind hier an einem abgelegenen Ort. Er antwortete ihnen: Gebt ihr ihnen zu essen! Sie sagten: Wir haben nicht mehr als fünf Brote und zwei Fische; wir müssten erst weggehen und für dieses ganze Volk etwas zu essen kaufen. Es waren nämlich etwa fünftausend Männer. Er aber sagte zu seinen Jüngern: Lasst sie sich in Gruppen zu ungefähr fünfzig lagern! Die Jünger taten so und veranlassten, dass sich alle lagerten. Jesus aber nahm die fünf Brote und die zwei Fische,
blickte zum Himmel auf, sprach den Lobpreis und brach sie; dann gab er sie den Jüngern, damit sie diese an die Leute austeilten. Und alle aßen und wurden satt. Als man die übrig gebliebenen Brotstücke einsammelte, waren es zwölf Körbe voll.