In Wien dankte Kardinal Schönborn der scheidenden Opferschutzanwältin Waltraud Klasnic für ihre „Großtat“. Missbrauchsexperte Zollner systemischen Wandel von der Kirche forderte.
Das 15-jährige Bestehen der Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft (UOA) war Anlass einer Fachtagung im Wiener Erzbischöflichen Palais, die in der emotionalen Verabschiedung von Waltraud Klasnic gipfelte. Kardinal Christoph Schönborn, der Klasnic 2010 um die Übernahme des Amtes ersucht hatte, dankte der scheidenden Opferschutzanwältin in bewegten Worten. Ihr „Ja“ sei „eine Großtat für viele Menschen in unserem Land“ gewesen. In der von Paul Wuthe, dem Sprecher der österreichischen Bischofskonferenz moderierten Podiumsdiskussion teilten Kardinal Schönborn und Waltraud Klasnic nicht nur anekdotische Erinnerungen an das richtungsweisende Gespräch im April 2015, in dem Schönborn Klasnic für die Aufgabe gewonnen hatte. Schönborn blickte auch offen auf die komplexen Herausforderungen zurück, die das Missbrauchsthema in der österreichischen Kirche, insbesondere seit der „Causa Groer“ Mitte der 1990er Jahre, mit sich gebracht hatte.
Klasnic, die mehr als 1.000 Gespräche mit Betroffenen führte, zeigte sich sichtlich bewegt und dankbar für das in sie gesetzte Vertrauen. Sie versicherte, ihre Entscheidung, dieses Amt zu übernehmen, „nie bereut“ zu haben. Bereits zu Beginn der Tagung hatte Erzbischof Franz Lackner, Vorsitzender der Bischofskonferenz, die UOA als wichtigen „Resonanzraum“ bezeichnet, „der Unerhörtes hörbar macht“. Bischof Benno Elbs (Feldkirch) betonte den Wandel „von der Schockstarre in engagiertes Handeln“ und die Notwendigkeit des „Blicks von außen“ für eine kritische Aufarbeitung.
Der Vortrag des internationalen Missbrauchsexperten P. Hans Zollner SJ war ein zentraler Höhepunkt der Tagung und lieferte eine schonungslose Analyse der Problematik. Der Leiter des Instituts für Anthropologie in Rom würdigte zwar die österreichische Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft als „herausragendes Element eines systemischen Vorgehens“, lenkte den Fokus aber auf die tieferliegenden Ursachen.
Zollner zufolge ist Missbrauch in der Kirche nicht primär eine Frage von Einzeltätern, sondern resultiert aus systemischen Ursprüngen. Er beschrieb die Kirche als ein komplexes System von Strukturen und Abhängigkeiten, das für Betroffene schnell zu einer „Nebelwand“ werden könne, mit der sich die Institution selbst schütze. Die Kombination und Wechselwirkung verschiedener Faktoren – von Theologie und Spiritualität bis hin zu Verwaltung und unreflektierten Machtverhältnissen – könne „absolut toxisch wirken“.
Der Jesuit forderte deshalb eine tiefgreifende Transformation des Systems. Es gehe um „Reinigung, Umkehr, Bekehrung hin zu einer sensibleren, aufmerksameren Kirche“, die sich glaubhaft in der Nachfolge Jesu Christi befinde. Nur wenn der Missbrauch systemisch betrachtet werde, könne Prävention nachhaltig gelingen und das Vertrauen der Betroffenen wiederhergestellt werden.
Die Zahlen der Aufarbeitung und die Forderung nach vertiefter Debatte
Seit 2010 sind 3.651 Meldungen wegen Missbrauchs und Gewalt eingegangen, wobei die Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft in 3.492 Fällen entschieden hat. Insgesamt wurden 37,7 Millionen Euro für Finanzhilfen und Therapiestunden zugesprochen. Die Kirche hat alle Entscheidungen der UOA umgesetzt. Trotz des Rückblicks auf diese Bilanz betonten Experten die Notwendigkeit einer tiefergehenden öffentlichen Debatte.
Der frühere Caritas-Präsident Franz Küberl würdigte die Anwaltschaft als „nicht nur gut gedacht, sondern auch gut gemacht“, mahnte jedoch Reformbedarf in kirchlichen Disziplinarverfahren an. Da diese „der Beichte nachgebildet“ seien, blieben die Konsequenzen für die Täter oft verborgen – ein Dilemma, da Betroffene die Gewissheit bräuchten, dass ihr Leiden auch Konsequenzen nach sich zieht. Der Journalist Hans Rauscher forderte eine kritische Analyse der Ursachen und Motive des Missbrauchs. Sr. Christine Rod, Generalsekretärin der Ordenskonferenz, lenkte den Blick auf die strukturelle Schuld, die es auch in den Ordensgemeinschaften aufzuarbeiten gelte.