„Die Bibel ist phantastisch geschrieben. Für mich ist der Apostel Paulus einer der bedeutendsten der Weltliteratur“, zeigt sich Literat Alois Brandstetter im Gespräch mit Stefan Hauser begeistert.
„Die Bibel ist phantastisch geschrieben. Für mich ist der Apostel Paulus einer der bedeutendsten der Weltliteratur“, zeigt sich Literat Alois Brandstetter im Gespräch mit Stefan Hauser begeistert.
Er gilt als „Umberto Eco“ Österreichs. Alois Brandstetter, Germanist und Schriftsteller, verbindet Historisches mit Prosa. Der Zeitgenosse von Handke, Turrini oder Jelinek erzählt im SONNTAG-Interview von seinem Glauben, warum die Bibel Weltliteratur ist und dass Johannes Paul II. zu seinen Lesern gehörte.
Am Morgen nach seiner Vorlesung über Literatur und Glaube bei der Poetikdozentur der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Universität Wien: Beim Interview im Hotel zeigt sich, dass Alois Brandstetter gerne pointiert formuliert, auch wenn er „vielleicht kein Buch mehr schreiben wird“. Die ländliche Herkunft ist Schreibimpuls und bevorzugtes Thema.
Der 1938 in Pichl bei Wels Geborene stammt aus einem frommen Elternhaus. Die Eltern betreiben eine Mühle mit Bäckerei und Sägewerk. Alois ist das jüngste von sieben Geschwistern. Auf Drängen des Pfarrers kommt er in das Linzer Knabenseminar Petrinum, wird aus disziplinären Gründen der Schule verwiesen, maturiert dann mit Auszeichnung in Wels. Eine Bewerbung an der Wiener Kunstakademie scheitert, er studiert Germanistik und Geschichte. Als 23-Jähriger geht Brandstetter als Universitätsassistent ins Saarland, kommt 1971 nach Salzburg, später nach Klagenfurt als Professor für „Alte Dichtung“. Brandstetter ist mit der albanischen Diplompädagogin Suchra verheiratet. Das Paar hat zwei erwachsene Söhne und lebt in Klagenfurt.
Alois Brandstetters bekanntester Bestseller ist der Roman „Zu Lasten der Briefträger“. Darin beschreibt er Leben und Probleme von Briefträgern am Land.
Der SONNTAG: Im Advent ist Hochbetrieb für die Post. Pakete und Glückwunschkarten zum Weihnachtsfest sind unterwegs. Sie haben den Postlern Mitte der 1970er ein Monumentalwerk gewidmet. Eine Zeit, als der Postler im Ort genauso wichtig war wie der Pfarrer, der Bürgermeister oder der Lehrer?
Alois Brandstetter: Die Briefträger waren eine Institution. Sie haben ja Nachrichten übermittelt. Ich bin als Zehnjähriger von zu Hause weggekommen, habe immer auf Post gewartet. Meine Mutter hat mir Briefe geschrieben. Auch in Deutschland habe ich viel korrespondiert. Daher habe ich zu den Briefträgern immer ein besonderes Verhältnis gehabt.
40 Jahre später schreiben Sie „Zur Entlastung der Briefträger“. In einer Zeit, wo E-Mails den Brief ablösen und die Post in der Telekom aufgeht, warum?
Alois Brandstetter: Ich habe mir gedacht, die handelnden Personen von damals müssen jetzt in Pension sein. Daher haben sie einen Stammtisch und reden über post.at oder wie einer sagt „Post ade“. Sie schwärmen von alten Zeiten. Es ist ein Hymnus auf die Post und die Postämter. Jetzt gibt es ja Postpartner. Bei uns wechselt der Briefträger immer wieder, ständig kommen Aushilfen, die man nicht mehr kennt.
Sie sind spät zum Schreiben gekommen, obwohl Sie Germanistik und Geschichte studiert haben?
Alois Brandstetter: Sehr spät. Da war ich schon habilitiert. Mich hat das Formulieren und Geschichtenschreiben immer beschäftigt. In der Saarbrücker Zeitung habe ich in der Wochenendbeilage zwei Geschichten geschrieben. Das hat man an der Uni gar nicht so gern gesehen. Ich habe aber mit „Überwindung der Blitzangst“ eigentlich einen ganz guten Erfolg gehabt.
In „Überwindung der Blitzangst“ geht es um Ihre Kindheitserlebnisse nach
dem Zweiten Weltkrieg?
Alois Brandstetter: Ich war sechs, als der „Zauber“ aus war. Da habe ich ein bisschen einen Knacks abgekriegt. Ich habe den Einmarsch der Amerikaner gesehen und einen Schrecken bekommen, als ich den ersten Schwarzen auf einem Panzer gesehen habe. Ein deutscher Soldat wurde auch direkt vor unserem Haus erschossen.
Hat sich bei Ihnen in der Schule schon ein Talent zum Schreiben gezeigt?
Alois Brandstetter: Eigentlich schon. Ich habe immer sehr gute Noten gehabt bei Aufsätzen.
Welche Prägung im Glauben haben Sie in Ihrer Kindheit erfahren?
Alois Brandstetter: Ich war einer der eifrigsten Ministranten, dann Vorbeter und Lektor. Im Mai und im Oktober war bei uns am Samstag in Pichl Rosenkranz.
Kann man als Schriftsteller katholisch sein?
Alois Brandstetter: Da muss jeder seinen eigenen Weg finden. Mir bedeutet die Sonntagsmesse sehr viel. Man kann auch fleißig praktizierend sein und dann doch wieder erschrecken, weil man sich fragt: Was hast du für ein Gottesbild?
In Ihren Werken finden sich etliche Bezüge zur Kirche, warum?
Alois Brandstetter: Ich spekuliere nicht damit, beim gläubigen Publikum Erfolg zu haben. Ich weiß auch nicht, ob ich darum als katholischer oder frommer Autor, wie man mich hin und wieder beschrieben hat, gelten kann. Ich habe einen großen Respekt vor der Frömmigkeit, aber vor meiner eigenen nicht.
Sie stammen aus einer Generation bekannter österreichischen Literaten wie Handke, Bernhard, Turrini oder Jelinek. Pflegt man untereinander Kontakt?
Alois Brandstetter: Mit Peter Turrini hatte ich ein wenig Kontakt. Mit Thomas Bernhard war es sehr merkwürdig. Ich bin ihm eher ausgewichen und habe ihn aus der Ferne bewundert.
Thomas Bernhard hat Ihnen einmal etwas ausrichten lassen?
Alois Brandstetter: Mein Verleger hat Bernhard oft zu Hause in Ohlsdorf bei Gmunden besucht und danach mich in Pichl bei Wels. Bernhard hat mir ausrichten lassen: „Sag dem Brandstetter, er macht einen Fehler. Er schreibt immer schöne Bücher. Er soll ‚schiache Bücher’ schreiben. Ich schreibe nur schiache Bücher.“ Ich habe ihm dann ausrichten lassen, dass ich seine „schiachen Bücher“ aber sehr schön finde.
Ein Blick auf Ihr Werk, zum Beispiel „Die Abtei“ oder „Die Burg“, würde zulassen, Sie als österreichischen Umberto Eco zu bezeichnen?
Alois Brandstetter: Eco kannte mich sicher nicht. Ich habe aber bei der Einführung zur Vorlesung von Professor Tück erfahren, dass mich Papst Johannes Paul II. gelesen hat. Er hat eine Art Tagebuch über seine Lektüren geführt. Sein Sekretär, der nunmehrige Erzbischof von Krakau, Kardinal Dziwisz, hat das veröffentlicht. Darin bin ich der einzige deutsche Autor, den der Papst erwähnt und gelesen hat, und zwar „Zu Lasten der Briefträger“. Johannes Paul II. führt es aber als deutsches Werk in seinem Tagebuch. Er konnte ja gut deutsch. Das ist eine Ehre.
Wie finden Sie Ihre Themen, wann sind Sie kreativ?
Alois Brandstetter: Ich bin ein ausgesprochener Morgenmensch. Meistens beginne ich schon um 6 Uhr in der Früh. Was die Themen anlangt, sind mir immer welche übrig geblieben. Eine markante Geschichte ist folgende: Ich war an einem Sonntag in der Klagenfurter Don Bosco-Kirche. Da hat Pater Albert Miggisch gesagt, dass der Kummerkasten gestohlen wurde. Da habe ich gewusst, dass das ein Thema für mich ist. Da hat einer den Kasten im Vorraum der Kirche, wo man Beschwerden reinwerfen konnte, für den Opferstock gehalten. Da habe ich mir gesagt, das ist ein Wahnsinn, das ist so gut und dann habe ich „Kummer ade“ geschrieben.
Was lesen Sie gerne?
Alois Brandstetter: Theodor Fontane, Knut Hamsun, Thomas Mann, Elfriede Jelinek, H.C. Artmann.
Lesen Sie auch Krimis?
Alois Brandstetter: Nein, obwohl ich mir mit meiner Frau hin und wieder im Fernsehen den „Tatort“ ansehe. Aber die werden immer grauslicher.
Wie beurteilen Sie als Schriftsteller und Literaturprofessor die „Heilige Schrift“?
Alois Brandstetter: Die Bibel ist phantastisch geschrieben. Für mich ist der Apostel Paulus einer der bedeutendsten Autoren der Weltliteratur. Ich bin überhaupt von der Kirche literarisch sozialisiert. Mir haben immer die Propheten des Alten Testaments gefallen.
Welche literarische Gattung sind für Sie Gebete?
Alois Brandstetter: Das ist Prosa. Ich mag vor allem Gebete in lateinischer Sprache. Bei einem „Vater unser“, „Ave Maria“ oder Credo auf Latein komme ich nicht draus. Das hat sich bei mir stärker eingeprägt als das Deutsche.
Alois Brandstetter
Roman.
Residenz Verlag, 2011,
ISBN 978-3-7017-1565-7.
Alois Brandstetters (wikipedia) Bücherliste:
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