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Rund um den "Tag der Arbeit" am 1. Mai nehmen die Diskussionen in unserer Gesellschaft über die Arbeitswelt zu: Welche Berufe fallen aufgrund von Technisierung weg? Gibt es genug Arbeit für alle?In welchen Berufen bleibt der Mensch unersetzbar?
Noch vor ein paar Jahren produzierten Radioreporter ihre Beiträge noch gemeinsam mit einem Tontechniker. Mittlerweile schneiden die Redakteure ihre Beiträge hingegen selbst an ihren Computern. Das ist nur ein konkretes Beispiel für einen Arbeitsbereich, in dem mittlerweile – aufgrund der besseren Technik – eine Person die Arbeit macht, für die früher zwei notwendig waren. Und diese Realität haben wir mittlerweile in vielen Bereichen: Automobil-Firmen arbeiten fieberhaft am autonomen Fahren. Paketdienste testen Flug-Drohnen, die in ein paar Jahren Pakete nach Hause liefern könnten. Doch was passiert dann mit Bus- und U-Bahn-Fahrern, was mit den Paketlieferanten? Kurz gefragt: Was passiert mit den Menschen, wenn Maschinen die Arbeit übernehmen? Was laut Studien bei bis zu einem Drittel aller Arbeitsplätze der Fall sein wird.
Fragen für Philipp Kuhlmann, dem Vorsitzenden der Katholischen Arbeitnehmer/innen Bewegung. Wie sieht die Zukunft der Arbeitswelt aus? "Digitaler Wandel ist einfach Realität. Bereiche, in denen eine starke Digitalisierung geschieht, profitieren grundsätzlich vom technologischen Wandel. Das ist historisch nachvollziehbar: Wo neue Technologien gekommen sind, haben die Branchen einen Aufschwung erfahren. Es entstehen dabei neue Arbeitsplätze", sagt Philipp Kuhlmann. „Bereiche, in denen das nicht möglich ist, gehören hingegen zu den Verlierern. Manche Berufsfelder werden deshalb definitiv verschwinden – andere neue geschaffen."
Lieber mit Roboter oder Mensch reden?
In verschiedenen Industriebranchen, im Telekommunikations- und Transportwesen ist der digitale Wandel voll im Gange. Aber wie sieht es im sozialen Dienstleistungsbereich aus? "Ich habe einen Bericht über einen Psychotherapie-Roboter in Asien gelesen, der bessere Ergebnisse als seine menschlichen Gegenüber lieferte. Das gibt mir schon zu denken", sagt Philipp Kuhlmann. "Da stellt sich die Frage: Was macht das mit der Gesellschaft? Ist es wirklich besser mit einem Roboter zu reden als mit einem Menschen? Jeder Mensch hat seine eigenen Einstellungen und Prägungen. Auch der Psychotherapeut oder Menschen im sozialen Dienst können das nicht ganz ausblenden. Der Roboter kann es – und vielleicht sind deswegen seine Ergebnisse besser."
Technologie soll bloß unterstützen
Für den sozialen Bereich sieht Philipp Kuhlmann den Einsatz von Robotern nur bedingt als ethisch vertretbar an: "Die Technologie kann die Menschen unterstützen, nur darf sie diese nicht zunehmend ersetzen. Wir dürfen jedoch die Digitalisierung nicht gleich verteufeln. Ich selbst bin Betriebsrat in einer österreichischen Niederlassung eines US-Konzerns. Ich vertrete gerne meine Kolleginnen und Kollegen, aber ich sage immer wieder, dass die Digitalisierung des Betriebs nicht aufzuhalten ist, weil ich genau weiß, eine der fünf Strategien unseres Unternehmens ist Digitalisierung." Philipp Kuhlmann sieht es genauso wie unser Papst Franziskus: Die Wirtschaft soll dem Menschen dienen und nicht umgekehrt. "Franziskus sagt es ziemlich klar: Wir dürfen nicht länger blind auf die Kräfte des Marktes vertrauen. Er benennt die Probleme ganz konkret: Die jetzige mächtige Stellung des Marktes ist einfach nicht gerechtfertigt. Es soll um die Menschen gehen und nicht um den Markt. Ein Markt, der 340.000 Menschen ohne Arbeit in Österreich übrig lässt, ist nicht an Menschen orientiert."
Arbeiten wir zu lange?
Zurzeit gibt es in Österreich etwa 400.000 Arbeitslose und nur 60.000 offene Stellen. Dass es nicht genug Arbeit für alle gibt, ist eine offensichtliche Tatsache, sagt Kuhlmann. "Wobei es nicht zu wenig Arbeit gäbe, sie ist nur schlecht verteilt. Man kann in diesem Zusammenhang natürlich über Arbeitsverkürzung nachdenken." Seit Jahren wird in Österreich heftig über eine neue Arbeitszeitregelung diskutiert. Wirtschaftsvertreter verlangen mehr Arbeitszeitflexibilität in den Unternehmen. Das Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ sieht die Anhebung der täglichen Höchstarbeitszeit auf 12 – und der wöchentlichen Höchstarbeitszeit auf 60 Stunden vor. "Das ist definitiv die falsche Richtung, wenn ich auf das Wohl der Menschen schaue“, sagt der Vorsitzende der Katholischen Arbeitnehmer/innen Bewegung, Philipp Kuhlmann. "Wenn ich innerhalb der Logik der Wirtschaft bleibe, dann ist das genau das Richtige. Menschen werden relativ schnell ‚ausgequetscht‘, dann gibt es wieder mehr Umsatz bei den Psychotherapeuten. Das alles steigert das Bruttoinlandsprodukt." Dass es auch anders gehen kann, zeigen bereits einige Firmen, die freiwillig eine 30-Stunden-Woche eingeführt haben. "Selbst Unternehmen wie die voestalpine, die als Stahlunternehmen wirklich im internationalen Wettbewerb steht, haben eine 34,5-Stundenwoche. Hier sind die Personalkosten nicht die Kostentreiber, sondern da steckt viel Infrastruktur dahinter", erklärt Kuhlmann. "Menschen aus diesem Bereich, mit denen ich gesprochen habe, waren zunächst skeptisch, aber keiner möchte mehr zurück ins alte System. Sie sind froh, dass sie mehr Freizeit haben. Sie haben teilweise auf Geld verzichtet, weil sie das entsprechend höhere Einkommen verdienen. Diesen 'Luxus' kann sich eine Kassiererin im Einzelhandel natürlich nicht leisten."
Wenige werden reicher
Seit Jahren wird in unserem Land diskutiert, ob die Mittelschicht verschwindet oder wächst. Laut Kuhlmann geht die derzeitige Politik und Wirtschaft in die Richtung, dass dieser Mittelstand ausgedünnt wird. "Es brechen Leute weiter nach oben und nach unten weg. Wenige werden reicher, viele werden ärmer. Wenn jetzt beispielsweise die AUVA angegriffen wird, ist dies ein Hinweis dafür, dass das Sozialsystem zurückgefahren werden soll. Im Prinzip nützt der Sozialstaat allen und besonders denen, die weniger haben. Eine der sechs Kernforderungen der Initiative 'Christlich geht anders' ist der starke Sozialstaat. Das ist institutionalisierte Nächstenliebe. Als Christen sollten wir diesen bewahren und absichern – gegen jegliche finanzielle Interessen. Nicht alles soll an private Unternehmen ausgelagert werden, die sich dann um ihren Gewinn und weniger um die Menschen kümmern."
Welche Bildung ist für die künftige Arbeitswelt notwendig? Philipp Kuhlmann hält es für sinnvoll, "dass man lernt zu lernen. Ich muss auf den permanenten Wandel vorbereitet sein und die Fähigkeit mitbekommen, mich selber fortzubilden. Ich kann nicht immer darauf warten, dass jemand anderer mir Informationen gibt. Ich muss selber Initiative ergreifen und bewerten können. Von wo erhalte ich wirklich gute und glaubwürdige Informationen? Das ist das Um und Auf im Internetzeitalter."
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