"Die Worte Jesu haben einen neuen Klang für mich seit meiner Prostata-Krebsdiagnose. Diese hat mich deutlich daran erinnert, dass ich (einmal) sterben werde", so Kardinal Christoph Schönborn.
"Die Worte Jesu haben einen neuen Klang für mich seit meiner Prostata-Krebsdiagnose. Diese hat mich deutlich daran erinnert, dass ich (einmal) sterben werde", so Kardinal Christoph Schönborn.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 26. Mai 2019 (Joh 14,23-29)
Heute schreibe ich die Gedanken zum Sonntagsevangelium im Spital, nach meiner Krebsoperation. Das Evangelium Jesu spricht uns in jeder Lebenslage an. Wir hören oder lesen es verschieden, je nach unserer gegenwärtigen Situation. Aber immer ist das Evangelium ein Wort des Lebens, das hilft und aufbaut. So will ich versuchen, die heutigen Worte Jesu als Worte anzunehmen, die er jetzt gerade mir sagen möchte.
Das heutige Evangelium ist ein Abschnitt aus den „Abschiedsreden“ Jesu. Es sind Worte, die Jesus zu seinen Jüngern gesprochen hat, als er mit ihnen das letzte Abendmahl hielt. Er wusste, und seine Jünger befürchteten, dass großes Leiden auf ihn zukommen werde. Mit seinen Worten will er die Seinen trösten, stärken, aber ihnen auch die Wahrheit zumuten: dass er fortgehen, das heißt im Klartext, dass er sterben werde. Trotzdem sagt er ihnen: „Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.“ Ja, er erwartet sogar von ihnen, dass sie nicht bei der Trauer über seinen Tod hängen bleiben: „Wenn ihr mich liebtet, würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe.“
Alle diese Worte haben einen neuen Klang für mich seit meiner Prostata-Krebsdiagnose. Diese hat mich deutlich daran erinnert, dass ich (einmal) sterben werde. Und wenn auch die Heilungschancen bei 90 Prozent liegen, so sagt die Statistik, dass in Österreich dennoch etwa tausend Männer jährlich an Prostatakrebs sterben. So steht vor mir, wie vor uns allen, die Möglichkeit eines schmerzlichen Todes. Ich habe das Sterben meines Vaters an Lungenkrebs miterlebt. Macht mir der Gedanke an den Tod Angst? Sehe ich ihn gelassen? Bin ich ehrlich, wenn ich sage, dass ich dabei keinerlei Unruhe verspüre?
Jesus hat im Angesicht seines Todes Momente der tiefsten Todesangst gehabt, hat Gott angefleht, dass er „diesen Kelch (des Leidens)“ an ihm vorübergehen lassen möge. Jesu blutiger Angstschweiß im Garten von Getsemani, kurz vor seiner Gefangennahme, hat vielen geholfen, die eigene Angst vor dem (leidvollen) Sterben anzunehmen. Es ist keine Schande, beim Gedanken an schwere Schmerzen zurückzuschrecken. Jesus selber ist es so gegangen. Und wie dankbar dürfen wir sein, dass heute so oft die großen Schmerzen medizinisch gelindert werden können.
Jesus hat aber auch Heilmittel gegen die seelischen Schmerzen geschenkt. Er nennt vor allem den Frieden, „meinen Frieden“. „Nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch“, hat Jesus versprochen. Wie sieht der Friede Jesu aus? Ich glaube, er ist eine innere Ruhe, von der wir spüren, dass sie nicht von uns kommt. Es gibt Momente und Situationen, in denen dieser Friede Christi erfahrbar wird. Paulus sagt einmal, dass der Friede Christi „alles Begreifen übersteigt“. Ich bin Menschen begegnet, die ein schweres Los zu tragen hatten, aber diesen Frieden ausgestrahlt haben. Sie bleiben mir unvergessen.
Im heutigen Evangelium finde ich noch ein weiteres, besonders trostvolles Wort. Jesus sagt zwar seinen Jüngern, dass er jetzt fortgehen, das heißt sterben werde. Aber er fügt gleich hinzu: „Und ich komme wieder zu euch.“ In diesen Tagen im Krankenhaus wurde das Wort Jesu für mich ganz anschaulich. Jeden Tag wurde mir die Heilige Kommunion gebracht. Immer wenn die Tür aufging und der Priester oder eine Seelsorgerin mit der Kommunion hereinkam, empfand ich es wie die Verwirklichung dessen, was Jesus versprochen hat. Er ist gestorben, ist auferstanden, zum Vater gegangen. Aber er kommt wieder zu uns, nicht nur flüchtig, einmal kurz auf Besuch, sondern Gott selber und Jesus kommen zu mir, um bei mir „Wohnung zu nehmen“. Im Alltag fehlt es mir oft an Zeit. Im Krankenbett konnte ich diese Hoffnungsworte Jesu neu hören.
Jesus sprach zu seinen Jüngern: Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen. Wer mich nicht liebt, hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat. Das habe ich zu euch gesagt, während ich noch bei euch bin. Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht. Ihr habt gehört, dass ich zu euch sagte: Ich gehe fort und komme wieder zu euch. Wenn ihr mich liebtet, würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe; denn der Vater ist größer als ich. Jetzt schon habe ich es euch gesagt, bevor es geschieht, damit ihr, wenn es geschieht, zum Glauben kommt.
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Die "Gedanken zum Evangelium" jeden Sonntag auf "radio klassik Stephansdom" zum Nachhören: