Einigkeit und Frieden, das wünscht sich jeder, der ein Werk aufgebaut, eine Gemeinschaft um sich geschart hat.
Einigkeit und Frieden, das wünscht sich jeder, der ein Werk aufgebaut, eine Gemeinschaft um sich geschart hat.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 2. Juni 2019 (Joh 17, 20-26)
Das war der Herzenswunsch Jesu. Das war seine letzte große Bitte an Gott, seinen Vater. Was wünscht sich eine Mutter, die im Sterben liegt, von ihren Kindern? Dass sie eins seien! Dass sie sich vertragen, zueinander stehen, einander helfen! Einigkeit und Frieden, das wünscht sich jeder, der ein Werk aufgebaut, eine Gemeinschaft um sich geschart hat. Nach seinem Weggang mögen die Erben, die Nachfolger, den Geist der Einheit bewahren, sich nicht in Erbstreitigkeiten, in Rivalitäten, eitlen Konflikten auseinanderleben, sich am Ende gar gegenseitig bekriegen.
Jesus hat kurz vor seinem Tod diese inständige Bitte an seinen Vater gerichtet: Alle sollen eins werden! Ist seine Bitte erhört worden? Sind seine Jünger eins und einmütig geblieben? Die Geschichte des Christentums spricht leider eine andere Sprache. Von Anfang an gab es Spaltungen, Richtungskämpfe, verschiedene Auslegungen dessen, was Jesus wirklich gewollt hat. Das konnte bis zu Religionskriegen führen, zu blutigen gegenseitigen Verfolgungen, oft im Namen Christi, eher selten im Geist Christi.
Mich bewegt immer wieder ein Gedanke: Mohammed (570–632), der Religionsstifter des Islam, hat zu seinen Lebzeiten viel Kontakt mit den damaligen Christen im Nahen Osten gehabt. Er hat ihre Uneinigkeit erlebt, ihre Konflikte und gegenseitigen Verurteilungen. Das konnte das Christentum für ihn nicht anziehend und glaubwürdig machen. Jesus hat gebetet: „Alle sollen eins sein …, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.“ Damals schon, und bis heute, ist die Uneinigkeit der Jünger Jesu das große Hindernis für den Glauben an Jesus. Gewiss, auch dem Islam blieb es nicht erspart, in Religionsparteien gespalten zu sein. Bis heute wirken sich die innerislamischen Konflikte sogar auf die Weltpolitik aus. Aber als Christen haben wir allen Grund, nicht mit Steinen auf andere zu werfen. Vielmehr bleibt Jesu Bitte auch für heute dringend: dass alle, die sich auf Christus berufen, wirklich eins seien.
Aber wie sieht denn die Einheit aus, die Jesus für seine Jünger erbetet und erhofft hat? Entscheidend ist hier das kleine Wort „wie“. Jesus bittet Gott, seine Jünger mögen untereinander so eins sein, „wie wir eins sind“, „wie du, Vater, in mir bist und ich in dir“. Wie sieht diese Einheit aus? Vielleicht ist es leichter zu sagen, wie sie nicht aussieht! Auch eine Räuberbande ist sich einig: Einer ist der Chef, alle anderen gehorchen, und gemeinsam geht man auf Raubzug. Es gibt auch die politische Einheit. Sie ist an sich etwas Gutes: ein gemeinsames politisches Ziel, für das alle sich einsetzen. Deshalb gibt es politische Parteien. Aber wenn die Parteiinteressen wichtiger werden als die Sorge um das Gemeinwohl, dann entsteht leicht das, was die Politik unglaubwürdig macht: dass jede Gruppe nur ihr eigenes Interesse im Auge hat.
Einheit in der Familie ist ein kostbares Gut. Manchmal wird sie auch zu einer Gefahr, wenn etwa der Familienstolz dazu führt, auf andere herunterzuschauen, oder wenn die Familienehre so hochgehalten wird, dass Familienmitglieder, die nicht den Erwartungen entsprechen, ausgestoßen werden.
Wie also sieht die Einheit aus, um die Jesus gebetet hat und wohl noch immer betet? Jesus hat immer die Einheit mit Gottes Willen gesucht und gelebt. Wenn zwei Menschen gemeinsam durchs Leben gegangen sind, können sie uns am ehesten zeigen, wie dieses Einssein gelingt: viel Geduld, viel Rücksichtnahme, viel Verzicht, gegenseitige Wertschätzung und vor allem: sich selbst nicht zum Mittelpunkt machen. Man nennt das einfach Liebe!
In jener Zeit erhob Jesus seine Augen zum Himmel und betete: Heiliger Vater, ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben.Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir. So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich. Vater, ich will, dass alle, die du mir gegeben hast, dort bei mir sind, wo ich bin. Sie sollen meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast, weil du mich schon geliebt hast vor der Erschaffung der Welt. Gerechter Vater, die Welt hat dich nicht erkannt, ich aber habe dich erkannt, und sie haben erkannt, dass du mich gesandt hast.
Ich habe ihnen deinen Namen bekannt gemacht und werde ihn bekannt machen, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und damit ich in ihnen bin.
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