Der in Jerusalem wirkende Benediktiner Nikodemus Schnabel berichtet über seine Bemühungen um Frieden im Heiligen Land und die Aufgabe der Christen vor Ort.
Der in Jerusalem wirkende Benediktiner Nikodemus Schnabel berichtet über seine Bemühungen um Frieden im Heiligen Land und die Aufgabe der Christen vor Ort.
Christliche Minderheit darf sich nicht in Ghettos zurückziehen.
Solange die Menschen in Israel und Palästina einander nicht besser kennenlernen, wird es wohl keinen Frieden im Heiligen Land geben. Das hat P. Nikodemus Schnabel, Prior-Administrator der Dormitio-Abtei in Jerusalem betont. Israelis und Palästinenser würden einander - durch materielle und immaterielle Mauern getrennt - nicht mehr kennen. "Der andere wird dehumanisiert und nur mehr als Monster gesehen", so Schnabel am Rande der Herbsttagung der Ordensgemeinschaften am Dienstag, 28. November 2017 in Wien-Lainz.
Es gelte, "mehr gesunde Empathie in hineinzubringen in die Gesellschaft; dass der Palästinenser eben nicht nur der Raketen schießende Terrorist ist und der Israeli nicht nur der waffenstarrende unterdrückende Soldat". Die jeweils anderen seien zunächst einmal auch Menschen mit ähnlichen Hoffnungen und Sehnsüchten. "Das muss bewusst werden, dann kann Frieden entstehen", sagte Schnabel, der auch Auslandsseelsorger für die deutschsprachigen Katholiken in Israel und Palästina ist und am österreichischen Ordenstag im Kardinal König-Haus einer der Hauptreferenten war.
Der Benediktiner nannte drei klassische Irrwege, um auf die aktuelle Krise zu reagieren: Agressivität, Depressivität und Zynismus. Letzteres sei die Hauptkrankheit im Heiligen Land. Man nehme alles nur mehr zynisch hin. Die Leidtragenden auf beiden Seiten seien freilich nicht die politischen Nomenklaturen auf beiden Seiten - "Die bringen ihre Schäfchen schon ins Trockene" - sondern die einfachen Menschen. Er habe israelische Mütter besucht, die mit ihren Kindern vor den Raketen der Hamas zitterten, und er habe in gleicher Weise Mütter mit ihren Kindern im Gaza-Streifen aufgesucht, wo israelische Raketen einschlugen. Er versuche, so Schnabel, Israelis wie Palästinenser zu besuchen und den Menschen voneinander zu erzählen.
Friede sei möglich, zeigte sich der Ordensmann überzeugt. Es gelte, den Zynikern zu widerstehen und mit einer "gesunden Naivität" an Versöhnung zu arbeiten. Es gebe genügend Menschen auf beiden Seiten - "faszinierende Persönlichkeiten" -, die voller Energie für dieses Ziel arbeiten würden.
Der Ordensmann berichtete auch über die Situation im Gazastreifen, den er erst vor wenigen Tagen wieder besucht hatte. Die Situation sei dramatisch und die Perspektivenlosigkeit unbeschreiblich, so Schnabel. Derzeit gebe es rund vier Stunden Strom am Tag, die Wasseraufbereitung funktioniere nicht mehr, die Abwässer würden ungeklärt ins Meer fließen. Dadurch werde nun aber auch Israel betroffen, denn die Kloake ziehe mit der Strömung nach Norden nach Israels. Die israelischen Strände seien meist geschlossen und die größte Entsalzungsanlage der Welt bei Ashdod könne auch nicht mehr arbeiten, weil das Wasser so verschmutzt sei. Schnabel: "Wir haben also auch schon eine ökologische Krise des Friedens. Vielleicht wird bald einmal die Natur in der Region den Frieden aufzwingen, denn der Krieg geht auf Kosten der Schöpfung."
Auf die Christen in Gaza angesprochen, nannte der Ordensmann noch rund 1.200 Personen vor Ort. Sie würden unter den Bedingungen genauso leiden wie die Muslime. Dabei seien die Christen sehr gut ausgebildet und wünschten sich nichts anderes als Freiheit. Was ihn bei seinen Besuchen in Gaza immer wieder berühre, so Schnabel: "Die Christen vor Ort haben eine unheimliche Glaubenspower. Bei den Gottesdiensten herrscht eine unbeschreibliche Gebets- und Glaubensatmosphäre; wie wenn man sich an eine spirituelle Steckdose anschließt."
Die Christen seien naturgemäß keine großen Freunde der radikalen palästinensischen Hamas, die im Gaza-Streifen die Macht inne hat. Doch man müsse einräumen, dass die Hamas die Kirchen bewacht. Wenn die Hamas fällt, würden sicher noch extremistischere islamistische Kräfte an die Macht gelangen und die Christen hätten vor Ort keine Existenzmöglichkeiten mehr, sagte Schnabel.
Die Hauptaufgabe der Benediktiner im Heiligen Land sei es, für den Frieden zu beten: "Und soll die Welt auch über uns lachen, wir machen weiter." Kritisch ging der Ordensmann zugleich mit der Weltöffentlichkeit ins Gericht. Diese habe scheinbar das Interesse am Heiligen Land verloren, und ganz besonders auch an der kleinen christlichen Minderheit vor Ort.
Wie Schnabel weiters sagte, herrsche derzeit in der Region auch große Spannung, wie die nächsten Schritte von US-Präsident Donald Trump aussehen werden. Immerhin habe dieser für den Dezember eine große Nahost-Initiative angekündet; freilich ohne jedwede Details. Gelassenheit sei deshalb angebracht, so Schnabel. Allerdings wäre jede ernste Friedensinitiative höchst zu begrüßen.
In seinem Vortrag kam Schnabel u.a. auch auf die spezifische Situation der Christen im Heiligen Land zu sprechen, die höchstens noch zwei Prozent der Bevölkerung ausmachen. Auf den ersten Blick würden sich die kleinen christlichen Gemeinschaften durch ein lebendiges Pfarrleben auszeichnen, u.a. mit fast 100 Prozent Gottesdienstbesuchern. Doch diese Lebendigkeit habe einen hohen Preis, denn die Christen hätten sich längst in abgegrenzte Wohngebiete - in Israel wie in Palästina - zurückgezogen, Schnabel sprach von "Ghettos". "Die Christen kuscheln sich in ihrer kleinen heilen Welt ein" und würden sich von Juden und Muslimen zurückziehen, die sie vermeintlich ja doch nur hassen. Dabei sollten die in der Regel gut ausgebildeten Christen viele stärker in die Gesellschaft hinein wirken, zeigte sich der Ordensmann überzeugt.
Die Angst vor Juden und Muslimen sei aber nicht unbegründet, musste der Ordensmann einräumen. Auch er selbst werde manchmal von jüdischen Extremisten auf der Straße bespuckt, das deutschsprachige Benediktinerkloster im israelischen Tabgha sei 2015 bei einem Brandanschlag teilweise zerstört worden. Anfang 2017 wurde es nach der Restaurierung wieder eröffnet. Ausdrücklich hob Schnabel hervor, dass auch jüdische Rabbiner zu einer Spendenaktion für das Kloster aufgerufen hatten. Jene extremistischen Gruppierungen, die gegen Christen vorgehen, bezeichnete der Ordensmann als "Hooligans der Religion". Freilich handle es sich dabei nur um eine kleine Minderheit; bei Juden wie Muslimen.
Das Christentum stelle innerhalb der Religionen eine Besonderheit dar. Jude sei der, der eine jüdische Mutter hat; Muslim werde man durch einen muslimischen Vater. Christ werde man aber nicht aufgrund der Abstammung, sondern durch die Taufe. Die Christen müssten daher auch eine Vorreiterrolle einnehmen, wenn es darum geht, gegen die "Schubladisierung" von Menschen vorzugehen. Schnabel: "Ich bin weder pro-israelisch noch pro-plästinensisch, ich bin pro-Mensch." Niemand habe das Recht, die Menschen in Kategorien einzuteilen, denn alle seien nach dem Ebenbild Gottes geschaffen.
Die von Schnabel geleitete deutschsprachige Benediktinerabtei der Dormitio gehört als Blickfang zur Silhouette Jerusalems. Der Bau des Klosters auf dem Zionsberg am Rande der Altstadt begann im März 1906. Es befindet sich dort, wo nach kirchlicher Überlieferung das Letzte Abendmahl Jesu und die Herabkunft des Heiligen Geistes auf die Apostel stattfanden.