Gäste im Nachtasyl der Salvatorianer in Temesvar.
Gäste im Nachtasyl der Salvatorianer in Temesvar.
Die Einrichtung ist nur eine von vielen Sozialprojekten, die der Orden der Salvatorianer vor Ort gemeinsam mit der Caritas betreibt.
Selbst seine beiden letzten Zähne haben schon bessere Zeiten gesehen. Braunschwarze Stummeln, die sich hinter faltigen dünnen Lippen zu verstecken scheinen. Aber immerhin: Der eine rechts unten, der andere links oben, erzeugen sie, wenn Gicu lächelt, so etwas wie eine melancholische Symmetrie. Jetzt rappelt sich der Obdachlose aus der untersten Etage des dreistöckigen Metallbettes im Nachtasyl in Temesvar hervor. "P. Pisti, willkommen", ruft er und lacht aus vollem Herzen. Der junge Salvatorianer P. Istvan Barazsuly, Spitzname Pisti ("Steffl"), und der Obdachlose Gicu kennen sich schon seit geraumer Zeit.
Vor rund 20 Jahren wurde das Nachtasyl gegründet; seit sieben Jahren ist Gicu hier ständiger Gast. Seit rund vier Jahren betreut P. Pisti freiwillig das Nachtasyl als Seelsorger, zuerst als Novize der Salvatorianer, später dann auch als geweihter Priester. "Er kennt jeden von uns beim Namen", sagt Gicu, "ohne ihn wäre ich schon längst irgendwo auf der Straße erfroren."
Ein Blick zurück: Mitte Dezember 1989 begann in Temesvar der Aufstand des rumänischen Volkes gegen den brutalen Diktator Nicolae Ceausescu. Binnen weniger Tage war das kommunistische Regime Geschichte, die Bevölkerung von Temesvar hatte dafür aber einen hohen Preis zu bezahlen. Viele tausend Menschen kamen bei den Protesten ums Leben. Und auch nach der politischen Wende regierten weiter bittere Not und Elend.
In dieser Zeit Anfang der 1990er Jahre schickten die Salvatorianer P. Berno Rupp nach Temesvar. Der Orden hatte dort seit dem 19. Jahrhundert ein Kloster, das unter den Kommunisten aber enteignet worden war. P. Berno sollte erkunden, ob es Sinn macht, das Salvatorianerkloster neu zu beleben.
"Eine der ersten liturgischen Handlungen als Priester war es für P. Berno, dass er ein Kind zu Grabe tragen musste, das verhungert war", berichtet P. Josef Wonisch. Er ist Provinzial der österreichischen Salvatorianer und zugleich Vorsteher des Klosters in Temesvar. Und mit diesem für P. Berno so einschneidenden Erlebnis nahm eine der ganz großen sozialen Initiative in Westrumänien ihren Anfang: 1999 gründet P. Berno in Zusammenarbeit mit der Caritas das Nachtasyl für Straßenkinder und Obdachlose. Es folgen die Gründungen der "Farm", des Frauenhauses und einer Kindertagesstätte als Unterstützung für sozial schwache Familien. Auch ein Hospiz wurde eröffnet und, als jüngstes Projekt, 2017 ein Altenpflegeheim.
Zuflucht vor Kälte und Einsamkeit
Die 87 Betten des Nachtasyls sind vor allem in der kälteren Jahreszeit jeden Tag bis auf den letzten Platz besetzt. Abends kommen die Hilfesuchenden in die Einrichtung, sie können hier duschen, essen, plaudern oder fernsehen, bevor sie zu Bett gehen. Nach dem Frühstück müssen alle das Haus wieder verlassen. "Im Winter wird manchmal auch der Speisesaal zu einem zusätzlichen Schlafsaal umfunktioniert", berichtet Caritas-Temesvar-Geschäftsführer Herbert Grün. Bis zu 120 Menschen können so der Kälte entfliehen. Alkohol und Drogen sind im Nachtasyl dabei strengstens verboten.
Die Farm "Pater Paulus" in Bakova, rund 20 Kilometer außerhalb von Temesvar, bietet aktuell elf langzeitobdachlosen Männern und Frauen die Chance für einen Neuanfang. Hier leben sie gemeinsam wie in einer großen Familie. Sie gehen einer geregelten Arbeit nach und können ein Handwerk oder einen Beruf erlernen. "Die festen Strukturen und Regeln geben Halt und Orientierung, die Basis für ein Leben in Selbständigkeit", erklärt Herbert Grün.
Auf der Farm können die Obdachlosen lernen, wie man Gemüse und Getreide anbaut, oder sich als Schweine- oder Rinderzüchter versuchen. Dazu gibt es eine Getreidemühle, eine Tischlerei und auch eine Nudelfabrik. Für die geleistete Arbeit erhalten die Bewohner einen "angemessenen Lohn". Zusätzlich werden sie medizinisch und sozial begleitet. Die auf der Farm erzeugten Lebensmittel tragen laut Herbert Grün zudem zur Versorgung von rund 400 Menschen täglich in den verschiedenen Einrichtungen der Caritas Temesvar bei.
Die Lebensmittel der Farm kommen auch in die Tagesstätte "Casa Pater Berno" in Bakova. Diese wurde 2009 eröffnet und richtet sich an Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Bis zu 40 Kinder werden an Schultagen in der Tagesstätte betreut. "Sie erhalten eine warme Mahlzeit, machen ihre Hausaufgaben, spielen, lernen einen geregelten Tagesablauf kennen und erhalten gezielte Förderung", berichtet Herbert Grün. Durch die Tagesstätte würden die Kinder bessere schulische Leistungen erzielen. Freizeitaktivitäten und Ausflüge fördern soziales Lernen und die soziale Kompetenzen der Kinder.
Nur einen Katzensprung von der "Casa Pater Berno" entfernt liegt das Altenpflegeheim "Bruder Franz Haus". Es wurde 2012 eröffnet und bietet fünf Pflegezimmer, die derzeit mit 14 Patienten, Frauen und Männer, belegt sind. Altersarmut stelle in Rumänien eine große Herausforderung dar, sagt Caritas-Geschäftsführer Grün: "Viele ältere Menschen befinden sich in einer schwierigen sozialen Situation, denn die Renten sind niedrig und liegen oft unter dem Existenzminimum. Sechs von unseren Patienten sind sogar obdachlos."
Im Altenpflegeheim Bakova erhalten alle die notwendige Pflege und medizinische Betreuung. Einigen der männlichen Patienten fehlen ein oder gar beide Beine. Im "Bruder Franz Haus" haben sie jedoch ihren Lebenswillen und Lebensfreude wiedergefunden. Die 92-jährige Irina fordert P. Wonisch bei seinem Besuch gar zu einem Tänzchen auf. Noch im Juni will die Caritas gemeinsam mit den Salvatorianern in Bakova ein weiteres Heim eröffnen.
Zurück in Temesvar zeigt zeigt Caritas-Geschäftsführer Grün stolz das mitten im Zentrum gelegene Hospiz. Zehn Betten stehen für unheilbar Kranke und Sterbende zur Verfügung. Das Haus ist das zweite Hospiz, das jemals in Rumänien errichtet wurde. 14 Mitarbeiter, darunter auch einigen Ordensfrauen (Franziskanerinnen), kümmern sich um die Patienten, denen so nicht nur professionelle palliative Versorgung sondern auch viel menschliche Zuwendung zuteil wird.
Ebenfalls in Temesvar, aber an einem nicht näher genannten Ort, befindet sich das Frauenhaus "Maria von den Aposteln". Hier erhalten Frauen, die Opfer von psychischer und physischer Gewalt wurden, soziale, psychologische und psycho-pädagogische Unterstützung. Die Einrichtung besteht seit 2003 und bietet Unterkunft und Sicherheit für sechs Frauen und ihre Kinder. Bis zu 50 Frauen und ihren Kindern kann so jedes Jahr geholfen werden, berichtet Herbert Grün. Welchen Ausnahmestatus das Frauenhaus in Temesvar hat wird daran deutlich, dass es in ganz Rumänien nur noch sechs weitere Einrichtungen der gleichen Art gibt.
Aufgabe der Salvatorianer sei es, den Menschen Jesus Christus als "Heiland" näher zu bringen - "in Worten, aber vor allem auch in Taten, wie es P. Berno vorgelebt hat", erklärt P. Wonisch. Mit seinem Lebenszeugnis hat der Ordensmann junge Burschen wie Istvan Barazsuly zu begeistern vermocht. P. Berno ist 2017 verstorben. P. Pisti und andere Salvatorianer, aber auch engagierte Laien, werden das Werk von P. Berno fortsetzen und immer wieder neu ausrichten.