Ein Forscherteam um Müller liefert mit einem Ärzte-Leitfaden den ersten konkreten Ansatz für gezielte Unterstützung von schwangeren Frauen.
Ein Forscherteam um Müller liefert mit einem Ärzte-Leitfaden den ersten konkreten Ansatz für gezielte Unterstützung von schwangeren Frauen.
Ziel der Begleitung ist verantwortete Entscheidung der Frau.
Schwangere sollten rund um vorgeburtliche Untersuchungen frühzeitig Beratung und Begleitung erhalten, bekommen dies aber nicht: Darauf hat die Dekanin der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, Sigrid Müller, am Montag, 18. September 2017 im Interview mit der Nachrichtenagentur "Kathpress" hingewiesen. Die Problematik, dass Frauen von einer auffälligen Diagnose zu schwerwiegenden Entscheidungen gedrängt und dabei meist alleingelassen sind, zeigt aktuell der Kinofilm "Die dritte Option". Ein Forscherteam um Müller liefert mit einem Ärzte-Leitfaden den ersten konkreten Ansatz für gezielte Unterstützung.
"Durch Pränataldiagnostik können sich Situationen ergeben, die sich einschneidend auf das ganze Leben auswirken", sagte Müller. Speziell trifft dies zu, wenn das erwartete Kind womöglich eine Behinderung oder schwere Krankheit hat: In vielen Fällen entscheiden sich Frauen bei dieser Diagnose für eine Abtreibung. Anders als etwa in Deutschland, ist in Österreich vor diesem Schritt keine verpflichtende Beratung vorgesehen; in der Praxis fehlt es laut Müllers Forschungsergebnissen oft an Zeit zum Nachdenken und an jener fachkundiger Unterstützung, die über die medizinische Aufklärungspflicht durch den Frauenarzt hinausgeht.
Frauen sollten eine "langfristig tragbare Entscheidung" treffen können, egal wie diese dann ausfällt, so Müllers Zielsetzung. Unterstützung auf dem Weg dorthin gäbe es zwar sehr wohl, doch sind diese den Betroffenen oft nicht bekannt, bewusst oder zugänglich. "Die Hilfsmöglichkeiten kommen nicht an die Frau", betonte die Theologin. Um hier Abhilfe zu schaffen, listet die neue Broschüre des Fachbereichs Theologische Ethik die Palette von beteiligten Berufsgruppen und ihre jeweiligen Möglichkeiten auf. Dazu gehören u.a. speziell geschulte Hebammen, psychosoziale Berater, Klinische Psychologen sowie auch die Krankenhausseelsorger.
Eine enorme Rolle für die Entscheidung der Frau spielt Müllers Angaben nach bereits der Frauenarzt und dessen Kommunikation. Trotz seines meist knappen Zeitbudgets könne er bei schwieriger Diagnose "Hoffnungsperspektiven eröffnen", indem er Zeitdruck wegnimmt, sich im Team bespricht und auf andere Kollegen und Adressen verweist: "Auch ein Gespräch mit einem Kinderarzt kann einer Frau helfen, realistische Vorstellungen von einer Erkrankung zu erhalten", verdeutlichte die Theologin. Hebammen gehen oft noch direkter auf die Situation ein, liefern Aufklärung über Zusammenhänge und stärken den Selbstwert der Frau.
Kaum bewusst ist vielen Frauen die Möglichkeit einer psychosozialen Beratung, eine Aufgabe, die in Spitälern teils von klinischen Psychologinnen übernommen wird und bei vielen Beratungsstellen kostenlos ist: "Die Beraterinnen haben meist auch den größeren Kontext der Familie sowie der Beziehung zum Partner im Blick und helfen dabei, verschiedene Szenarien durchzudenken", erklärte Müller. Auch Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung oder der Krisenintervention in einer Schocksituation werden hier dargelegt.
Doch auch die klinischen Seelsorger können rund um die Pränataldiagnostik wichtige Dienste leisten: "Sie können der Frau ihre Werthaltung bewusst machen und sie dazu ermutigen, ihren persönlichen Weg zu finden statt sich an äußeren Vorgaben zu orientieren. Dazu gehört auch der Blick darauf, wie man sein eigenes Handeln in ferner Zukunft einmal beurteilen wird. Zudem bieten Seelsorger wertvolle Unterstützung, ein Tief im Leben durchzustehen", sagte die Theologin. Der spirituelle Blickwinkel auf die Schwangerschaft mache auch das Verhältnis zum eigenen Kind bewusst, das im medizinischen Kontext in der Regel gar nicht als eigene Person aufscheine.
Künftig wird die Frage nach interdisziplinärer Begleitung in der Schwangerschaft Müllers Angaben zufolge noch drängender werden - "wenn dann ein Bluttest schon zu einem noch früheren Zeitpunkt und fast ohne körperliche Eingriffe genetische Auffälligkeiten feststellen kann", wie die Theologin verdeutlichte. Nicht übersehen dürfe man, dass Frauen - wie auch ihre Partner - dabei genauso plötzlich "vor Entscheidungen gestellt werden, die sie nie fällen wollten". Müllers Nachsatz: "Viele vergessen, dass es sich bei den Diagnosemöglichkeiten immer nur um Angebote handelt. Die Freiheit, nicht zu wissen, oder nicht alles zu wissen, bleibt bestehen."