Gedanken zum Evangelium, am Sonntag, 6. Juli 2025, von Kardinal Christoph Schönborn (Lk 10, 1-9).
Oft habe ich über das heutige Evangelium nachgedacht, gepredigt, geschrieben. Ich habe es immer als die Lehre Jesu für seinen engeren Kreis gelesen. Neben den 12 Aposteln gab es ja noch weitere 72, die Jesus „auf Mission“ geschickt hat. In diesem größeren Kreis konnte ich auch meine eigene Berufung zum Priester unterbringen. So habe ich oft mit diesem Evangelium um Priesterberufungen geworben, die wir so dringend brauchen. Die Aufforderung Jesu, wir sollen um Arbeiter für die große, reife Ernte bitten, habe ich in diesem Sinn gedeutet.
Diesmal ging es mir anders. Es war für mich wie eine freudige Entdeckung. Was tut Jesus eigentlich, wenn er seinen Jüngern ganz praktische Anweisungen für ihre Mission mit auf den Weg gibt? Er gibt ihnen Verhaltensregeln für ihren eigenen Lebensstil und für die Art, wie sie Menschen begegnen sollen. Auf den ersten Blick betreffen die Ratschläge Jesu nur den Kreis seiner engsten Mitarbeiter, sozusagen die „Profis“ der Mission. Die Regeln sind ja nicht für die Allgemeinheit passend. Jesus kann doch nicht ernsthaft von uns allen erwarten, dass wir ohne Geld, ohne Vorräte, ohne Schuhe leben sollen. Das konnte ein heiliger Franziskus und seine bettelarmen Brüder. Doch gerade er ist bis heute ein Vorbild, wie, in welchem Geist wir einander begegnen sollen. Dieser Gedanke hat mir einen ganz neuen Blick auf das Verhalten Jesu geschenkt. Was zeigt es nun?
Als Erstes ein erschreckendes Wort: „Geht! Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe.“ Wie sollen Schafe den Wölfen begegnen? Das kann nur schlecht ausgehen. Sieht so die von Jesus propagierte Kultur der Begegnung aus? Ein Wort eines Wiener Polizisten hat mir weitergeholfen. Befragt, wie er sich in Situationen der Gewalttätigkeit verhält, sagte er, sie hätten bei der Polizei als Leitwort: „dem Feuer nicht mit Feuer begegnen!“. Das gilt nicht nur für die Feuerwehr und im übertragenen Sinn für die Sicherheitskräfte. Es stimmt auch für unsere alltäglichen Begegnungen. Wie entwaffnend kann es sein, wenn wir auf aggressives Verhalten mit Ruhe und Freundlichkeit reagieren. Dass das riskant ist, hat Jesus an sich selbst erfahren.
Jesu zweiter Rat: völlige Mittellosigkeit! Kein Geld, keinen Vorrat, kein Schuhzeug! So ging Franziskus zu den Leuten. Steckt dahinter ein wichtiges Element der Begegnungskultur? Unsere Begegnungen sind so stark von Rang, Macht, Bedeutung geprägt, dass es uns schwerfällt in Anderen einfach den Menschen zu sehen. Wir stufen einander nach dem Geld, dem Besitz, dem Gewand ein: Ein teures Auto, eine wichtige Position, Markenkleidung. Es braucht manchmal eine Situation der Not, der Krankheit oder der wirklich ehrlichen Begegnung, damit der Andere echt als er selber gesehen wird.
Jesu dritter Rat sollte uns eigentlich selbstverständlich sein: einander den Frieden wünschen! Früher haben einander viele in Österreich mit "Grüß Gott!" gegrüßt. „Friede diesem Haus!“ – Wie oft habe ich mir vorgenommen, diesen Wunsch Jesu bei jeder Begegnung im Herzen zu haben! Jesus ist so nüchtern, daran zu erinnern, dass nicht alle Begegnungen friedlich verlaufen. Das ist kein Grund, es deswegen nicht zu versuchen. Jede gelungene Begegnung ist ein Stück Heilung, eine kleine Insel des Friedens in unserer Welt. Dann stimmt, was Jesus verspricht: Das Reich Gottes ist euch nahe!“
In jener Zeit suchte der Herr zweiundsiebzig andere aus und sandte sie zu zweit vor sich her in alle Städte und Ortschaften, in die er selbst gehen wollte. Er sagte zu ihnen: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden! Geht!
Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe! Grüßt niemanden auf dem Weg! Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als Erstes: Friede diesem Haus! Und wenn dort ein Sohn des Friedens wohnt, wird euer Friede auf ihm ruhen; andernfalls wird er zu euch zurückkehren. Bleibt in diesem Haus, esst und trinkt, was man euch anbietet; denn wer arbeitet, ist seines Lohnes wert. Zieht nicht von einem Haus in ein anderes! Wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch aufnimmt, so esst, was man euch vorsetzt. Heilt die Kranken, die dort sind, und sagt ihnen: Das Reich Gottes ist euch nahe!