Beten heiße zuerst "bitten, auch anmerken, dass wir abhängig sind", so Kardianl Christoph Schönborn.
Beten heiße zuerst "bitten, auch anmerken, dass wir abhängig sind", so Kardianl Christoph Schönborn.
Wiener Erzbischof bei "Wiener Vorlesungen": "Gebet ist einer der stärksten Beweise, dass der Mensch frei ist".
Beten ist ein "Ausdruck von Freiheit" und hat daher auch "revolutionäre Kraft": Das hat Kardinal Christoph Schönborn am Mittwoch, 12. März 2014, im Wiener Rathaus betont. "Alle Diktatoren haben Angst vor Betenden, weil der Mensch durch den Akt des Betens seine innere Freiheit zum Ausdruck bringt", sagte der Wiener Erzbischof bei einer Veranstaltung im Rahmen der "Wiener Vorlesungen".
Das Gebet sei ein "Akt der Freiheit" und mache die Souveränität des Menschen gegenüber Gewissenszwängen und politischen Zwängen deutlich. "Es schenkt dem Menschen jene Würde, die ihm keine Autorität der Welt nehmen kann, nämlich freies Subjekt zu sein", sagte der Kardinal: "Wenn es echte Freiheit gibt, ist das Gebet einer der stärksten Beweise, dass der Mensch frei ist und kein Spielball von Mächten."
Die Organisatoren der von der Stadt Wien veranstalteten "Wiener Vorlesungen" hatten den Kardinal eingeladen, über das Beten als "universales religiöses Phänomen" zu sprechen. Schönborn zeigte sich überzeugt davon, dass die Menschen sehr viel mehr beten würden als allgemein angenommen werde. "Die meisten Menschen beten in der einen oder anderen Form, ob sie es 'Beten' nennen oder 'an jemanden denken'", sagte er: "Es ist so etwas wie ein Grundlebensvollzug. Oft sind wir uns gar nicht bewusst, dass es Beten ist. Aber ich glaube im Herzen jedes Menschen ist so etwas wie eine Ursehnsucht da, die größer ist als unser Alltag."
Beten heiße zuerst "bitten, auch anmerken, dass wir abhängig sind", sagte der Wiener Erzbischof. "Das mag auf den ersten Blick entwürdigend sein, aber: Ist es eine Schande jemanden zum etwas zu bitten, weil er helfen kann?", fragte Schönborn, der in diesem Zusammenhang auch auf die Frage nach einem "zeitgemäßen Beten" einging. Heute schaffe etwa die Medizin vieles, was die Menschen früher dem Gebet anvertraut hätten. "Wenn ich Zahnschmerzen habe, gehe ich zum Zahnarzt und nicht zur heiligen Apollonia" (der Patronin gegen Zahnschmerzen, Anm.), sagte Schönborn. Dennoch bleibe das Gebet Ausdruck der Bedürftigkeit der Menschen, aber auch der Beziehung zu Gott und anderen Menschen. "Das Gebet macht den Menschen nicht klein, nur weil er sich vor Gott klein macht, sondern es macht ihn groß."
Gerade in einer Zeit, in der das Leben hektischer geworden ist, werde das "Atmen der Seele" umso wichtiger, so der Kardinal. Er erlebe bei vielen Menschen eine "Sehnsucht nach Innen-Gewandtheit", die - manchmal auch auf Umwegen - zu einer neuen Entdeckung des eigenen Kindheits-Glaubens führe. Beten könne auch "den Stress des Alltags aufbrechen", sagte Schönborn: "Ich nenne das gerne 'Eintauchen in die Ewigkeit'."
Gebet brauche aber auch viel Disziplin, es sei "ein Kampf gegen die eigene Bequemlichkeit und das, was wir für wichtiger halten als das Beten", bemerkte der Erzbischof. Auch für ihn selbst sei das Gebet "lebensnotwendig", sich Zeit dafür zu nehmen aber dennoch "ein täglicher Kampf" angesichts der vielen bischöflichen Termine und Verpflichtungen.
Kardinal Schönborn berichtete auch von seiner eigenen Studentenzeit in Deutschland, während der er Mitte der 1960-Jahre auch einmal versucht habe, ein Jahr lang ohne das Beten auszukommen. "Wir waren damals überzeugt von 'sozialer Aktion' und haben gesagt: das Gebet bringt nichts, wir müssen die Welt verändern und haben uns um Obdachlose gekümmert", schilderte Schönborn die Zeit der damaligen Studentenbewegung. Während dieser Phase des Nicht-Betens habe er jedoch bemerkt, "dass mir etwas vom Geschmack des Lebens abhandengekommen ist", erzählte der Kardinal: "Es geht, es ist nur die Welt allmählich grauer geworden und ich werde nicht vergessen, was es für ein Glück war, das Gebet wieder zu finden."
"Einfach beten": Unter diesem Motto ladet Kardinal Schönborn zu einem "Jahr des Betens" ein! Es ist eine Schule des Betens, ohne viel Aufwand und für jeden durchführbar.
Alle Informationen, Materialien, Anleitungen und Ideen unter www.einfachbeten.at.
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