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08.11.2020 · Kardinal · Gedanken zum Evangelium

Meine Sterbestunde

Kreuz

"So stelle ich mir selber die Frage: Denke ich an meine Sterbestunde? Im Dezember des letzten Jahres bin ich ganz knapp am Tod vorbeigegangen. Wäre ich bereit gewesen? Hatte ich das Öl in meiner Lebenslampe bereit für das Fest des ewigen Lebens?", fragt Kardinal Christoph Schönborn.

Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 8. November 2020 (Mt 25,1-13).

Die Sterbestunde - ein Hochzeitsfest! Wenn das die Botschaft des heutigen Evangeliums ist, dann darf man zu Recht schockiert sein. Geht es wirklich um das sprichwörtliche "letzte Stündlein"? Die letzten Worte des Gleichnisses Jesu deuten darauf hin: "Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde."

 

Der Tag und die Stunde meines Todes kommen sicher. Wann sie kommen, weiß keiner von uns. Gewiss, man kann sich selber das Leben nehmen. In manchen Ländern geht das auch mit ärztlicher Beihilfe. Ich persönlich hoffe, dass Österreich nicht zu diesen Ländern gehören wird. Der österreichische Weg hat sich bewährt.

 

Kardinal König hat es seinerzeit mit einfachen Worten auf den Punkt gebracht: "Der Mensch soll an der Hand eines anderen sterben dürfen, nicht durch die Hand eines anderen." Die Palliativmedizin, die Hospizbewegung haben es möglich gemacht, dieses wegweisende Wort in die Praxis umzusetzen.

 

Aber geht es im heutigen Evangelium überhaupt um die Sterbestunde? Was ist hier Jesu Botschaft? Es geht wieder einmal um eine Hochzeit. Wie oft spricht Jesus über dieses Thema! Er hat sein öffentliches Wirken auf einer Hochzeit im Nachbardorf von Nazareth, in Kana, begonnen. Dort hat er sein erstes Wunder gewirkt. Als der Wein ausging, hat er das Brautpaar aus der peinlichen Situation gerettet und sechs große Steinkrüge mit Wasser füllen lassen, um es in Wein zu wandeln. Er hat von sich selber als dem Bräutigam gesprochen: "Können die Hochzeitsgäste fasten, solange der Bräutigam bei ihnen ist?" Und wenn er vom Reich Gottes spricht, das jetzt kommen soll, dann gebraucht er oft dafür das Bild der Hochzeit.

 

Um die Hochzeitsgleichnisse Jesu zu verstehen, müssten wir die jüdischen Hochzeitsbräuche von damals gut kennen. Ganz fremd sind auch uns die "Brautjungfern" nicht, die "Kranzljungfern", mit ihren bestimmten Rollen, wie es jeweils der Brauch vorsieht. Zur Zeit Jesu, als es kein elektrisches Licht gab, war es die Aufgabe der Brautjungfern, den Bräutigam zu erwarten, um ihm "heimzuleuchten" in den Hochzeitssaal. Wie der Wein bei der Hochzeitstafel nicht ausgehen darf, so wäre es höchst peinlich, wenn den "Kranzljungfern" das Öl für ihre Lampen ausginge und die Hochzeitgäste im Dunkeln sitzen müssten. Eine Hochzeit muss bestens vorbereitet sein. Denn die Hochzeit ist ein entscheidendes, ja das entscheidende Ereignis im Leben der Brautleute.

 

Genau das ist aber auch der Berührungspunkt mit der Sterbestunde. Auch sie ist einer der wichtigsten Momente des Lebens. Es ist der einmalige Augenblick, in dem die Tür des ewigen Hochzeitssaales sich öffnet und hinter denen, die eintreten, für immer schließt. Dann es gibt kein Zurück. Ist das eine Drohbotschaft? Soll uns Angst gemacht werden vor dem Tod, dem ewigen Leben? Das würde doch gar nicht zum Bild der Hochzeit passen! Wenn Jesus von der Hochzeit spricht, von sich selber als dem Bräutigam, dann ist das immer eine Einladung zur Freude, ein Bild der großen Hoffnung. Aber zugleich erinnert uns Jesus daran, dass die Stunde der Begegnung vorbereitet sein muss.

 

So stelle ich mir selber die Frage: Denke ich an meine Sterbestunde? Im Dezember des letzten Jahres bin ich ganz knapp am Tod vorbeigegangen. Wäre ich bereit gewesen? Hatte ich das Öl in meiner Lebenslampe bereit für das Fest des ewigen Lebens? Soll ich in Angst vor meiner Todesstunde leben, nur weil sie sicher einmal kommt? Ich denke nicht, dass das die Botschaft Jesu ist. Ich glaube, es geht vielmehr darum, jetzt, an diesem Tag, heute, so wach wie möglich zu leben, in der Vorfreude auf das Hochzeitsmahl, das auf uns wartet.

erstellt von: Kardinal Christoph Schönborn
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Matthäus 25,1-13

In jener Zeit erzählte Jesus seinen Jüngern das folgende Gleichnis: Mit dem Himmelreich wird es sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen. Fünf von ihnen waren töricht und fünf waren klug. Die törichten nahmen ihre Lampen mit, aber kein Öl, die klugen aber nahmen mit ihren Lampen noch Öl in Krügen mit. Als nun der Bräutigam lange nicht kam, wurden sie alle müde und schliefen ein. Mitten in der Nacht aber erscholl der Ruf: Siehe, der Bräutigam! Geht ihm entgegen! Da standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht. Die törichten aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Lampen aus! Die klugen erwiderten ihnen: Dann reicht es nicht für uns und für euch; geht lieber zu den Händlern und kauft es euch! Während sie noch unterwegs waren, um es zu kaufen, kam der Bräutigam. Die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal und die Tür wurde zugeschlossen. Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: Herr, Herr, mach uns auf! Er aber antwortete ihnen und sprach: Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.


 

Gedanken zum Evangelium von Kardinal Christoph Schönborn

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