25 Jahre arbeitete Kilian Kleinschmidt bei den Vereinten Nationen.
25 Jahre arbeitete Kilian Kleinschmidt bei den Vereinten Nationen.
Er wurde in Afrika gefoltert, leitete riesige Flüchtlingslager und hat mehr als 25 Jahre für die Vereinten Nationen gearbeitet: Kilian Kleinschmidt. Durch ein globales Netzwerk an Wissen versucht er heute Armut innovativ zu bekämpfen. Ein Sommergespräch mit Georg Gatnar.
Kilian Kleinschmidt ist ein Vorbild an Menschlichkeit. Man könnte sagen, dass er sein gesamtes Leben dem Gemeinwohl widmet. Dabei beachtlich sind seine Lösungsansätze und das er einfach anpackt.
Nach jahrzehntelangen Erfahrungen in Krisenregionen ist der 55 jährige aber nicht bereit in den Ruhestand zu gehen. Er gründet ein Startup-Unternehmen, das durch Vernetzung des globalen Wissens Armut beseitigen soll. Sein Credo: „Für alle Probleme auf der Welt, gibt es schon eine Lösung.
Die Zeit als Krisenmanager hat ihre Spuren hinterlassen. Sie haben zahlreiche Menschenrechtsverletzungen gesehen und wurden in Uganda gefoltert. Wie gehen Sie damit um?
5 Uhr morgens. Ich wache erschrocken auf und habe eine Kalaschnikow vor meiner Nase, ein Raubüberfall. Es folgte eine Scheinhinrichtung und Folter.
Danach war ich irgendwie nicht mehr derselbe. Ich habe keinen Schmerz mehr gespürt, trotz Therapie und Hitzeakupunktur. Heute brauche ich keine Betreuung mehr, was mir hilft, ist, darüber zu sprechen.
Zuletzt haben Sie das UNHCR Flüchtlingslager „Zaatari“ geleitet. Das liegt an der jordanisch-syrischen Grenze. Damals das zweitgrößte der Welt mit 100.000 Bewohnern. Warum haben Sie 2014 Ihren Job gekündigt?
Fast die Hälfte unserer Bevölkerung hat keine Teilhabe an der Gesellschaft, da braucht es neue Impulse von außen. Die humanitäre Hilfe hat nach dem Zweiten Weltkrieg mit CARE-Paketen begonnen und daraus hat sich eine große Bürokratie entwickelt.
Kein einziges Land ist je dank humanitärer Organisationen oder Entwicklungshilfe aus der Armut gekommen. Im Gegenteil, Abhängigkeiten wurden geschaffen. Die 45 Milliarden Euro im Jahr an globaler humanitärer Hilfe ist nur ein Tropfen auf einen sehr heißen Stein.
Wir müssen Strg+Alt+Entf drücken (Anm.: diese Tastenkombination ist für PC-Nutzer oft die letzte Rettung) und umdenken, um alle Menschen in die moderne Welt zu bringen.
Sie haben dann das Start-up-Unternehmen „IPA - Innovation and Planning Agency“ gegründet.
Es gibt genug Ressourcen und Knowhow auf der Welt. Eigentlich auch genug Geld. Für jedes Problem wurde im Grunde schon eine Lösung gefunden. Man kann Wasser aus der Luft holen, Energie aus fast allem machen und wir könnten Lebensmittel schneller und sicherer produzieren. Das müssen wir sichtbar und ärmeren Menschen zugänglich machen.
Mein Unternehmen verbindet Wissenschaft, Forschung und die Privatwirtschaft mit anderen Strukturen. Es geht also auch um eine Finanzierungsmischung. Gerade berate ich mit der Weltbank darüber. Zudem arbeite ich an der Plattform „Switxboard“. Eine Mischung aus booking.com, Dating-App und Heiratsvermittlung.
Die Plattform ist das digitale Instrument meiner Vision, man könnte auch „humanitäre Hilfe 2.0“ dazu sagen. Auf unserer Liste stehen unter anderem Businessmagnet George Soros und Virgin Group-Gründer Richard Branson.
Mein Traum: Menschen müssen einfach Zugriff darauf haben, was die Welt kann.
Wie sehen Sie Europa in 10 Jahren?
Man muss sichere Konditionen für Menschen schaffen. Ich bin auch für einen Schutz der Außengrenzen. Aber keine Burg überlebt, indem man die Fallbrücken hochzieht, sondern sie lebt davon, dass es einen Austausch gibt.
Man muss Migration und Flucht unterstützen sowie die Ursachen bekämpfen. Viel wurde miteinander vermischt, die notwendige Migration und Immigration mit einer komischen Angst vor dem Islam und anderen Kulturen.
Migration ist und war immer Teil der Weltgeschichte, kein Fortschritt ohne Migration. Ich hoffe, dass die Schocktherapie durch diese gefühlten Flüchtlingswellen und Krisen 2015 dabei hilft, uns auf unsere Werte wieder zu besinnen: der Traum vom Projekt Europa und einer friedlichen Gesellschaft.
Was bedeutet für Sie Glück?
Das totale Glück in meinem Leben werde ich nicht mehr finden. Ich habe immer das Gefühl, ich hätte mehr machen können. Aber irgendwann sehe ich mich in einem Paradies sitzen und kann dann vielleicht sagen: Du hast einen Unterschied gemacht in dieser Welt.
Was hat Ihnen Halt gegeben und glauben Sie an eine höhere Macht, an Gott?
Meine Eltern haben immer gesagt, der Junge muss selbst entscheiden, was er spirituell entwickeln möchte. Deswegen bin ich nie getauft worden. Ich habe mir irgendwie meinen eigenen Glauben zusammengebaut. Irgendwo ist da etwas und das hilft mir in vielen Momenten.
Meine Religion ist der Glaube an die Menschheit. Was den Menschen gut macht, ist das, was mich treibt und was mir Kraft gibt weiterzumachen.
Wie sehen Sie die katholischen Hilfswerke und Nichregierungsorganisationen weltweit?
Strukturen und Organisationen, die durch einen Glauben geprägt sind, müssen aufpassen, dass sie nicht Umsetzer von Machtsystemen werden.
Da muss sich auch die Kirche gewisse Fragen stellen, zum Beispiel beim Genozid in Ruanda 1994. (Anm.: Die Kirche stand damals der Hutu-Regierung nahe, die 800.000 Tutsi und gemäßigte Hutu ermorden ließ.)
Aber andererseits ist der Glaube im Grunde die Basis für das soziale Denken und Agieren, ein wichtiger Teil der Gesellschaft und stärkt den Zusammenhalt. Etwas, dass bei uns auch manchmal fehlt, weil sehr viele von negativen Emotionen getrieben werden. Dabei unterstützen diese Strukturen sehr. Sie bilden eine soziale Gesellschaft, eine Gemeinschaftlichkeit, die uns allen hilft.
Abschließend eine Kilian Kleinschmidt-Weisheit?
In Europa haben wir derzeit sehr viele Themen und Probleme. Wir müssen da entkrampfter rangehen. Etwas mehr Leichtigkeit, etwas mehr Flexibilität und nicht nur starke und harte Positionen beziehen. Bestimmte Veränderungen brauchen eben Zeit. Seid nicht so ungeduldig und seid toleranter.
Viel mehr Toleranz untereinander gegenüber denjenigen, die vielleicht anders denken, anders handeln und anders sprechen. – Das würde uns allen helfen.
zur Person
Kilian Kleinschmidt, 55, wuchs in Berlin auf. Er arbeitete als Dachdecker, trotz Höhenangst. Nach der Matura ging es raus in die weite Welt. Kleinschmidt hat in den Pyrenäen 35 Ziegen gehütet und nach seinen Aussagen schlechten Ziegenkäse produziert.
Nach einem Motorradtrip durch die Wüste in Mali, das liegt in Westafrika, lernte er 1988 einen Entwicklungshelfer in einer Kneipe kennen.
Der Beginn seiner Passion: 1991 UN-Welternährungsprogramm im Südsudan und erlebt das „Massaker von Bor“ mit. Anschließend UNHCR in Somalia. Nach der Schlacht von Mogadischu wurde Kleinschmidt 1993 abgezogen. Im Zweiten Kongokrieg errichtete er eine wichtige Luftbrücke. 2013 -2014 war Kleinschmidt Leiter des Flüchtlingscamps Zaatari. 2015 Berater im Innenministerium für das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen.
Heute ist Kilian Kleinschmidt Gründer des Startup-Unternehmens „IPA Innovation and Planning Agency“ und der Plattform „Switxboard“.
Kilian Kleinschmidt und Georg Gatnar beim Sommergespräch.
Humanitäre Hilfe 2.0. Mit Kilian Kleinschmidt am Montag, 17. Juli 2017, um 17.30 Uhr im Sommergespräch auf radio klassik Stephansdom.
Wiederholung am Sonntag, 23. Juli, um 17.30 Uhr.
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