„Alles ist durch den Sinn geworden, und ohne Sinn wurde nichts, was geworden ist.“
„Alles ist durch den Sinn geworden, und ohne Sinn wurde nichts, was geworden ist.“
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 4. Jänner 2015 (Johannes 1,1-18)
Was war am Anfang? Wie fing alles an? Wieso wurde alles so, wie es kam? Sonne, Mond und Sterne? Meer und Land, Berge und Täler, Pflanzen, Tiere, Menschen – woher kommen sie alle? Warum gibt es sie? Sind sie einfach zufällig entstanden? Sind wir selber zufällig ins Dasein hineingestolpert oder gar hineingestoßen worden?
Diese Fragen stellen sich nicht täglich. Der Alltag beschäftigt uns zu sehr. Nur zu selten finden wir die Zeit, uns auf diese Urfragen des Lebens einzulassen. Kardinal König hat sie oft so benannt: „Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was ist der Sinn meines Lebens?“
Die Weihnachtstage laden dazu ein, darüber nachzudenken. Und es gibt kaum einen geeigneteren Text für diese Besinnung als die wunderbaren Worte des Prologs des Johannesevangeliums. Gleich zwei Mal wird dieser Beginn des Johannesevangeliums in der Weihnachtszeit gelesen: Am Christtag selber, und heute noch einmal. Er beginnt mit einer gewaltigen Aussage: „Im Anfang war das Wort.“ Im griechischen Originaltext heißt es: „Im Anfang war der LOGOS.“ Logos bedeutet „Wort“, aber auch „Sinn“, „Vernunft“. Wir können also auch übersetzen: „Im Anfang war der Sinn.“
Dann können wir auch den nächsten Satz so lesen: „Alles ist durch den Sinn geworden, und ohne Sinn wurde nichts, was geworden ist.“ Das heißt doch: Im Anfang aller Dinge steht ein Sinn, und nicht der Unsinn. Nichts ist einfach sinnlos geworden. Denn alles wurde geschaffen und nicht vom blinden Zufall hervorgebracht. Die Welt und alles, was sie an Wunderbarem enthält, ist sinnvoll, von Gott gewollt und für uns Menschen gedacht.
Warum aber gibt es dann in dieser Welt so viel Sinnloses? Woher kommen alle die dunklen Seiten, Hass und Streit, Krieg und Mord, Lieblosigkeit und sinnlose Zerstörung? Woher kommt so viel Dunkelheit in einer sinnvollen, von Gott geliebten Welt?
Gerade in der Weihnachtszeit ist dieser Widerspruch besonders schmerzlich zu erfahren. Das besinnliche Fest wird oft zum Anlass, Familienkonflikte aufbrechen zu lassen.
Unser Text weiß davon, wenn er sagt: „Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ Und noch deutlicher: „Er (das Wort, der Sinn) kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“
Das Dunkel in der Welt hat auch damit zu tun, dass wir Menschen die Welt oft selber finster machen. Wieviel Streit geht auf unsere eigene Rechnung! Wie oft ist es menschliche Lieblosigkeit, die den Sinn des Lebens verdunkelt!
In dieses Dunkel hinein spricht die Botschaft von Weihnachten. Sie lautet: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Gott hat diese Welt nicht nur sinnvoll geschaffen, sondern hat diesen Sinn sichtbar gemacht. Dieser Sinn hat ein Gesicht, hat Fleisch und Blut und einen Namen. Er heißt Jesus, und er ist Gottes Sohn, der für uns Mensch geworden ist.
Allen, die dieses Kind im Herzen aufnehmen, die ihm vertrauen und ihm glauben, „gab er Macht, Kinder Gottes zu werden“.
Das ist der Sinn von Weihnachten. Das ist der tiefste Sinn des Lebens.
Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.
Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.
Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.
Es trat ein Mensch auf, der von Gott gesandt war; sein Name war Johannes. Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen. Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht.
Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.
Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.
Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.
Johannes legte Zeugnis für ihn ab und rief: Dieser war es, über den ich gesagt habe: Er, der nach mir kommt, ist mir voraus, weil er vor mir war. Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade. Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben, die Gnade und die Wahrheit kamen durch Jesus Christus. Niemand hat Gott je gesehen.
Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht.