Paul Michael Zulehner, Theologe, katholischer Priester, emeritierte Universitätsprofessor, Religionssoziologe, Buchautor,
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Die aktuelle Diskussion um ein mögliches Kopftuchverbot – die Debatte um das Kreuz als religiöses Symbol in Schulen und Gerichtsgebäuden – und die moslemfeindliche Politik von Donald Trump. Selten zuvor haben religiöse Themen so stark emotionalisiert.
Ist es tatsächlich wichtig, dass in unseren Schulen ein Kreuz hängt? Und: Brauchen wir in Österreich ein Kopftuchverbot oder ein Burkaverbot im öffentlichen Raum? Sollen es unsere Politiker nicht vielleicht sogar so halten, wie der neue US-Präsident Donald Trump, der mit seiner Forderung nach einem Einreisestopp für muslimische Länder gleich eine gesamte Religionsgemeinschaft unter Generalverdacht stellt?
Vom Gefühl her waren religiöse Diskussionen selten zuvor so präsent und polarisierend wie derzeit. Und zwar in der Politik, in den Nachrichten und damit klarerweise auch überall im Alltag.
Ist das eine reine Momentaufnahme? Oder nimmt die Diskussion um Religion derzeit zu?
Das fragen wir Paul Michael Zulehner Als Theologe und katholischer Priester gehört er zu den bekanntesten Religionsexperten Europas und beobachtet damit die aktuelle Entwicklung: „Religion wird nicht wirklich wichtiger. Aber sie ist nach Jahrzehnten der Privatisierung auf die politische Bühne zurückgekehrt. Dabei spielen ganz verschiedene Interessen eine Rolle.
So zeigt die Studie ‚Religion im Leben der Menschen 1970-2010‘, dass sich im Land derzeit fast 80% als ,Kulturchristen‘ verstehen. Sie wollen ein christlich geprägtes Europa und ein christliches Abendland. Die einen setzen sich dafür kämpferisch ein, die anderen friedlich. Die Diskussion um ein christliches Abendland kann unsere Kultur durchaus stärken. Menschen beschäftigen sich wieder mit dem Christentum, aber auch mit dem Islam, den Skeptikern und den Atheisten und Konfessionsfreien. Ob sich im Rahmen solcher Diskussionen auch Menschen für den (Wieder-)Eintritt in die Jesusbewegung entscheiden, steht dahin.“
Paul Michael Zulehner bestätigt also im Interview mit dem SONNTAG den zunehmenden Trend von religiösen Themen in der aktuellen politischen und alltäglichen Diskussion. Diese wird mitunter sehr emotional geführt, weiß Zulehner. „Ich schätze es sehr, wenn in Diskussionen Gefühle wach werden. Solche gehören ja zu uns und unseren Wahrnehmungen. Bei Vorträgen versuche auch ich gezielt, Gefühle zu wecken.
Kritisch wird es freilich, wenn sich Gefühle verselbständigen. Dann werden sie irrational und können ebenso ein blindes Hochgefühl wie auch blinden Hass erzeugen. Zu den starken Gefühlen gehören Vertrauen wie Angst. Angst sitzt im Bauch. Verbündet sich die Angst mit dem Verstand, dann wird aus der Angst Furcht. Angst wehrt ab, Furcht setzt sich ein“, bekräftigt Zulehner.
Weiters ergänzt er: „Entängstigt euch, fürchtet euch aber vor dem Terror im Namen Gottes (ob christlich oder islamisch ist gleich schlimm) genauso wie vor der Gewalt einzelner Einheimischer gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte oder die verbale Gewalt des Hassens in den Postings.“
Werden Themen wie Kopftuchverbot oder die Diskussion um Kreuze politisch aufgebauscht, oder sind das tatsächlich für die Österreicher relevante Themen?
Paul Michael Zulehner: Die Diskussionen um Kopftuch oder Kreuz sind vernünftige politische Themen. Sie sind den Menschen wichtig. Allerdings werden sie von verschiedenen Interessen gespeist. Die einen wollen wie in Frankreich alle religiösen Symbole aus den öffentlichen Räumen beseitigen, andere nur die muslimischen.
Ich finde es demokratisch bestens, wenn hinsichtlich der religiösen Symbole in den Schulen die Schulgemeinschaft von Schülerinnen, Schülern, Eltern und Lehrenden gemeinsam berät und eine von Respekt getragene Entscheidung trifft.
Werden christliche Werte und religiöse Symbole als Vorwand für Ausländerfeindlichkeit benutzt?
Paul Michael Zulehner: Ausländerfeindlichkeit hat zunächst nichts mit christlichen Werten und religiösen Symbolen zu tun, kann aber durch Religion verschärft werden. Es gibt diese ja auch im atheisierenden Osteuropa, im buddhistisch geprägten Myanmar, im hinduistisch geformten Indien. Und auch in Amerika hat man manchmal das Gefühl, dass das Motto insgeheim lautet: „Make America hate again“ (dt. „Lass den Hass in Amerika wieder auferstehen“).
Ausländerhass ist eine dunkle, angstbesetzte Eigenschaft in der jeweiligen Person. Es sind Menschen, die sich mit Vielfalt schwertun. Vielfalt ist für sie nicht, wie der Vatikan in einem Text zur Migration schrieb, Reichtum, sondern Bedrohung.
Wie stark beeinflusst US-Präsident Donald Trump mit seinem geforderten Einreisestopp für Muslime die Diskussion und Wahrnehmung um religiöse Themen bei uns in Österreich?
Paul Michael Zulehner: Der US-amerikanische Präsident löst den politischen Spagat zwischen Sicherheit und Religionsfreiheit populistisch zu Gunsten der Sicherheit. Mit dieser einfachen Lösung greift er die Ängste vieler in seinem Land auf, verschärft sie aber dadurch zugleich. Denn nicht nur jene Menschen, die aus den „gebannten“ Ländern kommen, sind jetzt unter Verdacht.
Der Vorteil dieser Auseinandersetzung in Amerika für uns in Europa ist, dass Politik in der Art Donald Trumps einen schlechten Ruf bekommen hat. Er hat damit unsere Rechtspopulisten mit seinem Stil ziemlich in Verlegenheit gebracht. Er zeigt unmissverständlich auf, wohin solche Politik führen kann.
Auch so kann ein amerikanischer Präsident unserem Land und Europa, wenn auch ungewollt, dienen.
Sind Kopftuch oder Burka religiöse Symbole oder Symbole der Unterdrückung gegen Frauen, wie oft angenommen wird?
Paul Michael Zulehner: Kleidung kann vieles bedeuten. Ich kenne Muslimas, die tragen aus kulturellem Stolz ein Kopftuch. Für andere ist es ein Teil der religiösen Tradition. Wieder andere sehen in ihm weder das eine noch das andere. Ich rate dazu, diese Entscheidung den muslimischen Frauen selbst zu überlassen. Vielleicht können wir indirekt durch Bildung ein wenig Unterstützung geben – auch durch Bildung der muslimischen Männer. Die Entscheidung muss aber von den Betroffenen selbst gefällt werden.
Wird die auffällige Dichte der religiösen Diskussionsthemen (Trump, Kopftuch, Kreuz) weiter anhalten?
Paul Michael Zulehner: Erfreulicher Weise werden wir wieder ein Land, in dem Religion Interesse gewinnt. Das ist für eine Kultur gut, stärkt das Gewicht des Religionsunterrichts, fördert den interreligiösen und weltanschaulichen Dialog. Unsere Bildungsveranstaltungen werden neuestens gut besucht.
Es ist eine Zeit mit vielen Chancen, unsere Kultur, gestützt auf gute Traditionen, als eine offene Kultur weiter zu entfalten. Und das, wie eine Frau aus dem Volk es formulierte, hoffentlich mit „göttlichem Rückenwind“!
Paul Michael Zulehner, Theologe, katholischer Priester, emeritierte Universitätsprofessor, Religionssoziologe, Buchautor,
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