"Was lässt uns vertrauen? Wann wird Vertrauen leichtsinnig? Man sagt ja oft: Vertrauen ist gut. Kontrolle ist besser! Braucht es nicht auch ein gewisses Maß an Misstrauen?", fragt Kardinal Christoph Schönborn.
"Was lässt uns vertrauen? Wann wird Vertrauen leichtsinnig? Man sagt ja oft: Vertrauen ist gut. Kontrolle ist besser! Braucht es nicht auch ein gewisses Maß an Misstrauen?", fragt Kardinal Christoph Schönborn.
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 7. Februar 2016. (Lukas 5,1-11)
Mich beeindruckt am heutigen Evangelium immer neu das Wort des Petrus: „Doch wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen.“ Er ist Fischer von Beruf. Petrus und seine Kollegen haben gerade eine völlig erfolglose Nacht hinter sich: „Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen.“ Sie wissen, dass jetzt, da es heller Tag ist, erst recht kein guter Fischfang zu erwarten ist. Sie wissen, dass Jesus keine Ahnung vom Beruf des Fischers hat. Er ist gelernter Zimmermann und hat bisher nie am See gelebt.
Was soll also seine Aufforderung, noch einmal zum Fischen hinauszufahren, noch einmal die Netze auszuwerfen? Eigentlich völlig unsinnig! Es widerspricht aller Erfahrung. Wieso sagt Simon Petrus dann doch zu Jesus: „Doch wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen?“
Petrus vertraut! Um das geht es! Im Vertrauen auf Jesus macht er etwas, was ihm normalerweise als ganz unvernünftig erscheinen muss. Warum vertraut er Jesus? Das ist, so scheint es mir, der Kern des heutigen Evangeliums. Gottvertrauen! Vertrauen auf Jesus! Und auch das gegenseitige Vertrauen unter uns Menschen.
Was lässt uns vertrauen? Wann wird Vertrauen leichtsinnig? Man sagt ja oft: Vertrauen ist gut. Kontrolle ist besser! Braucht es nicht auch ein gewisses Maß an Misstrauen? Doch andererseits sprechen die Psychologen vom „Urvertrauen“, ohne das wir gar nicht recht leben können. Misstrauen kann krankhaft werden. Kinder, die von früh an in ihrem Vertrauen immer wieder verletzt worden sind, tun sich im Leben schwer, ein gesundes Maß an Vertrauen aufzubringen. Besonders schmerzlich ist es, wenn durch solche Verletzungen das Urvertrauen in Gott zerstört wurde.
Was bewog Petrus, Jesus so viel Vertrauen zu schenken? Vertrauen muss wachsen. Es braucht gute Erfahrungen. Petrus kennt Jesus noch nicht lange. Doch in der kurzen Zeit, seit er und einige andere mit Jesus unterwegs sind, haben sie Vertrauen gewonnen. Sie haben Jesus erlebt. Sie haben ihm lange zugehört. Sie haben gesehen, wie auf sein Wort hin Kranke völlig gesund wurden. Sie haben gespürt, dass auf sein Wort Verlass ist. Das alles schwingt mit in der Antwort, die Petrus Jesus gibt: „Doch wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen.“
Was dann geschah, war für Petrus und seine Kollegen unfassbar. Eine so große Menge Fische, dass beide Boote bis zum Rand voll waren. Die Reaktion des Petrus ist überraschend: kein Jubel, keine Begeisterung über so viele Fische. Vielmehr: „Herr, geh weg von mir, ich bin ein Sünder!“ Heiliger Schrecken hat ihn erfasst. Petrus und die Kollegen haben nicht einfach nur Fischerglück gehabt, nach einer erfolglosen Nacht. Sie sind in Jesus Gott selber begegnet. Petrus fällt Jesus zu Füßen, weil er ahnt, dass in Jesus Gott unter uns gegenwärtig ist. Später wird er es ausdrücklich zu Jesus sagen: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“
Das Vertrauen wächst durch gute Erfahrungen. Deshalb konnten sie, Petrus und die anderen, damals den Schritt wagen, der ihr Leben für immer bestimmen sollte: „Sie ließen alles zurück und folgten ihm nach.“
In jener Zeit, als Jesus am Ufer des Sees Genesaret stand, drängte sich das Volk um ihn und wollte das Wort Gottes hören. Da sah er zwei Boote am Ufer liegen. Die Fischer waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. Jesus stieg in das Boot, das dem Simon gehörte, und bat ihn, ein Stück weit vom Land wegzufahren. Dann setzte er sich und lehrte das Volk vom Boot aus. Als er seine Rede beendet hatte, sagte er zu Simon: Fahr hinaus auf den See! Dort werft eure Netze zum Fang aus! Simon antwortete ihm: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen. Doch wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen. Das taten sie, und sie fingen eine so große Menge Fische, dass ihre Netze zu reißen drohten. Deshalb winkten sie ihren Gefährten im anderen Boot, sie sollten kommen und ihnen helfen. Sie kamen, und gemeinsam füllten sie beide Boote bis zum Rand, so dass sie fast untergingen. Als Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füßen und sagte: Herr, geh weg von mir; ich bin ein Sünder. Denn er und alle seine Begleiter waren erstaunt und erschrocken, weil sie so viele Fische gefangen hatten; ebenso ging es Jakobus und Johannes, den Söhnen des Zebedäus, die mit Simon zusammenarbeiteten. Da sagte Jesus zu Simon: Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen. Und sie zogen die Boote an Land, ließen alles zurück und folgten ihm nach.
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