Meine Leistungen, meine Mühen, meine Wichtigkeit... Jesus sagt mir: Lebe nicht mit einer Anspruchshaltung!
Meine Leistungen, meine Mühen, meine Wichtigkeit... Jesus sagt mir: Lebe nicht mit einer Anspruchshaltung!
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 2. Oktober 2016 (Lk 17,5-10)
So ging es damals in der Arbeitswelt zu. Ist es heute so viel anders? Jesus weiß, wie es den Landarbeitern seiner Zeit ging. Geht es ihnen heute so viel besser, den Landarbeitern in Lateinamerika oder anderswo? Jesus nimmt den Knecht eines Bauern als Beispiel.
Alois Stöger (1904-1999), der frühere Weihbischof von St. Pölten und tiefe Kenner der Bibel, beschreibt die Situation sehr nüchtern: „Der Knecht ist Landarbeiter, der vom Bauern für ein Jahr gedungen wurde. Damit hat der Bauer Anspruch auf seine ganze Arbeitskraft. Der Knecht muss pflügen, das Vieh hüten und im Haus alle Dienste besorgen: die Küche und den Tisch. Die Ansprüche des Bauern, der auch nur zu den Kleinen gehört – er hat nur einen Knecht für alle Arbeiten – sind herausfordernd. Der Knecht hat auf dem Feld gearbeitet, der Bauer war daheim; der Knecht kommt müde zurück, der Bauer liegt bei Tisch und lässt sich von ihm bedienen; der Knecht ist nach des Tages Arbeit hungrig, er muss warten, bis sein Herr gegessen hat. Der Bauer hat keinen Dank für ihn; er macht seine Rechte geltend. Der Knecht ist eben Knecht und hat für ihn zu tun, was ihm befohlen ist.“
Findet Jesus dieses ausbeuterische Arbeitsverhältnis in Ordnung? Er weiß auf jeden Fall, dass es in der Arbeitswelt so zugeht. Nur damals? Wie sieht es heute in Leihfirmen aus? Wie geht es Arbeitnehmern, die unsichere Arbeitsplätze haben und froh sein müssen, überhaupt eine Arbeit zu haben, und die daher gegenüber Ausnützung lieber schweigen als auf ihr Recht zu pochen?
Was will Jesus mit dieser Geschichte sagen? Dass wir Gott gegenüber Knechte sind, die zu allen Schicksalsschlägen nur schweigen dürfen? „Hände falten, Pappen halten?“ Ist das Jesu Gottesbild? Ein tyrannischer Chef, der nur das „Kuschen“ seiner Sklaven will? Ein Gott, der den Menschen kaum atmen lässt? Ein rechtloser Mensch vor einem allmächtigen Gott?
So könnte die Geschichte verstanden werden. Ich glaube, es geht um etwas anderes. Wir kennen alle die Versuchung, uns wichtig zu nehmen und uns vor anderen wichtig zu machen. Wie oft ertappe ich mich dabei, dass ich gerne meine Leistungen, meine Mühen, meine Wichtigkeit anderen gegenüber herausstreiche! Jesus sagt mir: Lebe nicht mit einer Anspruchshaltung! Vor Gott ist keiner von uns der große Herr. Vor ihm sind wir „arme Schlucker“. Dann kommt mir oft in den Sinn, was der gute Papst Johannes XXIII. gerne zu sich selber sagte: „Nimm dich nicht so wichtig!“ Dann bekommt der Rat Jesu eine leicht ironische Wendung, fast eine humorvolle Note. Wenn du all deine Pflicht getan hast, dann sage einfach: Ich bin ein unnützer Knecht, ich hab nur meine Schuldigkeit getan!
In jener Zeit baten die Apostel den Herrn: Stärke unseren Glauben! Der Herr erwiderte: Wenn euer Glaube auch nur so groß wäre wie ein Senfkorn, würdet ihr zu dem Maulbeerbaum hier sagen: Heb dich samt deinen Wurzeln aus dem Boden, und verpflanz dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen. Wenn einer von euch einen Sklaven hat, der pflügt oder das Vieh hütet, wird er etwa zu ihm, wenn er vom Feld kommt, sagen: Nimm gleich Platz zum Essen? Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Mach mir etwas zu essen, gürte dich, und bediene mich; wenn ich gegessen und getrunken habe, kannst auch du essen und trinken. Bedankt er sich etwa bei dem Sklaven, weil er getan hat, was ihm befohlen wurde? So soll es auch bei euch sein: Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Sklaven; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan.
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