Was für ein Glück, in einem Land wohnen zu dürfen, in dem die Justiz funktioniert! Ich weiß von Ländern, in denen ein Gerichtsakt nur weiter bearbeitet wird, wenn das nötige Schmiergeld gezahlt wird.
Was für ein Glück, in einem Land wohnen zu dürfen, in dem die Justiz funktioniert! Ich weiß von Ländern, in denen ein Gerichtsakt nur weiter bearbeitet wird, wenn das nötige Schmiergeld gezahlt wird.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 16. Oktober 2016 (Lk 18,1-8)
Was für ein Glück, in einem Land wohnen zu dürfen, in dem die Justiz funktioniert! In vielen Teilen der Welt können die Menschen nur davon träumen, dass Richter nach dem Recht urteilen, dass Gerichte nicht bestechlich sind, dass dem Armen sein Recht zugesprochen wird wie dem Reichen. Ich habe erlebt, wie es in einem nicht fernen Land einer ordentlichen Summe bedurfte, um einen unschuldig Eingesperrten frei zu bekommen. Ich weiß von Ländern, in denen ein Gerichtsakt nur weiter bearbeitet wird, wenn das nötige Schmiergeld gezahlt wird. Wer arm ist, kann nicht auf sein Recht hoffen. Wie viel Unrecht geschieht in unserer Welt im Namen des Rechts!
Zur Zeit Jesu war das nicht anders. Und Jesus spricht es offen an. Seine Zuhörer wissen, wovon er spricht. Es ist für viele eine leidvolle Erfahrung. Sie kennen solche Richter, „die Gott nicht fürchten und auf keinen Menschen Rücksicht nehmen“. Sie wissen, wie schlimm es ist, an einen solchen Richter zu geraten. Auf ein gerechtes Urteil ist da wenig Hoffnung.
Ein bisschen Hoffnung lässt Jesus dennoch durchblicken. Er erzählt von einer tapferen Witwe. Sie ist energisch und zäh. Sie lässt sich nicht entmutigen. Sie pocht auf ihr Recht. Sie lässt dem Richter keine Ruhe. Sie ist die wahre Heldin in der Geschichte, die Jesus erzählt. In ihrer Not geht sie auf das Ganze. Sie hat nichts mehr zu verlieren. Sie weiß, dass sie im Recht ist, und das gibt ihr die Kraft, nicht locker zu lassen.
Jesus macht uns durch diese Witwe Hoffnung, dass das Unrecht nicht triumphiert. Ihre Beharrlichkeit ist schließlich erfolgreich. Ein schönes Lob auf die vielen mutigen Frauen, die in einer Welt voller Unrecht für den Sieg des Rechtes und der Gerechtigkeit kämpfen! Mit einem Schuss Humor schildert Jesus das Verhalten des Richters. Im Grund ist er ein Feigling. Die Witwe geht ihm auf die Nerven. Sie könnte noch handgreiflich werden. Die Angst vor einer Ohrfeige bewegt ihn schließlich dazu, das zu tun, was seine Pflicht wäre; Recht zu sprechen. Vergleicht Jesus nun Gott mit dem ungerechten Richter? Nein, er stellt uns die tapfere Witwe als Vorbild vor Augen. Gott wird sich doch nicht schlechter verhalten als dieser üble Richter! Er wird doch nicht seine Freunde, „die Tag und Nacht zu ihm schreien“, warten lassen wie der ungute Richter. Nicht er, Gott, steht in Frage, sondern wir Menschen.
Denn Jesus stellt mit dieser zugleich ernsten und humorvollen Geschichte uns allen eine Frage: Wie hast du es mit dem Beten? Durch dieses Gleichnis von der Witwe und dem Richter sagt uns Jesus, dass wir „allezeit beten und darin nicht nachlassen sollen“.
Doch warum sollen wir beten? Und gar allezeit beten, ohne je nachzulassen? Und wie soll das gehen, allezeit beten? Wir haben doch auch anderes zu tun, und meist sehr viel anderes. Jesus gibt dazu nur ein Stichwort: Glauben! Glauben wir wirklich, dass Gott uns allezeit nahe ist? Dass er uns hört? Dass er für uns da ist? Dass wir im Vertrauen auf ihn nie locker lassen sollen? Ist dieser feste Glauben bei uns noch zu finden? Das ist Jesu Frage an uns.
In jener Zeit sagte Jesus ihnen durch ein Gleichnis, dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollten: In einer Stadt lebte ein Richter, der Gott nicht fürchtete und auf keinen Menschen Rücksicht nahm. In der gleichen Stadt lebte auch eine Witwe, die immer wieder zu ihm kam und sagte: Verschaff mir Recht gegen meinen Feind! Lange wollte er nichts davon wissen. Dann aber sagte er sich: Ich fürchte zwar Gott nicht und nehme auch auf keinen Menschen Rücksicht; trotzdem will ich dieser Witwe zu ihrem Recht verhelfen, denn sie lässt mich nicht in Ruhe. Sonst kommt sie am Ende noch und schlägt mich ins Gesicht. Und der Herr fügte hinzu: Bedenkt, was der ungerechte Richter sagt. Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern zögern? Ich sage euch: Er wird ihnen unverzüglich ihr Recht verschaffen. Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde noch Glauben vorfinden?
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