Jesus spricht mich ganz direkt und persönlich an.
Jesus spricht mich ganz direkt und persönlich an.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 23. Oktober 2016 (Lk 18,9-14)
Ich habe mich immer gewundert, wenn ich in frommen Kreisen höre, dass für „die Sünder“ gebetet wird. Schon als Jugendlicher habe ich mich gefragt: Für wen betet man da eigentlich? Ich wurde und werde den Verdacht nicht los, dass bei dem Wort „Sünder“ meist an „die anderen“ gedacht wird. Sicher ist es gut, für die Bekehrung der Sünder zu beten. Denn was gibt es Schöneres, als wenn jemand, der im Bösen verfangen ist, daraus befreit wird und sich zum Guten wendet! Insofern hatten die vielen Menschen schon Recht, die für die Bekehrung von Hitler oder Stalin beteten. Und sicher ist es berechtigt, dafür zu beten, dass ein Mörder oder ein Missbrauchstäter zur echten Reue über seine Taten findet.
Und doch ist es fragwürdig, wenn ein solches Gebet nur „die anderen“ meint, wenn dabei nicht zumindest der Gedanke mitschwingt: Auch ich bin ein Mensch, der Fehler hat, auch ich bin ein Sünder. Genau darum geht es Jesus im heutigen Evangelium. Jesus erzählt ein Gleichnis. Er wendet sich dabei an Menschen, „die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten“. Von wem spricht da Jesus? An welche Menschen denkt er? Wer kommt mir in den Sinn, wenn ich von solchen selbstgerechten Leuten lese, die auf andere herabschauen?
Ich muss ehrlich gestehen: Jesus spricht mich ganz direkt und persönlich an. Ich bemühe mich zwar, andere Menschen nicht zu verachten. Ich sehe durchaus, dass ich selber Fehler habe, ja dass ich ein Sünder bin. Ich gehe auch regelmäßig zur Beichte, um meine Sünden zu bekennen, um von ihnen losgesprochen zu werden. Aber in meinem Herzen entdecke ich dennoch den Gedanken: So schlimm wie der und der bin ich doch nicht. Und plötzlich spüre ich, dass ich auch schon ähnliche Gedanken gehabt habe wie dieser Pharisäer, von dem Jesus erzählt. Auch ich zähle manchmal innerlich auf, was ich doch alles an Gutem getan habe. Auf jeden Fall: Umgebracht habe ich niemand! Und meinen Kirchenbeitrag zahle ich brav. Und in die Kirche gehe ich regelmäßig. Also ganz so schlecht kann ich doch nicht sein.
Hat Jesus etwas gegen fromme Leute? Sicher nicht! Aber ganz entschieden mag er nicht die Heuchelei. Alles, was dieser fromme Pharisäer aufzählt. Ist gut: Dass er fastet und betet und seine Tempelsteuer zahlt. Der Wurm in dieser schönen Frucht ist die Selbstgefälligkeit. Der Pharisäer betet eigentlich nicht zu Gott, sondern kreist um sich selber. Schlimmer noch: Er vergleicht sich mit anderen, um sich für besser zu halten als sie.
Ein solcher Anderer steht „ganz hinten“. Er weiß, dass er wirklich Dreck am Stecken hat. Er wagt es nicht, zum Himmel aufzublicken. Er kann nur ein Wort hervorbringen: „Gott, sei mir Sünder gnädig.“ Jesus ist eindeutig. Dieser Mann da hinten „kehrte als Gerechter nach Hause zurück, der andere nicht“. Jesus meint das ganz ernst: Wenn du die anderen verachtest, nützt dir deine ganze Frömmigkeit nichts. Schlag an deine eigene Brust! Was weißt du, wie der andere, auf den du herabschaust, wirklich vor Gott dasteht?
Sonntagsfrage: Wann verhalte ich mich so wie der eine in Jesu Geschichte, und wann wie der andere?
In jener Zeit erzählte Jesus einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, dieses Beispiel: Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten; der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stellte sich hin und sprach leise dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort. Ich faste zweimal in der Woche und gebe dem Tempel den zehnten Teil meines ganzen Einkommens. Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wagte nicht einmal, seine Augen zum Himmel zu erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser kehrte als Gerechter nach Hause zurück, der andere nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.
Mehr über Kardinal Christoph Schönborn