Am Grab eines teuren Verstorbenen kommt aber auch die Frage auf: Wo bist du jetzt? Lebst du bei Gott? Bist du im ewigen Leben angelangt?
Am Grab eines teuren Verstorbenen kommt aber auch die Frage auf: Wo bist du jetzt? Lebst du bei Gott? Bist du im ewigen Leben angelangt?
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Allerseelentag, 1. November 2016 (Mt 5,1-12a)
Heute und morgen gehen viele an die Gräber ihrer Lieben. Friedhofsbesuch gehört zum Allerheiligentag. Erinnerungen an gemeinsame Tage, an frühere Zeiten, als der Verstorbene noch unter den Lebenden war. Doch bleibt es nicht aus, dass die Erinnerung verblasst. Mit den Jahren rücken die Toten in die Ferne, versinken im Vergessen.
Am Grab eines teuren Verstorbenen kommt aber auch die Frage auf: Wo bist du jetzt? Lebst du bei Gott? Bist du im ewigen Leben angelangt? Seit jeher hat diese Frage die Menschheit bewegt. Wie geht es nach dem Tod weiter? Viele Religionen haben die Vorstellung, dass der Mensch im Jenseits geprüft wird, wie er auf Erden gelebt hat. Seine Taten werden gewogen, seine guten und seine bösen Werke, und je nachdem auf welche Seite sich die Waage neigt, wird sich das ewige Geschick der Seele entscheiden. Doch nach welchen Maßstäben wird da gemessen werden? Was macht die guten Taten aus?
Mir kam der Gedanke, dass das heutige Evangelium eigentlich ganz genau auf diese Frage antwortet. Jesus hat acht Haltungen selig genannt. Wer sie hat, wer nach ihnen lebt, den nennt Jesus selig, und dem verspricht er großen Lohn im Himmel. So dachte ich mir, ich könnte heute beim Besuch der Gräber den Verstorbenen die acht „Seligpreisungen“ Jesu als Frage stellen.
Wie könnte das aussehen? Etwa so: Warst du in deinem Leben barmherzig? Dann wird Gott auch mit dir Erbarmen haben! Oder: Hast du in deinem Leben versucht, Frieden zu stiften statt Streit zu suchen? Dann wird Gott dich als sein Kind betrachten, denn er ist es, der uns Frieden bringen will. Oder: Hast du auf Gewalt verzichtet? Warst du sanftmütig und gütig zu den anderen? Dann wird Gott dir Anteil geben am „Land der Lebenden“, im Himmel. Oder: Hast du dich so nach der Gerechtigkeit gesehnt, wie du dich ums Essen und Trinken gesorgt hast? Dann wird Gott dich mit Glück und Freude sättigen.
So kann ich jede dieser „Seligpreisungen“ als Frage an die Verstorbenen richten. Wie war dein Leben auf Erden? Wie sieht es jetzt für dich aus? Hast du zum Beispiel lieber um der Gerechtigkeit willen selber gelitten, als anderen Unrecht anzutun? Oder: Hast du lieber eine Beschimpfung oder Verleumdung ertragen, als andere zu beschimpfen und zu verleumden? Dafür verspricht dir Jesus großen Lohn im Himmel!
Die entscheidende Frage aber ist die erste: Warst du arm vor Gott? Warst du dir bewusst, dass wir alle vor Gott arm und bedürftig sind? Oder hast du dich über die anderen erhaben gefühlt, sie sogar verachtet? Denn, so sagt Jesus, wer ein reines Herz hat, wer gerade, gütig und gerecht zu leben bemüht war, der wird Gott schauen.
Nachdenklich beende ich meinen Besuch bei den Gräbern. Ein Wort aus alter Zeit kommt mir in den Sinn: Wie man lebt, so stirbt man. Alle die Fragen, die ich den Toten gestellt habe, waren letztlich Fragen an mich selber.
In jener Zeit, als Jesus die vielen Menschen sah, die ihm folgten, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. Dann begann er zu reden und lehrte sie. Er sagte: Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden. Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden. Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein.
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