Mitten in der Menschenmenge in Jerusalem. Zwei Menschen begegnen einander. Vom einen wissen wir keinen Namen. Der andere ist Jesus.
Mitten in der Menschenmenge in Jerusalem. Zwei Menschen begegnen einander. Vom einen wissen wir keinen Namen. Der andere ist Jesus.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium, 26. März 2017 (Joh 6,1.6-9.13-17.34-38)
Zwei Menschen begegnen einander mitten in der Menschenmenge in Jerusalem. Vom einen wissen wir keinen Namen. Der andere ist Jesus. Der eine ist blind. Er kann Jesus nicht sehen. Aber Jesus sieht ihn. Dem einen fehlt von Geburt an das Augenlicht. Der andere, Jesus, sagt von sich, er sei das Licht der Welt. Der Blinde weiß nicht, wie ihm geschieht. Jesus geht einfach auf ihn zu, tut etwas Überraschendes: Mit seiner Spucke macht er aus etwas Erde einen Teig und bestreicht damit die Augen des Blinden. Er schickt den Blinden zu einem bekannten Teich in Jerusalem. Dort soll er sich die Augen waschen. Der Blinde tut es und wird sehend. Die Aufregung ist groß. Die Leute fragen sich, ob das wirklich der blinde Bettler ist, den sie kannten.
Die Antwort des Blinden ist kurz und klar: Ich bin es! Und mit diesem knappen Wort beginnt für ihn ein schwerer Weg, der ihn schließlich zu Jesus führt. Denn noch weiß er nicht, wie ihm geschehen ist. Er weiß nur eines: Der Mann, der Jesus heißt, hat ihm die Augen bestrichen und ihn zum Teich Schiloach geschickt, um sich zu waschen. „Ich ging hin, wusch mich und konnte sehen.“ Manche meinen, er lüge. Andere bezweifeln, ob er wirklich blind gewesen sei. Und je mehr der bisher Blinde erzählt, wie er sehend geworden ist, desto klarer sieht er, dass dieser Mann Jesus wirklich von Gott sein muss: „Er ist ein Prophet.“
Jesus hat den Blinden an einem Sabbat geheilt. Am Sabbat darf aber ein gläubiger Jude keine Arbeit verrichten. Kann Jesus von Gott sein, wenn er Gottes Gebote nicht hält? So kritisieren die einen. Wieso kann er dann so ein großes Wunder tun, fragen die anderen. Dem Geheilten wird immer klarer: Dieser Mann Jesus muss von Gott kommen, sonst hätte er nicht so ein Wunder wirken können. Er bekennt sich zu Jesus, und das genügt, dass er hinausgeworfen wird aus seiner bisherigen Gemeinschaft. So kommt es zum letzten Schritt in dieser Begegnung. Er trifft Jesus, den er bisher nicht sehen konnte. Jesus fragt ihn: „Glaubst du an den Menschensohn?“ „Wer ist das?“ - „Ich bin es!“ Jetzt kann es zur vollen Gemeinschaft mit Jesus kommen.
Warum wird dieses Evangelium in der Fastenzeit gelesen? Ich glaube, es soll daran erinnern, was der Weg hin zum Osterfest bedeutet. Mehrere Hundert Erwachsene bereiten sich österreichweit derzeit auf die Taufe zu Ostern vor. Nicht wenige von ihnen sind Muslime. Sie riskieren viel mit diesem Schritt. Sie bekennen sich zu Jesus und werden dafür aus ihrer bisherigen Glaubensgemeinschaft ausgeschlossen. Alle diese erwachsenen Taufbewerber haben einen ähnlichen Weg erlebt wie dieser Blindgeborene. Irgendwann sind sie Jesus begegnet. Das hat etwas in ihrem Leben verändert. Jesus hat ihnen die Augen geöffnet. Sie haben den Sinn ihres Lebens neu sehen gelernt. Und sie können anderen davon erzählen, was es für sie bedeutet, Christ geworden zu sein: Jetzt kann ich sehen!
In jener Zeit sah Jesus einen Mann, der seit seiner Geburt blind war. Jesus spuckte auf die Erde; dann machte er mit dem Speichel einen Teig, strich ihn dem Blinden auf die Augen und sagte zu ihm: Geh und wasch dich in dem Teich Schiloach! Schiloach heißt übersetzt: Der Gesandte. Der Mann ging fort und wusch sich. Und als er zurückkam, konnte er sehen. Die Nachbarn und andere, die ihn früher als Bettler gesehen hatten, sagten: Ist das nicht der Mann, der dasaß und bettelte? Einige sagten: Er ist es. Andere meinten: Nein, er sieht ihm nur ähnlich. Er selbst aber sagte: Ich bin es. Da brachten sie den Mann, der blind gewesen war, zu den Pharisäern. Es war aber Sabbat an dem Tag, als Jesus den Teig gemacht und ihm die Augen geöffnet hatte. Auch die Pharisäer fragten ihn, wie er sehend geworden sei. Der Mann antwortete ihnen: Er legte mir einen Teig auf die Augen; dann wusch ich mich, und jetzt kann ich sehen. Einige der Pharisäer meinten: Dieser Mensch kann nicht von Gott sein, weil er den Sabbat nicht hält. Andere aber sagten: Wie kann ein Sünder solche Zeichen tun? So entstand eine Spaltung unter ihnen. Da fragten sie den Blinden noch einmal: Was sagst du selbst über ihn? Er hat doch deine Augen geöffnet. Der Mann antwortete: Er ist ein Prophet. Sie entgegneten ihm: Du bist ganz und gar in Sünden geboren, und du willst uns belehren? Und sie stießen ihn hinaus. Jesus hörte, dass sie ihn hinausgestoßen hatten, und als er ihn traf, sagte er zu ihm: Glaubst du an den Menschensohn? Der Mann antwortete: Wer ist das, Herr? Sag es mir, damit ich an ihn glaube. Jesus sagte zu ihm: Du siehst ihn vor dir; er, der mit dir redet, ist es. Er aber sagte: Ich glaube, Herr! Und er warf sich vor ihm nieder.
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