Die letzten Tage in Rom standen im Zeichen des Abschieds, doch nun richtet sich der Blick nach vorn. Ein persönlicher Eindruck von der Stimmungslage kurz vor dem Konklave.
Das Ende der Trauerzeit
Gestern Abend fand mit einem feierlichen Gottesdienst unter dem Vorsitz von Kardinalprotodiakon Dominique Mamberti das Ende der sogenannten "Novendiales" statt – jener neuntägigen Trauerzeit nach dem Tod eines Papstes. Mich erinnerte dies an den guten Brauch des Schiv'a im Judentum, wo nach dem Tod eines Angehörigen sieben Tage lang getrauert wird, bevor das Leben wieder aufgenommen wird. Diese neuntägige Trauer in Rom ist eine alte, ursprünglich nicht christliche Tradition. Neun Tage sind eine intensive Zeit, eine gute Gelegenheit, innerlich mit dem Gefühl des Verlusts, der Trauer und der Leere umzugehen, die der Tod einer Identifikationsfigur wie der des Papstes hinterlässt.
Eine neue Phase beginnt
Tatsächlich scheint es mir, dass mit dem Ende dieser Trauerzeit eine neue Phase begonnen hat. Die Kardinäle sind seit heute wesentlich aktiver in den Vorbereitungen des Konklaves als bisher. Waren die Konversationen bisher halbtägig, so finden sie seit heute ganztägig statt und werden, wie ich gehört habe, morgen fortgesetzt. Offensichtlich besteht ein großer Abstimmungsbedarf. Es wundert einen nicht. Immerhin sind 108 Kardinäle zum ersten Mal dabei, und so bunt und groß war das Wahlkollegium noch nie in der Geschichte.
Dynamik im Kardinalskollegium
Zugleich zeichnet sich ab, dass 71 der Kardinäle, die am Mittwoch ins Konklave eintreten, nicht nur Teilnehmer der Synode über die Synodalität waren, sondern stark von ihr geprägt sind. Dies dürfte sich durchaus auf das gute Klima auswirken, von dem einhellig die Rede ist. Es ist anzunehmen, dass sich dies auch innerhalb des Konklaves auf die Dynamik auswirken wird.
Gerüchte und Favoriten
Gleichzeitig beginnen nun auch die Gerüchte zu kursieren. Eigentlich wollte ich das hier gar nicht notieren, aber es ist manchmal ärgerlich, wenn auch in sehr renommierten Medien Dinge zu lesen sind, die auf zweifelhafte Quellen zurückgreifen. Wenn man ein französisches Klatschmagazin bemüht, um Konflikte zwischen Kardinälen zu konstruieren, die so nicht existieren und wenn, dann einen völlig anderen Hintergrund haben als dargestellt, vermittelt man ein Bild von Kirche, das der Realität in keiner Weise entspricht. Das andere ist das große Namenskarussell, das unter den Kollegen vorherrscht. Alle fragen sich natürlich, wer aus dem Konklave hervorgehen wird. Zunächst zur Dauer: Bislang hieß es, das Konklave werde kurz. Das hat sich etwas verändert. Konnten die Kollegen vergangene Woche noch von ein bis zwei Tagen ausgehen, so wird seit heute Morgen von drei bis vier Tagen gesprochen. Das würde in Wirklichkeit bedeuten fünf Tage: Wenn das Konklave nach dem dritten Tag nicht endet, dann wird ein Ruhetag eingelegt und dann erst kann die Wahl wieder aufgenommen werden.
Ein Tag, fünf Tage?
Wie lange wird dieses Konklave also dauern? Wir werden es sehen. Zu den großen Favoriten dieses Konklaves wäre es natürlich am besten zu schweigen. Alles, was man dazu sagt, ist letztlich doch Kaffeesatzlesen. Aber es gibt begründete Ideen dazu, weil sich doch in den letzten Jahren einige Persönlichkeiten gezeigt haben, die in jeder Hinsicht dem Profil entsprechen, das Kardinal Schönborn gestern französischen Journalisten in ihre Notizblöcke notiert hat: glaubwürdige, überzeugende, charismatische Persönlichkeiten, die vor allem gute Christen und gute Hirten sind. Da ist zunächst Kardinal Jean-Marc Aveline, der Erzbischof von Marseille. Über ihn wurde immer gesagt, weil er spreche kein Italienisch. Nebenbei bemerkt, das müsste auch nicht sein, aber natürlich ist es ein ungeschriebenes Gesetz und in gewissem Sinne eine Frage der Logik, dass der Bischof von Rom sich zumindest in italienischer Sprache so weit ausdrücken kann, dass er mit seinem Klerus und seinen engeren Mitarbeitern tatsächlich Konversationen führen kann. Kardinal Aveline hat gestern in seiner Titelkirche S. Maria ai Monti jedenfalls frei auf Italienisch gepredigt. Dieses Gerücht ist damit aus der welt geschafft. Und wenn man sich mit der Geschichte des Kardinals, seinem Wirken und seiner Persönlichkeit ein wenig beschäftigt, dann könnte man sich ihn als neuen Papst vorstellen.
Ähnliches gilt für Kardinal Robert Francis Prevost, bislang der Leiter des Dikasteriums für die Bischöfe. Er ist Augustiner und früherer Generaloberer der Augustiner-Eremiten, ein US-Amerikaner, was aber den allerwenigsten bewusst ist. Selbst ein Amerikaner, hat er auch französischn als auch italienische Wurzeln. Zwei Jahrzehnte lang Bischof in Peru, leitete er zuletzt das einflussreiche Dikasterium für die Bischöfe. Wenn einer weiß, dass Wien auf einen neuen Erzbischof wartet, dann Prevost. Er hat ein Charisma, das sich durch eine hohe Intelligenz auszeichnet, eine sehr große Offenheit und eine große Fähigkeit zuzuhören – also durchaus ein Name, den man sich merken sollte.
Und schließlich, um sozusagen auch einen Außenseiter zu nennen, wäre da der indische Kardinal Filipe Neri António Sebastião do Rosário Ferrão von Goa, der gleichzeitig den Ehrentitel des Patriarchen von Ostindien trägt. Mit seinem Vornamen Filipe Neri wäre er eine Freude vor allem für die Römer. Recht viel mehr vom derzeitigen Papst Toto unter Vatikanisten will ich hier nicht notieren, aber ich glaube, diese Namen sind es wert, im Kopf behalten zu werden.
Stille Zeugen des Glaubens
Schließlich noch ein ganz anderer Gedanke, der in der Berichterstattung ein wenig zu kurz kommt: Man sieht viele Menschen, die unauffällig, aber andächtig entweder in den Kolonnaden oder in einer der umliegenden Kirchen schlicht und einfach beten. Dieses „ Fühlen mit der Kirche“ ("sentire cum Ecclesia") kommt dabei eindrucksvoll zum Ausdruck. Vielen Menschen hier ist es einfach ein Anliegen, durch das, was sie können und das ist in dem Fall wirklich in erster Linie beten, und mit großer Hoffnung auf die Zukunft für die Kirche und die Welt zu schauen, ihren eigenen Beitrag zum Konklave zu leisten.