Zuwanderer befördern "soziale, kulturelle, wirtschaftliche, politische und religiöse Innovation", Wertewandel und Pflege sind weitere Schwerpunktthemen im Positionspapier der Expertengruppe "Kirche in der Gesellschaft".
Der Umgang mit Flüchtlingen und Zuwanderern ist für Österreichs Kirche und Gesellschaft eine "epochale Herausforderung": "Die Hilfsbereitschaft und das freiwillige Engagement sind ebenso deutlich im Wachsen wie rassistische und menschenhassende Reaktionen gegenüber Flüchtlingen", heißt es im Thesenpapier der Expertengruppe "Kirche in der Gesellschaft" des von der Bischofskonferenz und katholischen Laienorganisationen und -initiativen gemeinsam getragenen Zukunftsforums (www.zukunftsforum3000.at) der katholischen Kirche in Österreich, das am Dienstag, 22. September 2015, veröffentlicht wurde. Die Aufnahme von Flüchtlingen sei jedoch "menschenrechtlich sowie vom Glauben her verpflichtend". Darüber hinaus ermögliche Migration "soziale, kulturelle, wirtschaftliche, politische, auch religiöse Innovation", wird betont.
Den Spannungen und Konflikten, die Migration auch mit sich bringt, könnten Kirche und Politik mit einer Reihe von Maßnahmen begegnen. Zu diesen Maßnahmen zählt der Bericht, "mit Flüchtlingen und Zuwanderern zu sprechen statt nur über sie, statt für sie etwas tun mit ihnen etwas tun und leben". Migranten müssten auch stärker in gesellschaftlichen, politischen und kirchlichen Institutionen repräsentiert sein. Gelungene Modelle des guten Zusammenlebens und sozialen Engagements sollten öffentlich sichtbar gemacht werden, damit andere von ihnen lernen können.
Religion und Religionsgemeinschaften würden im Kontext von Migration oft als Problem angesehen, wird weiter festgestellt. Dieser Kritik gelte es Rechnung zu tragen, "indem jene Personen, Strukturen, Institutionen, Inhalte und Denkformen identifiziert werden, die problemverstärkend wirken". Zugleich sei "können Religion und Religionsgemeinschaften zu einer positiven Wahrnehmung und Wirkung von Migration sowie zur Lösung von Problemen im Kontext von Migration beitragen", betont das "Zukunftsforum". Die Seelsorge sollte "den Problemen von Menschen, die von Migration betroffen sind: der einheimischen wie der zugewanderten", besonderes Augenmerk schenken.
Soziale Schieflagen und politische Konflikte würden mitunter "religionisiert", d.h. mit Religion als Ursache erklärt. Der Verweis auf Religion als Ursache "verschleiert die dahinterliegenden Fragen nach sozialer, politischer, rechtlicher und kultureller Gerechtigkeit. Diese gilt es freizulegen", so die Forderung. Gleichzeitig gelte es die Ursachen für die globalen Migrationen und Fluchtbewegungen differenziert zu erforschen und zu beseitigen: "Armut, Klimawandel, Krieg und Unterdrückung forcieren Migration und Flucht und hängen nicht selten mit dem Lebensstil, der Politik und der Wirtschaft des Westens zusammen. Migration und internationale Entwicklungspolitik gehören untrennbar zusammen", hält das Expertenpapier des "Zukunftsforums" fest.
Generell plädieren die Autoren dafür, Zuwanderung als Chance wahrzunehmen. Durch sie könne man lernen, dass eine homogene Gesellschaft und Kirche eine "Fiktion" ist. Migration mache zudem Probleme der Gesellschaft und Kirche sichtbar, die alle betreffen: "Sie ist ein ausgezeichneter Lernort für Gerechtigkeit und Teilhabe, für das Zusammenleben in Verschiedenheit, für das Zueinander von universalen und partikulären kulturellen Werten, Normen und Rechten; für das Verständnis von Identität, Zugehörigkeit und Heimat. Diese Themen bergen Spannungen und Konflikte und verlangen nach Foren des Austausches auf allen Ebenen von Gesellschaft und Kirche."
Entschieden streicht der Text des "Zukunftsforums" die christliche Sicht auf Flüchtlinge hervor und verweist dazu auf die Instruktion des Päpstlichen Migrantenrates aus dem dem Jahr 2004 mit dem Titel "Die Liebe Christi zu den Migranten". Darin heißt es, die Kirche habe in den Migranten immer das Bild Christi gesehen, der gesagt hat: "Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen." Die Schlussfolgerung des "Zukunftsforums" daraus: "Eine Kirche ohne MigrantInnen ist ein spirituelles Alarmsignal."
Weitere Themenfelder des Expertenpapiers zu "Kirche in der Gesellschaft" sind der Umgang der Kirche mit den gegenwärtigen Entwicklungen in den demokratischen Gesellschaften und dem damit verbundenen Wertewandel. "Gegenwartskompetenz" könne die Kirche dann beweisen, wenn sie aktiv Debatten zu Fragen wie Bioethik, Migration und Asyl, Sterbebegleitung, Würde des Menschen anzettle, stets aber mit sachkundigen Argumenten, Kommunikation auf Augenhöhe, Widerspruchs- und Konfliktfähigkeit sowie Verzicht auf "erhobenen Zeigefinger" sowie Vereinnahmung. "Die Kirche soll selbst mit Kritik konstruktiv umgehen können", so die Autoren.
Kritisch setzen sich die Autoren speziell mit der Tendenz auseinander, dass ganze Gruppen von Menschen zunehmend als "überflüssig" betrachtet werden: Arme, Alte, Pflegebedürftige, Kranke, Ungeborene. Beispielhaft wird dieses Problem anhand des Bereiches Pflege deutlich gemacht. Arbeit sei mehr als Erwerbsarbeit, deshalb müssten auch Arbeitsfelder wie Pflege von Familienangehörigen sowie ehrenamtliches und gesellschaftliches Engagement als Arbeit wahrgenommen und politisch aufgewertet werden.
Da häufig die wirtschaftliche Situation der Betroffenen bzw. der Angehörigen über Qualität und Quantität der Pflege entscheide, stelle sich die Frage, "wie die Pflege für alle als Form institutionalisierter Solidarität gesichert und flexible und leistbare Angebote für pflegende Angehörige weiterentwickelt werden kann". Vier Prozent der Pflege alter Menschen würde heute in Österreich von ausländischen Pflegern geleistet - Tendenz steigend - wobei die Arbeitsbedingungen gesetzlich in einem "Graubereich" liegen würden. Die Pflegemigration wirke sich zugleich auch in den Herkunftsländern aus, wo eventuelle Pflegeleistungen für Kinder oder Alte von anderen übernommen werden müssen. Die Kirche müsse fragen, welche politische, soziale und seelsorgliche Unterstützung Pflegende - im speziellen Pflegemigranten - benötigen, heißt es in dem Dokument.
Die Analysen und Handlungsvorschläge sind von Experten unter der Leitung der Wiener Theologin Regina Polak erstellt worden. Dazu wurden auch ausführliche Gespräche mit Betroffenen geführt. Die Ergebnisse verstehen sich als Impulse für weitere Debatten und sind im Detail unter www.zukunftsforum3000.at zu finden. Weitere Themen des "Zukunftsforums" sind "Ökologie und globale Gerechtigkeit", "Bildung", "Arbeit" und "Familiale Lebenswelten". Zum Auftakt hatte das Zukunftsforum Ende 2013 unter dem Titel "Wo drückt der Schuh?" große Online-Umfrage zu den fünf genannten Themenbereichen durchgeführt.
Das Zukunftsforum ist von der Österreichischen Bischofskonferenz und katholischen Laienorganisationen und -initiativen gemeinsam getragen. Mit der Moderation ist die Katholische Aktion betraut, von der die Initiative ausging. Ziel ist es, drängende Themen in Gesellschaft und Kirche zur Sprache zu bringen und gemeinsam mit Betroffenen, Experten und auch Andersdenkenden Lösungen zu suchen. Die Rückmeldungen und Debatten werden der Expertengruppe ausgewertet und zusammengefasst. In einem anschließenden Hearing wird beraten, wie die Ergebnisse bestmöglich umgesetzt werden können.
Zukunftsforum 3000
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zum aktuellen Thesenpapier Kirche und Gesellschaft
Flüchtlingshilfe der Erzdiözese Wien
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