Europäische Religionsakademie tagt in Wien. Keynotes von Franz Fischler und Grace Davie zu Keynotes zu Religion, Säkularisierung, Populismus und gesellschaftlichem Wandel in Europa.
Die Rolle von Religionen im Kontext soziokulturellen Wandels in Europa steht im Zentrum der heurigen Jahreskonferenz der "European Academy of Religion" (EuARe), die noch bis Samstag (12. Juli) an der Universität Wien stattfindet. Zum Auftakt am Dienstagabend skizzierten der frühere EU-Kommissar und Präsident des Europäischen Forums Alpbach, Franz Fischler, sowie die britische Religionssoziologin Grace Davie zentrale Herausforderungen im Umgang mit Religionen in einem sich wandelnden Europa. Ihr gemeinsamer Tenor: Religiöse Akteure und Kirchen müssten angesichts aktueller Entwicklungen wie Vertrauensverlust in Institutionen, wachsender sozialer Ungleichheit und zunehmendem Populismus verstärkt Verantwortung übernehmen.
Die Jahreskonferenz der EuARe versammelt rund 500 Fachleute aus Religionswissenschaft, Theologie, Philosophie, Soziologie und Politik aus ganz Europa. Sie wird 2025 vom Forschungszentrum "Religion and Transformation in Contemporary Society" (RaT) der Universität Wien veranstaltet. Weitere Vorträge halten u.a. der belgische Kirchenrechtler Rik Torfs, der britisch-pakistanische Soziologe Tariq Modood, die Linzer Theologin Isabella Guanzini und der Wiener Philosoph Hans Schelkshorn.
Die emeritierte britische Religionssoziologin der Universität Exeter, Davie, sprach in ihrem Hauptvortrag über "unerwartete Herausforderungen" für Religionen im modernen Europa: Während sich die religiöse Praxis aus dem Privatleben vieler Menschen zurückziehe, steige gleichzeitig ihre Sichtbarkeit im öffentlichen Diskurs. Als Grund nannte Davie etwa die religiöse Vielfalt. "Religiöse Diversität bringt Religion in die öffentliche Debatte zurück, was aber auch teils heftige Reaktionen provoziert", so Davie.
Europa erlebt laut der Soziologin aktuell eine paradoxe Situation: Während die Säkularisierung fortschreite, gewinne Religion - nicht zuletzt wegen Migration - neue gesellschaftliche Relevanz. Diese Dynamik müsse gemeinsam gedacht werden, so die Wissenschaftlerin.
Als problematisch betrachtete Davie jedoch religiös argumentierte Abgrenzungstendenzen: "Statt den Fremden willkommen zu heißen, wird gefragt: 'Gehörst du zu uns oder nicht?'", kritisierte die Soziologin. Eine weitere Gefahr gehe zudem vom "Zusammenspiel von Populismus und religiösem Fundamentalismus" aus. Gerade hier trügen auch Mainstream-Kirchen Verantwortung: "Wir dürfen nicht sagen: Das hat mit uns nichts zu tun. Wir müssen verstehen, warum Menschen sich abgrenzen, warum sie ängstlich sind - und wie wir dem begegnen können", nahm Davie Kirchen sowie Gläubige in die Pflicht. Nötig sei eine qualifizierte und respektvolle öffentliche Debatte über Religion. "Unser Diskurs ist oft schlecht informiert und unhöflich - das ist gefährlich", warnte sie. Bildung, religiöse Bildung eingeschlossen, sei deshalb eine zentrale gesellschaftspolitische Aufgabe.
Religionen und religiöse Gemeinschaften spielten eine bedeutende Rolle für den sozialen Zusammenhalt in Europa, betonte der ehemalige Landwirtschaftsminister und EU-Kommissar Franz Fischler in seinem Vortrag im Audimax der Universität Wien. Kirchliche Organisationen wie Caritas, Diakonie oder muslimische und jüdische Sozialdienste würden entscheidende Leistungen in der Betreuung von Kranken, Älteren, Armen oder Geflüchteten leisten. "Diese Beiträge zum Gemeinwohl dürfen nicht unterschätzt werden", so Fischler.
Religionen seien auch aktuell herausgefordert, einen Beitrag zur Vertrauensbildung und gesellschaftlichen Stabilität zu leisten, so der ehemalige Politiker. "Es ist zu befürchten, dass sich soziale Ungleichheiten durch die Erweiterung der EU - etwa um den Westbalkan oder die Ukraine - weiter verschärfen." Religionen, religiöse oder philosophische Gemeinschaften sowie Interessenvertretungen könnten hier ausgleichend wirken, zeigte sich Fischler überzeugt.
Zwar sei die EU kein "christliches Projekt", wie mitunter behauptet werde, so Fischler, doch gehörten Christentum, Judentum und Aufklärung zu den prägenden geistigen und ideellen Wurzeln Europas. Der europäische Integrationsprozess gründe auf Werten wie Menschenwürde, Solidarität und Gleichheit - und gerade in deren Vermittlung und Umsetzung seien auch Religionsgemeinschaften mitverantwortlich. Besonders dringlich sei ihr Beitrag "zur Wiederherstellung von Vertrauen - in die Politik, in Institutionen, in uns selbst", so Fischler. Nur so könne gesellschaftlicher Zusammenhalt in Zeiten von Globalisierung, Digitalisierung und wachsendem Populismus gesichert werden.
Die European Academy of Religion bezeichnet sich selbst als das wichtigste Forum für akademische Religionsforschung und ihre Relevanz für die Gesellschaft. Ihre Aufgabe sieht sie darin, Wissenschaftler zu verbinden, die Forschung zu fördern, die akademische Qualität zu steigern und ein Bewusstsein für die Rolle der Religion im öffentlichen Raum zu schaffen.
Informationen: www.europeanacademyofreligion.org/euare2025