Laut dem Wiener Pastoraltheologen Paul. M. Zulehner formiert sich in Europa aktuell eine "moderne Version des Islam".
Laut dem Wiener Pastoraltheologen Paul. M. Zulehner formiert sich in Europa aktuell eine "moderne Version des Islam".
Wiener Pastoraltheologe bei internationaler Religionspädagogentagung in Wien: "Moderne Kultur verändert innere Struktur der islamischen Religiosität".
Laut dem Wiener Pastoraltheologen Paul. M. Zulehner formiert sich in Europa aktuell eine "moderne Version des Islam". Das Umfeld einer modernen Kultur verändere die innere Struktur der islamischen Religiosität. Hinter diesem Transformationsprozess stünden junge, in Europa aufgewachsene Muslime, die noch vor einer Änderung der offiziellen Lehrmeinung durch islamische Führer ihre im Alltag gelebte Religiosität an der modernen europäischen Kultur orientieren. Ein Prozess, den Zulehner auch in Österreich beobachtet und der die Frage nahelege: "Formt die religiöse Basis in Europa gerade einen 'europäischen Islam', der mit europäischen Werten, Religionsfreiheit und Geschlechterrollen vereinbar ist?"
Der Theologe und Religionssoziologe untermauerte diese These bei der diesjährigen Konferenz des Europäischen Forums für Religionlehrer und lehrerinnen am Samstag, 3. September 2016 in Wien mit Umfrageergebnissen der Langzeitstudie "Religion im Leben der Österreicher 1970-2010". Zuletzt sei bei dieser alle zehn Jahre durchgeführten repräsentativen Umfrage neben Christen unterschiedlicher Konfessionen auch die wachsende Gruppe der Muslime in den Blick genommen worden.
Die vorliegenden Daten zeigten deutlich, dass sich Muslime der zweiten Generation immer mehr von einem autoritär geprägten Islam verabschieden, wies Zulehner hin. Der Autoritarismus - also die "Unterwerfungsbereitschaft" gegenüber Führern und Autoritäten aller Art - und deren Korrelation mit der eigenen Religiosität sei in der ersten Zuwanderergeneration noch gang und gäbe gewesen, in der zweiten jedoch enorm geschwunden, wies der Religionssoziologe hin. 78 Prozent der Männer aus der ersten Generation bekundeten hier noch Übereinstimmung mit autoritativen Haltungen, in der zweiten Generation waren es nur noch 58 Prozent. Bei den Muslimas zeigt sich die Auflösung dieser Verbindung noch deutlicher - dort ist die Zustimmung zu einer autoritären Form der Religion von 40 auf 26 Prozent gesunken.
Die Abnahme der Autoritätsgläubigkeit gehe aber nicht mit einer Abnahme der Religiosität an sich einher, erklärte Zulehner. Die Anzahl der männlichen Muslime, die sich als religiös, aber nicht autoritätshörig bezeichnen, stieg im Vergleich zur ersten Generation von sechs auf elf Prozent. Bei den Frauen gar von 25 auf 54 Prozent.
Die großen Gewinner dieser Veränderung sind laut dem Theologen muslimische Frauen. Das äußere sich auch in der Zustimmung zu traditionellen Geschlechterrollen. Halten in der ersten Generation noch 26 Prozent der in Österreich lebenden Muslimas an einem traditionellen Rollenbild fest, sind es in der zweiten Generation nur noch elf Prozent. Bei den Männern sank die Zustimmung von der ersten Generation auf die zweite Generation von 44 auf 40 Prozent.
Die seit 2015 Europa und auch Österreich herausfordernde Flüchtlingswelle machte Zulehner im letzten Jahr zum Gegenstand einer weiteren Datenerhebung - mit dem Ergebnis, dass er der Kirche bei der Bewältigung dieser Herausforderung eine Rolle zumisst. Diese müsste therapeutisch und nicht moralisierend auf die Ängste der Bevölkerung einwirken und politisch Verantwortliche bei der Etablierung einer "Politik der Zuversicht" unterstützen; denn nur eine solche bekämpfe die Hintergründe für Flucht, nämlich Krieg, Hoffnungslosigkeit und Armut, so Zulehner.
Eine "heilende Kraft" misst der Theologe auch der Bildung zu "Kirchen verfügen über sehr gute Bildungsinstitutionen." Im Umgang mit Flüchtlingen setzt er auf die persönliche Begegnung, die in vielen Fällen vorhandene Ängste nehme. Zulehner mahnte auch Achtsamkeit in der Sprache ein. Es dürfe nicht vergessen werden, "dass wir hier über konkrete Menschen sprechen". Es plädierte für eine Sprache und Haltung der "Empathie und Barmherzigkeit". Ein gutes Vorbild sei hier Papst Franziskus, der unermüdlich einen barmherzigen Gott lehre
Homepage von Paul M. Zulehner:
www.zulehner.org