Rekonstruktiertes Reliquiar mit den Knochen einer Heiligen unter dem Altar der Kirche
Rekonstruktiertes Reliquiar mit den Knochen einer Heiligen unter dem Altar der Kirche
Nach 27 Jahren konnte ein unaufgeklärter Fall der österreichischen Archäologiegeschichte endlich gelöst und abgeschlossen werden. Das Ergebnis ist eine Sensation.
Die Österreichische Akademie der Wissenschaften in Wien hat in diesen Tagen eine Sensation präsentiert.
Ein Team aus unterschiedlichen wissenschaftlicher Fachrichtungen hat Licht in ein bisher ungelöstes Rätsel gebracht.
Ein kleiner archäologischer Fund in Kärnten bekommt plötzlich eine große Bedeutung für die gesamte Geschichte des frühen Christentums im Alpenraum. Und eine längst vergessene Heilige, deren Namen wir nicht kennen, rückt ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
Bereits 1991 stießen Archäologen bei Ausgrabungen in einer eigens für die Heiligenverehrung errichteten Kirche auf dem Kärntner Hemmaberg auf Reliquien, die unter dem Altar deponiert worden waren.
In der Reliquiennische lagen neben einem Holzkästchen und einem Silberring auch menschliche Knochen in einem Schrein aus Stein. „Wir wussten schon damals, dass aufgrund des Fundortes die Knochen von einer Heiligen stammen mussten.
Wir hatten aber nicht die Möglichkeiten, den Fund wissenschaftlich wirklich genau auszuwerten“, erklärt Sabine Ladstätter, Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts der Akademie der Wissenschaften in Wien.
25 Jahre später wurde der archäologische Fall neu aufgerollt und mit aktuellen wissenschaftlichen Methoden noch einmal analysiert. „Nicht nur die Knochen wurden Analysen unterzogen, auch das Gestein des Schreins wurde von Geologen untersucht.
Es waren Archäologen, Restauratoren und Althistoriker mit an Bord, um hier ein schlüssiges Bild der Geschichte dieses Fundes zeichnen zu können“, berichtet Bioarchäologin Michaela Binder, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Sabine Ladstätter die Forschungsergebnisse im Buch „Die Heilige vom Hemmaberg. Cold Case einer Reliquie“ niedergeschrieben hat.
„Wir konnten herausfinden, dass die Frau im Alter zwischen 35 und 50 Jahren verstorben ist. Bioarchäologische Untersuchungen zeigen, dass sie von Kindheit an unter Krankheiten litt und zu Lebzeiten starken körperlichen Belastungen ausgesetzt war“, erklärt Michaela Binder.
„Den ersten sensationellen Moment verspürten wir, als das Ergebnis der ersten Datierung eingetroffen ist“, erzählt Sabine Ladstätter.
„Die C14-Datierung hat deutlich gemacht, dass die Heilige im zweiten Jahrhundert lebte. Wir dürfen nicht vergessen: Es war eine Zeit, in der das Christentum unterdrückt und Christen wegen ihres Glaubens verfolgt und getötet wurden“, sagt Sabine Ladstätter.
„Dann folgte das Ergebnis der DNA-Analyse: Die Frau stammt aus dem südöstlichen Mittelmeerraum. Die Isotopenanalyse stellte schließlich fest, dass sie die letzten Lebensjahre in Mitteleuropa verbrachte und dort auch starb.
400 Jahre später, im fünften oder frühen sechsten Jahrhundert wurden ihre Knochen wieder ausgegraben, auf den Hemmaberg transferiert und als Reliquien einer Heiligen verehrt.“
Die Untersuchungsergebnisse geben laut den beiden Expertinnen eine klaren Hinweis darauf, dass es sich derzeit um die älteste in Österreich verehrte Heilige handelt!
Zwar lässt sich die Todesursache aus dem Skelett nicht ableiten, für die Gläubigen war sie aber offenbar den Märtyrertod gestorben, der ihren menschlichen Überresten spirituelle Kraft verlieh. Eine Heiligenlegende, die ihre Todesumstände oder ihren Namen beschreibt, ist allerdings nicht überliefert.
Nach der wissenschaftlichen Untersuchung befinden sich die Gebeine der unbekannten Heiligen wieder am Hemmaberg, in der Kirche der heiligen Hemma und Dorothea.
Der Hemmaberg in Kärnten war im 6. Jahrhundert ein blühender christlicher Wallfahrtsort mit intensiven Verbindungen nach Oberitalien. Das zeigt auch die Herkunft des Reliquienschreins, in dem die Überreste der Heiligen aufbewahrt wurden.
Der starke Zustrom an Pilgern gipfelte im Neubau von zwei Doppelkirchenanlagen und zahlreichen Pilgerunterkünften. Da die Bedeutung frühchristlicher Pilgerheiligtümer unmittelbar mit der Strahlkraft der dort verehrten Heiligen verbunden war, wurden auch am Hemmaberg mehrere Kirchen mit Reliquien ausgestattet.
Der Heiligenverehrung am Hemmaberg war aber keine lange Lebensdauer beschieden. Im Zuge der Einwanderung der zu diesem Zeitpunkt noch heidnischen Slawen um 600 wurde der Wallfahrtsort zerstört.
Die Archäologinnen Sabine Ladstätter und Michaela Binder wollen mit dem Buch „Die Heilige vom Hemmaberg“ erstmals Einblicke in kulturhistorische Details des Falles, wie die besondere genetische Herkunft und die beschwerlichen Lebensbedingungen der Verstorbenen geben.
Das Buch vermittelt aber auch die Anwendung moderner Methoden und Analyseverfahren in der archäologischen Forschung, die heute sehr stark von der Zusammenarbeit verschiedener Wissenschaften geprägt ist.
Cold Case einer Reliquie.
Holzhausen Verlag,
ISBN: 978-3903207196
Skelett der Heiligen vom Hemmaberg
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